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all this bullshit [Coming of Age]

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Honeybunny
Gelöschter Benutzer

all this bullshit [Coming of Age]

von Honeybunny am 10.12.2022 00:20

Ich werde das hier sicher irgendwann noch hübsch machen, aber für den Anfang genügt es so, hoffentlich, auch.
Es ist lange her, dass ich eine Geschichte auch auf RSH veröffentlicht habe, so here goes nothing, I guess.
   
Ihr könnt die Story gerne auch auf Wattpad verfolgen, wo ihr mir super gerne Rückmeldungen da lassen könnt!
Scheut euch nicht davor, mir ggf. auch hier eine Nachricht dazulassen.
   


   
Genre: Coming of Age, Jugendliteratur

In all this bullshit geht es um die 15-Jährige Nora - Nora lebt allein mit ihrem kleinen Bruder Maxime bei ihrem Vater, seit ihre Mutter sie vor fünf Jahren verlassen hat. Das Mädchen kümmert sich um ihren Bruder, den Haushalt und ihren schwer depressiven Vater. Neben dem Versuch, das kleine bisschen Familie, das ihr noch geblieben ist, zusammenzuhalten, macht Nora auch das ganz normale Teenager-Dasein zu schaffen: die erste große Liebe, das Entdecken ihrer Sexualität und der doch sehr holprige Weg ins Erwachsenwerden.
   
Disclaimer: diese Geschichte behandelt viele sensible Themen; darunter Depressionen, mglw. Esstörungen, Homophobie und körperliche Gewalt. Diese Themen sind nicht Hauptbestand der Geschichte, sind aber Teil des Lebens und der Entwicklung der Charaktere, die du kennenlernen wirst, und treten daher in Maßen auf. Befindet sich in einem Kapitel dennoch eine explizite Darstellung eines der oben genannten Themen, wird dieses ggf. entsprechend gekennzeichnet, sodass du selbst entscheiden kannst, ob du die betroffene Stelle lesen möchtest oder nicht.
    
Und ansonsten wünsche ich euch viel Spaß beim Lesen!

Antworten Zuletzt bearbeitet am 10.12.2022 00:26.

Honeybunny
Gelöschter Benutzer

Re: all this bullshit [Coming of Age]

von Honeybunny am 10.12.2022 00:24

1. Montag
    

„Wo bleibt denn dieser bescheuerte Bus?", nuschelte Nora in ihren Schal, während sie zum zigsten Mal auf ihr Handy sah.
Es war der erste Schultag nach den Weihnachtsferien und der Bus, mit dem sie und ihr kleiner Bruder ins benachbarte Klemsburg fahren mussten, wollte sich einfach nicht blicken lassen.
„Warum darfst du eigentlich fluchen und ich nicht?", wollte Maxime wissen und sah mit einem Schmollmund zu seiner Schwester hinauf.
„Weil ich schon fast erwachsen bin und du noch sehr weit davon entfernt bist, du Zwerg", erwiderte die 15-Jährige.
„Du bist doof", kam es daraufhin von dem Jungen, bevor er ihr die Zunge rausstreckte.
Nora nahm ihm das aber nicht übel, im Gegenteil, sie tat es ihm gleich und zog ihm im nächsten Moment die Mütze ins Gesicht.
„Du bist viel doofer", neckte sie ihn und richtete ihren Blick wieder die Straße hinunter, wo endlich der Bus einbog.
„Überraschungsselfie!", kam es plötzlich hinter ihr, ehe sie auch schon einen Arm um sich spürte und ihr ein Handy vor die Nase gehalten wurde.
Gerade, als sie sich verwirrt in dem Display musterte, wurde die Kamera ausgelöst und hinter ihr sprang eine mehr als nur vertraute Person hervor.
„Basti!", rief sie gleichermaßen überrascht und erfreut aus, ehe sie ihrem besten Freund auch schon um den Hals fiel. „Ich dachte, ihr kommt heute erst wieder!"
Sebastian war mit seinen Müttern noch vor Silvester nach Malta geflogen, wo die Familie dem deutschen Winter hatte entkommen wollen – und die zwei Wochen ohne ihn hatten sie fast den Verstand verlieren lassen.
„Theoretisch kamen wir auch heute erst. Wir sind um eins gelandet", erwiderte Sebastian, betrachtete mit einem Grinsen das Foto und steckte sein Handy weg, als der Bus vor ihnen hielt. „Das kommt an meine Fotowand."
„Großartig, noch ein peinliches Foto von mir, dass du deinen zahlreichen Liebhabern zeigen kannst", erwiderte Nora gespielt empört, drückte ihm dann einen Kuss auf die kalte Wange, stieg nach Maxime in den Bus und zeigte dem Busfahrer ihre Fahrkarte, bevor sie sich auf einem Zweierplatz am Fenster niederließ, während ihr Bruder nach hinten zu seinen Freunden durchging. „Aber warum bist du dann nicht zuhause im Bett?", wollte sie von Sebastian wissen, sobald er sich zu ihr setzte und seinen Rucksack auf seinen Schoß nahm.
„Ich kann doch mein Lieblingsmädchen am ersten Tag nach den Ferien nicht alleine lassen. Für dich verzichte ich gerne auf ein paar Stunden Schlaf", antwortete er so ernst, dass sie nicht ausmachen konnte, ob er scherzte oder nicht. „Und ganz abgesehen davon will ich unbedingt sehen, wie Daniel bei eurem ersten Wiedersehen nach eurem Date auf dich reagiert. Wenn er blöd ist, muss ich ihn nämlich schla-"
„Das war doch gar kein Date", schnitt Nora ihm das Wort ab, merkte aber im selben Moment, wie ihr die Hitze in die Wangen stieg. „Wir waren Eislaufen. Mit anderen zusammen. Das ist kein Date. Und...
ich habe ihm seitdem auch nicht mehr geantwortet."
„Du hast ihn geghosted, Nora!", sagte Sebastian so laut, dass es sicher der ganze Bus hören konnte, weswegen die Blondine ihm leicht mit dem Ellbogen in die Seite stieß.
„Habe ich gar nicht", erwiderte sie mit gesenkter Stimme. „Ich... habe nur keine Ahnung, worüber ich mit ihm reden soll", fügte sie hinzu und blickte aus dem Fenster, um die vorbeiziehende, verschneite Landschaft zu beobachten.
    
Das Thema Daniel war jedoch nur so lange beendet, bis Nora und Sebastian 15 Minuten später durch den Haupteingang das Schulgebäude betraten.
„Siehst du ihn schon?"
„Basti..."
„Ich meine ja nur! Daniel ist wirklich süß und wenn er nicht so verdammt hetero wäre..."
„Ich weiß, ich weiß. Er ist ein guter Fang", zitierte sie ihren besten Freund, zog ihre Mütze ab und lehnte sich an die Wand vor dem Treppenaufgang.
„Einer der besten!", berichtigte Sebastian sie und blickte sie ernst an. „Er ist in der 10. und super beliebt, spielt wahnsinnig gut Klavier und er ist so muskulös und -"
„Du schweifst ab", unterbrach Nora ihn, seufzte und legte den Kopf in den Nacken. „Klar, er ist schon echt toll und ich finde ihn auch wirklich nett, aber... es hat einfach nicht Klick gemacht."
Nora war überrascht gewesen, als Daniel ihr Anfang Januar geschrieben und sie gefragt hatte, ob sie mit ihm und ein paar anderen nach Kassel in die Eisdisco wollte. Sebastian war da schon seit einigen Tagen auf Malta gewesen und eigentlich hatte sie sich bloß in ihrem Zimmer gelangweilt, weswegen sie nicht Nein gesagt hatte. Sie waren zu fünft gewesen – es war also kein Date gewesen, wie Basti ihr gerne weismachen wollte. Trotzdem war Daniel ziemlich süß zu ihr gewesen, hatte ihr eine heiße Schokolade ausgegeben und sie sogar nach Hause gebracht, obwohl er gar nicht in Klein Rieksdorf wohnte.
Ein Date war es aber trotzdem nicht gewesen.
„Das kommt bestimmt noch", meinte Sebastian zuversichtlich. „Stoß ihn nicht weg, Nora. Du hast auch mal ein bisschen Glück verdient."
Nora wusste genau, worauf er anspielte, zuckte aber lediglich mit den Schultern, auch wenn er irgendwie recht hatte. Und vielleicht hatte er auch recht mit Daniel und es war einen Versuch wert. Sie war in der 9. Klasse, es musste ja nichts für die Ewigkeit werden.
Als es endlich klingelte, stieß sich die Blondine von der Wand ab, hakte sich bei Sebastian ein und machte sich mit ihm auf den Weg nach oben. Sie hatten kaum den ersten Treppenabsatz erreicht, da hörte sie jemanden ihren Namen rufen, weswegen sie stehenblieb und sich umdrehte.
„Beweg dich doch mal", wurde sie von einem Schüler angemurrt, der nun einen Bogen um sie beide machen musste, damit aber den Blick auf Daniel freigab, der sich an einer Gruppe Schüler vorbeizwängte und, sobald er sie erreichte, nach Noras Hand griff, als wäre es das selbstverständlichste der Welt.
„Guten Morgen, können wir kurz reden?", wollte er wissen, wobei er einen vielsagenden Blick in Bastis Richtung warf.
Dieser verstand die Aufforderung sofort, drückte kurz den Arm seiner Freundin und grinste sie an.
„Wir sehen uns gleich oben, Süße", sagte er und ließ sie im nächsten Moment schon allein mit Daniel zurück.
„Uhm... wir sollten hier wahrscheinlich nicht stehen bleiben", meinte Nora, sobald sie ihre Stimme wiedergefunden hatte, und ging mit dem ein Jahr älteren zumindest nach oben in den Gang, wo sie sich an einem der Fenster an die Heizung stellten. „Es ist, weil ich dir nicht mehr geschrieben habe, oder?", wollte sie unsicher wissen. „Das tut mir auch voll leid, aber ich hatte echt mega viel zu tun und-"
„Quatsch, das ist doch nicht schlimm, habe ich mir schon gedacht", erwiderte Daniel verständnisvoll. „Ich hatte dann auch zu tun, Fußballtraining und so. Aber ich wollte dich fragen, ob du nach der Schule vielleicht Zeit hast? Du könntest zu mir kommen und wir schauen einen Film oder... wir gehen ins Kino? Falls dir das lieber ist."
Fragte er sie wirklich nach einem Date? Ein richtiges Date?
„Nur... wir zwei?"
„Ja, nur wir zwei", bestätigte er mit einem Lächeln, was prompt ihren Adrenalinpegel steigerte. „Ich dachte, es wäre cool, wenn wir mal nur etwas zu zweit machen. Ich mag dich nämlich, Nora."
„Heute kann ich nicht, ich muss auf meinen Bruder aufpassen", kam es direkt von dem Mädchen, aber sie rief sich Sebastians Worte in den Sinn – stoß ihn nicht weg. „Aber Mittwoch. Mittwoch würde gehen."
„Mittwoch ist super!", meinte Daniel mit einem Strahlen. „Schreib mir einfach, was dir lieber ist. Bei mir oder Kino. Ich will dich auch gar nicht länger aufhalten. Wir sehen uns, ja?"
Er gab ihr ziemlich überschwänglich einen Kuss auf die Wange, drückte nochmal ihre Hand und machte sich dann auf den Weg in die andere Richtung, um zu seiner Klasse zu kommen. Nora hingegen blieb noch einen Moment an der Heizung stehen, sah hinaus aus dem Fenster und beobachte ein paar Schüler, die über den Schulhof in Richtung Eingang rannten.
Nun hatte sie also doch ein Date mit Daniel – und irgendwie bereitete ihr das Magenschmerzen.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 30.12.2022 23:08.

Anticonformist
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Re: all this bullshit [Coming of Age]

von Anticonformist am 10.12.2022 08:41

Hab es richtig vermisst von dir zu lesen! Keep it up! 

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Honeybunny
Gelöschter Benutzer

Re: all this bullshit [Coming of Age]

von Honeybunny am 10.12.2022 21:34

2. Mittwoch I
    

„Schreib mir, wenn du losgehst, ja?", versicherte sich Sebastian nochmals, nachdem sie aus dem Bus gestiegen waren. „Und wenn was nicht in Ordnung ist, lass es mich wissen, dann rette ich dich."
Eigentlich glaubte er nicht, dass bei Noras und Daniels Date etwas schieflaufen würde, aber er wollte, dass sich seine beste Freundin sicher fühlen konnte. Sie war unsicher, was kein Wunder war, wenn man bedachte, dass es ihr erstes richtiges Date war – nicht nur mit Daniel, sondern mit überhaupt jemandem.
„Ich bekomme das schon hin", erwiderte Nora mit einem leichten Schmunzeln. „Aber ich sage dir Bescheid, versprochen."
Sie gab Sebastian noch einen Kuss auf die Wange und sah ihm einen Moment nach, als er in die entgegengesetzte Richtung ging, während Maxime, sobald der Bus abgefahren war, die Hand seiner großen Schwester nahm, immerhin konnten seine Freunde es jetzt nicht mehr sehen. Nora drückte seine Hand sanft, als sie sich auf den Weg nach Hause machten. Sie konnte sich kaum daran erinnern, wie es für sie gewesen war, als sie noch in die zweite Klasse gegangen war. Zu der Zeit war ihre Mutter noch bei ihnen und mit Maxime schwanger gewesen, das wusste sie noch. Kurz danach war alles in die Brüche gegangen, Katja hatte ihre Familie für einen anderen Mann sitzen- und ihren zweijährigen Sohn und ihre zehnjährige Tochter bei ihrem Ex zurückgelassen. Nora schrieb ihr manchmal, aber es kam nur selten vor, dass sich ihre Mutter von sich aus meldete. Es grenzte schon fast an einem Wunder, wenn sie sich an Maximes oder ihren Geburtstag erinnerte.
Wenn sie sich nicht für ihre Kinder interessierte, dann war es vielleicht besser, dass sie sie bei ihrem Vater gelassen hatte.
Vielleicht hatte das aber auch alles schlimmer gemacht.
Nora ließ die Hand ihres Bruders los und ihren Rucksack von einer Schulter rutschen, damit sie aus diesem ihre Schlüssel holen konnte, als sie zwischen zwei Häusern mit hübschen kleinen Gärten hindurch auf einen faden, grauen Parkplatz traten, hinter dem sich ein Mehrfamilienhaus auftat, das mit seiner verblassten, gelben Fassade nicht so recht in die Dorfromantik passen wollte. Kein Wunder also, dass man es nicht an die Straße sondern in irgendeine versteckte Ecke gebaut hatte.
Klein Rieksdorf war ein kleiner 500-Seelen-Ort inmitten der grünen Landschaft der Grimmheimat Nordhessen – zumindest stand es so im Internet. Es war nur einer der zahlreichen kleinen Orte, die sich mit einigen anderen Dörfern und Kleinstädten zusammengeschlossen hatten, um die größte Stadt des Landkreises zu bilden. Aber würde man mit einem Helikopter über diese besagte größte Stadt fliegen, würde man sehen, dass es sich dabei nur um zwei Kleinstädte und elf Dörfer handelte, die sich eine miserable Bus- und Bahnverbindung teilten.
„Ich koche gleich was, ja? Nudeln?", wollte Nora wissen, nachdem sie mit Maxime die Wohnung im zweiten Stock betreten und ihm seine Jacke abgenommen hatte.
„Mit Tomatensoße!", stimmte der Siebenjährige zu.
„Mit Tomatensoße", wiederholte Nora mit einem leichten Lächeln. „Fängst du bitte schon mit deinen Hausaufgaben an? Ich komme gleich in die Küche und helfe dir nebenbei."
„Ist gut", erwiderte Maxime bloß, nahm seinen Ranzen und ging dann vor in die Küche.
Nora sah ihm einen Moment lang nach, atmete dann tief durch und ging die wenigen Schritte durch den Flur bis vor die Tür des Schlafzimmers ihres Vaters, die noch immer genauso angelehnt war wie am Morgen, als sie mit Maxime zur Bushaltestelle gegangen war.
„Papa?", fragte sie in die Stille des Raums, nachdem sie die Tür weiter aufgeschoben hatte, bekam aber keine Antwort.
Sie betrat den kleinen Raum und setzte sich zu ihrem Vater, der sich zur Wand gedreht hatte, ans Bett. Der mittlerweile kalte Kaffee, den sie ihm am Morgen gebracht hatte, stand noch immer auf dem Nachttisch, aber zumindest hatte er seine Medikamente genommen, die sie ihm wie immer dazugelegt hatte.
„Papa?", fragte sie noch einmal, streichelte ihm dieses Mal aber sanft über den Arm. „Du musst aufstehen. Es ist schon halb zwei."
Ihr Vater brummte ein paar unverständliche Worte, drehte sich dann aber zu ihr um und blickte sie müde an.
„Ich stehe gleich auf, Schatz... ich brauche noch eine Minute", murmelte Markus und fuhr sich mit einer Hand über das Gesicht.
„Ich bringe dir einen frischen Kaffee", meinte Nora und schenkte ihm ein Lächeln, bevor sie aufstand, sich die Tasse vom Nachttisch griff und diese mit in die Küche nahm.
     
When the workin' day is done, oh, when the workin' day is done", sang Nora gut gelaunt mit, während sie in ihrem Zimmer vor dem Spiegel stand und versuchte Mascara aufzutragen, ohne direkt alles zu verschmieren. „Oh, girls, girls just wanna have fun!"
Schminken war nie besonders ihre Stärke gewesen. Immer dann, wenn sie sich für etwas hatte schminken wollen, hatte Sebastian ihr geholfen – er hatte wirklich ein Händchen dafür, während sie schon froh war, wenn sie es hinbekam, ihren Mascara ohne irgendwelche Unfälle zu benutzen. Er hatte ihr sogar angeboten vorbeizukommen und ihr zu helfen, aber das wäre dann sicher wieder in irgendeinem auffälligen Look mit viel Glitzer geendet. Nicht, dass sie etwas dagegen gehabt hätte, aber Daniel und sie gingen bloß ins Kino, da sah es sowieso niemand. Nora griff nach dem flüssigen roten Lippenstift, der neben dem Spiegel auf einem Regal lag; kussecht stand auf dem Label.
Unwillkürlich fragte sie sich, ob Daniel versuchen würde, sie zu küssen – und ob sie sich bei einem Kuss überhaupt gut genug anstellen würde. Sie hatte noch nie jemanden geküsst, zumindest nicht richtig; eigentlich hatte sie auch gar keine genaue Vorstellung davon, wie ihr erster Kuss ablaufen sollte. Romantisch, sicher. So sollten erste Küsse doch sein, oder?
„Kann ja eigentlich nicht schiefgehen, oder, Whitney?", fragte sie in Richtung ihres Laptops, als von dort I Wanna Dance With Somebody ertönte.
Natürlich beantwortete weder das Lied noch Whitney Houston selbst ihre Frage, aber sie richtete ihren Blick wieder in den Spiegel und trug den Lippenstift auf. Das gelang ihr sogar einigermaßen ordentlich, als sie sich jedoch so sah, gefiel es ihr ganz und gar nicht. Es sah zwar irgendwie hübsch aus, aber vielleicht war es für ein Date im Kino einfach ein bisschen zu viel. Also zog sie ein Abschminktuch aus dem Päckchen, wischte den Lippenstift wieder ab und trat dann einen Schritt zurück, um sich in Gänze im Spiegel betrachten zu können. Am liebsten hätte sie Basti noch nach seiner Meinung gefragt, aber sie musste in Kürze los, wenn sie den Zug erwischen wollte.
„Geht doch so...", murmelte sie zu sich selbst, nachdem sie den cremefarbenen Pullover mehr oder weniger ordentlich in die dunkelblaue Jeans gesteckt hatte.
Sie atmete tief durch, klappte den Laptop, der auf ihrem Bett stand, zu, nahm ihr Handy und verließ dann ihr Zimmer.
„Gehst du jetzt?", wollte Maxime, der gerade aus dem Badezimmer gekommen war, von seiner großen Schwester wissen, woraufhin Nora leicht nickte.
„Ja, ich muss jetzt los. Spätestens um sieben bin ich wieder da, okay? Wenn du nachher Hunger hast, kannst du dir noch was von den Nudeln warm machen. Und vielleicht fragst du Papa, ob er auch etwas essen will. Er muss etwas essen, okay?", fügte sie ein wenig ernster hinzu, bevor der Junge etwas dagegen sagen konnte.
Maxime atmete tief durch, wirkte auch nicht gerade begeistert, nickte dann aber.
„Okay."
„Gut."
Nora schenkte ihm ein Lächeln, zauste ihm sanft durch die blonden Locken und warf dann noch einen Blick ins Wohnzimmer, wo ihr Vater auf dem Sofa saß und leise fernsah.
„Papa? Ich gehe jetzt", ließ sie ihn wissen, woraufhin Markus in ihre Richtung sah und ihr ein warmes Lächeln schenkte.
„Ist gut. Viel Spaß mit deinem David, ja?"
„Er heißt Daniel. Und... er ist nicht mein Daniel", berichtigte sie den Mann. „Wir kennen uns ja noch nicht einmal richtig."
„Stimmt, Daniel... du weißt doch, ich und Namen. Aber trotzdem, mach' dir einen schönen Nachmittag."
„Ist ja nicht schlimm. Und... ich wird's versuchen. Ich stelle unten noch die Wäsche an, bevor ich gehe."
Nora zögerte einen Moment, ging dann aber zu ihrem Vater hinüber und gab ihm einen Kuss auf die Wange.
„Bis nachher, Papa."
Das Mädchen ging in den Flur, zog sich Mantel und Stiefel an, verstaute Handy, Schlüssel und Geldbeutel in einer kleinen Umhängetasche, und klemmte sich dann den Wäschekorb, den sie sich bereits an die Tür gestellt hatte, unter den Arm, bevor sie die Wohnung verließ. Ihr Weg führte sie zunächst hinunter in die Waschküche im Keller, in der die meisten Anwohner ihre Waschmaschinen stehen hatten. Sie beeilte sich damit, die Wäsche anzustellen, und warf noch einmal einen kurzen Blick auf ihr Handy, als sie wieder nach oben ging und das Haus verließ. Es war sieben Minuten vor drei, also würde sie den Zug um kurz nach drei locker erwischen, weswegen sie sich noch in aller Ruhe die Kopfhörer in die Ohren steckte, ihre Lieblingsplaylist anmachte und Sebastian eine kurze Nachricht schrieb, bevor sie sich auf den Weg zu dem kleinen Bahnhof machte.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 30.12.2022 23:08.

Honeybunny
Gelöschter Benutzer

Re: all this bullshit [Coming of Age]

von Honeybunny am 10.12.2022 21:38

3. Mittwoch II
     

Eigentlich hatten sie abgemacht, dass sie sich am Kino treffen würden, weswegen Nora zu Recht überrascht war, als sie Daniel am Klemsburger Bahnhof am Gleis warten sah. Ihr Griff um die Haltestange wurde ein wenig fester und mit einem Mal stieg ihre Nervosität ins Unermessliche.
Ich hätte zuhause nochmal aufs Klo gehen sollen, schoss es ihr durch den Kopf, doch sie atmete tief durch und bemühte sich, mit einem Lächeln aus dem Zug zu steigen, nachdem sich die Türen geöffnet hatten. Wenn er sich an ihre Abmachung gehalten hätte, dann hätte sie noch ein paar Minuten Zeit gehabt, um sich auf dieses Date vorzubereiten, so kam sie sich jedoch vor, als hätte man sie ins kalte Wasser geworfen – aber da musste sie jetzt wohl oder übel durch.
Nora bedauerte es, dass sie Billy Joel mitten im Lied unterbrechen musste, aber sie zog ihre Kopfhörer raus, immerhin wollte sie Daniel gegenüber nicht unhöflich sein. Dieser zog sie, kaum dass sie ihr Handy weggesteckt hatte, in eine Umarmung, die ein wenig inniger ausfiel als ihr lieb gewesen wäre. Dennoch legte sie ebenfalls ihre Arme um ihn und drückte ihn sachte, wenngleich auch nur für einen kurzen Moment, bevor sie auch schon wieder von ihm abließ.
„Hey... ich dachte, wir treffen uns erst am Kino?", sprach sie seine unerwartete Anwesenheit vorsichtig an.
„Ich weiß, aber ich dachte, du freust dich, wenn ich dich abhole. Das... tust du doch, oder?", fragte der 16-Jährige, wobei er ungewohnt unsicher klang.
„Ja... ja, natürlich", bestätigte Nora ihm, woraufhin er ihre Hand nahm und diese leicht drückte.
„Super!", kam es nun wieder so selbstsicher wie immer von Daniel, der sich dann mit ihr in Bewegung setzte.
Die Blondine versuchte, ihre Verunsicherung zu überspielen, aber wie es schien, bekam Daniel davon gar nichts mit, als er mit ihr über die Treppe das Bahngleis verließ, durch die Unterführung ging und auf der anderen Seite mit ihr die Rampe, die direkt zur Straße führte, hinaufging.
„Sag mal... hast du eigentlich eine Ahnung, was läuft? Ich hab total vergessen nachzusehen", unternahm Nora den glücklicherweise erfolgreichen Versuch, das Schweigen, das kurzzeitig zwischen ihnen eingesetzt hatte, zu brechen.
„Ich habe absolut keine Ahnung", erwiderte Daniel mit einem leisen Lachen und sah kurz zu dir, nachdem sie die Straße am Zebrastreifen überquert hatten. „Es ist eben eine Überraschung."
Eine Überraschung, bei der einem wirklich keine andere Wahl blieb; wortwörtlich, denn das Kino in Klemsburg war klein. So klein, dass es nur einen einzigen Saal besaß und problemlos von einer einzigen Person geführt werden konnte. Daher lief immer nur ein einziger Film zur Vorführzeit, und was auch immer für halb vier angesagt war, würden sie sich wohl oder übel auch ansehen müssen, wenn sie ihren Plan nicht kurzfristig ändern wollten.
Das Kino lag keine fünf Minuten Fußweg vom Bahnhof entfernt und als sie das unscheinbare Gebäude erreicht hatten, blieben sie beide noch einen Moment davor stehen, um sich die Filmplakate, die in den alten Schaukästen hingen, anzusehen.
„Der Duft von wildem Thymian", las Daniel laut vor und legte leicht die Stirn in Falten. „Mit Emily Blunt und Jamie Dornan... ist das nicht der Typ aus Fifty Shades of Grey?"
Nora sah sich das Plakat ein wenig genauer an und kam bei der Bemerkung ihrer Begleitung nicht um ein Schmunzeln herum.
„Ich hab neulich den Trailer dazu gesehen. Soll wohl so eine dramatische Comedy-Romanze sein. Und ja... das ist Mr. Grey", fügte sie amüsiert hinzu. „Aber Emily Blunt mag ich viel lieber."
„Dann schauen wir uns also eine dramatische Comedy-Romanze an", stellte Daniel fest, allerdings konnte Nora nicht ausmachen, ob das wirklich für ihn in Ordnung war oder nicht. „Na, komm."
Er ging mit der Jüngeren hinein, wobei er feststellte, dass vor ihnen an der Kasse nur zwei weitere Paare waren. Es war keine Seltenheit, dass nur eine Handvoll Leute im Kino saßen, gerade unter der Woche wurde es nie voll.
„Zweimal... Mitte Mitte", meinte Daniel zu dem Mann, der an der Kasse stand und dem das kleine Kino auch gehörte. „Brauchen Sie unsere Schülerausweise?"
„Nein, das passt schon", erwiderte er mit einem warmen Lächeln. „Snacks?"
„Was möchtest du haben?", wollte Daniel von Nora wissen, die eigentlich schon dabei gewesen war, ihren Geldbeutel herauszuholen. „Ich lade dich natürlich ein."
Das Mädchen hielt inne und blickte den Älteren ein wenig unsicher an. Wenn sie eine Weisheit von ihrer Mutter gelernt hatte, dann war es die, sich bei einem Date immer die Rechnung zu teilen.
Bei Männern hängt das Gehirn zwischen den Beinen. Glaub mir, wenn ich darauf bestanden hätte, dass ich meine Cocktails selber bezahle, gäbe es euch gar nicht und ich hätte mein Studium nicht abbrechen müssen.
Nun, vielleicht war es auch keine Weisheit und sie hatte sich nur beschwert, aber kurz danach hatte Katja sich einem anderen Mann an den Hals geworfen – einem Mann, der ihr die nötige Freiheit ließ; zumindest behauptete sie das. Aber abgesehen davon gingen sie beide noch zur Schule und Daniel machte das sicher nicht, weil er sie ins Bett bekommen wollte... oder?
Nein, natürlich nicht, du dumme Kuh, schelte sie sich selbst, nickte schließlich zustimmend und steckte ihren Geldbeutel wieder weg.
„Danke, das ist echt lieb von dir", meinte sie mit einem leichten Lächeln. „Ich nehme ein mittleres Popcorn und eine Cola."
„Ich nehme dasselbe", fügte Daniel hinzu.
„Macht dann 20 Euro", meinte der Mann hinter der Kasse, während er anfing, das frische Popcorn in zwei Tüten zu füllen.
Nora atmete tief durch und nahm die Getränke, während sich Daniel, nachdem er bezahlt hatte, um das noch warme Popcorn kümmerte.
„Hey, der Pärchensitz ist noch frei", stellte er fest, als sie den Saal betraten und die mittlere Reihe ansteuerten. „Den nehmen wir", entschied er.
Dort angekommen stellte er das Popcorn auf den freien Sitz daneben und nahm ihr dann die Flaschen ab, die er in die Getränkehalter, die an den Sitzen vor ihnen angebracht waren, stellte. Nora sah sich kurz im Saal um; neben ihnen waren noch sechs andere Leute da. Wenn man bedachte, dass in dem erstaunlich großen Saal eigentlich mehr als hundert Besucher Platz hatten, hatte es schon fast etwas seltsames, dass nur so wenige Leute dort waren. Nora zog ihren Mantel und ihre Mütze aus, legte beides samt ihrer Tasche auf den freien Sitz neben sich und fuhr sich kurz durch die schulterlangen blonden Haare, um sie wieder ein wenig zu richten.
„Ich hole mir noch schnell eine Decke von oben, ja?", ließ sie Daniel wissen, doch bevor sie sich in Bewegung setzen konnte, schob er sich bereits an ihr vorbei.
„Ich mach das, setz dich ruhig schon", entgegnete er ihr, woraufhin Nora sich setzte und nochmals ihr Handy heraussuchte.
Sind jetzt im Kino. Daniel hat mich von Bahnhof abgeholt, tippte sie zügig eine Nachricht an Sebastian.
Kaum, dass sie das Smartphone wieder weggesteckt hatte, kam Daniel mit einer der weichen Decken, die oben am Eingang zum Saal lagen, zurück, faltete sie auseinander und legte ihr diese um die Schultern.
„Gut so?", wollte er wissen, was Nora mit einem leichten Nicken beantwortete. „Gut."
In der Zwischenzeit hatte bereits die Vorschau angefangen, weswegen Daniel sich nun auch wieder setzte und sein Popcorn auf den Schoß nahm. Nora schielte einen Moment zu ihm hinüber, tat es ihm dann aber gleich und richtete ihren Blick auf die Leinwand. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte, wobei es Daniel offenbar genauso ging. Ob er das Schweigen auch so unangenehm fand wie sie? Vielleicht machte sie sich auch einfach nur zu viele Gedanken, denn sie wollte schlichtweg nichts falsch machen.
    
Der Film lief bereits eine ganze Weile, als Nora spürte, wie Daniel einen Arm um ihre Schultern legte. Die bloße Berührung sorgte dafür, dass sich ihr Herzschlag beschleunigte, jedoch war sie sich nicht ganz sicher, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. Sie sah vorsichtig zu ihm hinüber, musterte sein Profil, denn sein Blick war fest auf die Leinwand gerichtet.
Trau dich was, Nori, hatte Sebastian ihr am Mittag im Bus noch gesagt. Er scheint doch ein echt toller Kerl zu sein.
Dagegen konnte sie eigentlich nichts sagen, denn Daniel war wirklich ein toller Kerl. Aber reichte das? Er hatte ihr zwar gesagt, dass er sie mochte, aber nicht, dass er in sie verliebt wäre. Sie mochte ihn auch, aber ob sie verliebt war? Sie konnte ja nicht einmal sagen, wie sich Verliebtsein anfühlte. Natürlich hatte sie versucht, das herauszufinden und hatte es sogar gegoogelt.
Wenn man in jemanden verliebt ist, hat man ein komisches Kribbeln im Bauch. Das Herz klopft einem bis zum Hals, sobald sich die Person nähert. Man wird nervös und kriegt feuchte Hände. Vor lauter Aufregung bekommt man vielleicht keinen Ton heraus und wird rot im Gesicht.
Das war die erste Erklärung, die ihr angezeigt worden war. Gerade klopfte ihr das Herz bis zum Hals, ihre Hände waren feucht – vielleicht lag das aber auch nur daran, dass sie diese die ganze Zeit unter der warmen Decke hatte – und sie war aufgeregt. Das kam der Erklärung doch sehr nahe, oder nicht?
Also gab sich Nora einen Ruck, rutschte ein Stück näher zu Daniel, immerhin hatten sie auf ihrem Sitz keine störende Lehne zwischen sich, und lehnte sich an ihn, was er damit beantwortete, dass er seinen Arm nun richtig um sie legte. Es war ungewohnt, gleichzeitig aber auch irgendwie ganz angenehm. Nora atmete tief durch – das lief doch eigentlich ganz gut.
    
Als der Film schließlich zu Ende war, der Abspann anfing und die Lichter im Saal wieder angeschaltet wurden, setzte sich Nora auf und wischte sich hastig über die Augen.
„Hey... weinst du?", fragte Daniel, richtete sich auf, kramte ein Päckchen Taschentücher aus seiner Jackentasche und reichte es dir.
Ja, du Idiot, sicher schon seit zehn Minuten.
Das sagte sie natürlich nicht laut, stattdessen schniefte sie, nahm sich eines der Taschentücher und wischte sich die Tränen weg.
„Danke... und tut mir leid, irgendwie... hat mich das doch ziemlich mitgenommen."
Was genau sie so mitgenommen hatte, konnte sie gar nicht sagen. Rosemary und Anthony, die so lange gebraucht haben, um zueinander zu finden, oder die Beziehung zu ihren Eltern oder wie genau diese mit ihnen umgegangen waren – vielleicht war es auch alles davon.
„Dafür musst du dich nicht entschuldigen. Ist doch voll okay", entgegnete Daniel ihr und schenkte ihr ein Lächeln. „Wollen wir noch was machen, oder...?"
„Ich weiß nicht...", erwiderte Nora, holte dann aber ihr Handy heraus. „Es ist halb sechs... das Café macht ja auch gleich zu und um kurz nach sechs fährt ein Zug, den könnte ich nehmen. Ich habe meinem Bruder versprochen, dass ich ihn nachher ins Bett bringe."
„Du könntest doch noch ein bisschen mit zu mir. Meine Mutter würde dich bestimmt nach Hause fahren, dann bist du pünktlich da, wenn dein Bruder ins Bett geht."
Nora dachte ernsthaft über sein Angebot nach, schüttelte dann aber leicht den Kopf. Sie wollte ja nicht bloß wegen ihrem Bruder nach Hause; sicher blieben die Wäsche und auch der Abwasch wieder an ihr hängen, ihre Hausaufgaben musste sie auch noch machen und Maxime ins Bett bringen... im Grunde war das ein ziemlich normaler Tag für sie, aber gerade dann, wenn sie auch noch Schule hatte, zerrte es doch ziemlich an ihr.
„Versteh' mich nicht falsch, ich fand es super mit dir, aber ich würde wirklich gerne nach Hause."
Daniel wirkte ein wenig enttäuscht, aber er nickte verständnisvoll und schenkte ihr im nächsten Moment schon wieder ein Lächeln.
„Gar kein Problem. Aber... ich besorge dir noch eine heiße Schokolade und bringe dich zum Bahnhof, okay? Dann musst du nicht so alleine in der Kälte stehen."
„Okay", stimmte Nora mit einem leichten Lächeln zu. „Das klingt gar nicht so übel."
Die beiden suchten ihre Sachen zusammen, brachten die Decke und ihre leeren Flaschen zurück, wobei Nora den Rest ihres Popcorns irgendwie in ihrer Tasche verstaute. Das kleine Café lag auf dem Weg zurück zum Bahnhof und glücklicherweise hatten sie die Maschinen noch nicht abgestellt, sodass Daniel ihnen beiden jeweils eine heiße Schokolade zum Mitnehmen besorgte. Auf dem restlichen Weg und auch am Bahnhof selbst hielt Daniel ihre Hand, während sie sich über belanglose Sachen unterhielten. Nora nippte immer wieder an ihrer heißen Schokolade, die sie von Innen warm hielt, und sie merkte, dass sie sich doch recht wohlfühlte. Daniel war wirklich sehr nett und er gab sich Mühe, wenngleich er sich manchmal vielleicht ein kleines bisschen zu sehr bemühte, zumindest aus ihrer Sicht.
„Da kommt mein Zug schon", meinte sie, als sie sah, wie der Zug um die Kurve kam.
Gerade als sie Daniels Hand loslassen wollte, zog dieser sie näher an sich und ehe sie sich versah, küsste er sie bereits. Er schmeckte nach Schokolade und nach Zimt, aber Nora war zu perplex, um den Kuss zu erwidern. Es war ein unschuldiger Kuss gewesen, kurz und sanft und... sie hatte die Augen nicht geschlossen. Hatte er das mitbekommen? Er hatte die Augen geschlossen gehabt... verdammt, romantisch ging aber anders.
„Schreibst du mir, wenn du zuhause bist?", wollte Daniel wissen, als der Zug hielt – na gut, vielleicht war es wenigstens für ihn romantisch gewesen und er hatte nicht bemerkt, dass sie sich wie eine Idiotin angestellt hatte.
„Mache ich, ja", versprach sie. „Dann... sehen wir uns morgen."
„Wir sehen uns morgen, ja", bestätigte Daniel mit einem Lächeln und drückte nochmals sanft ihre Hand, bevor er sie in den Zug steigen ließ.
Als sich die Türen schlossen und sich der Zug langsam in Bewegung setzte, sah Nora nochmals hinaus zu Daniel, hob die freie Hand und winkte ihm zum Abschied. Sobald er außer Sicht war, fuhr sie sich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die Lippen. Das war also ihr erster Kuss gewesen.
Und sie hatte dabei nichts gespürt.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 30.12.2022 23:08.

Honeybunny
Gelöschter Benutzer

Re: all this bullshit [Coming of Age]

von Honeybunny am 15.12.2022 22:18

4. Donnerstag
    

Nora hatte sich in ihre angestammte Ecke in der kleinen Schulbücherei gesetzt, hatte die Beine auf dem Stuhl angezogen und ihre Arme darum gelegt, und sah dabei zu, wie draußen vereinzelt kleine Flocken vom Himmel fielen. Sie war unfassbar müde und wäre am liebsten zuhause geblieben, hätte sich tief unter ihrer Decke vergraben, aber sie konnte nicht ständig die Schule sausen lassen. Es hatte eine Ewigkeit gedauert, bis sie ihren Vater endlich aus dem Bett bekommen hatte, aber er musste sich um Maxime kümmern, ob es ihm passte oder nicht.
„Nori, da bist du ja!", erklang Sebastians besorgte Stimme, ehe er sich im nächsten Moment auf den freien Platz ihr gegenüber setzte. „Wo warst du denn? Du hast mir gar nicht geschrieben."
Das Mädchen atmete tief durch, sah zu ihrem besten Freund und zuckte dann leicht mit den Schultern.
„Maxime hat Fieber bekommen und die halbe Nacht gekotzt. Ich hab kaum ein Auge zubekommen und Papa musste heute Morgen erst alles mit der Arbeit klären, bevor er sich um ihn kümmern konnte", erklärte sie ihm dann und versuchte sich an einem Lächeln. „Und ich habe ja nur die zwei Stunden Sport verpasst, davon geht die Welt nicht unter."
„Warum hat Markus das nicht früher geklärt?", wollte Sebastian wissen, wobei er alles andere als begeistert aussah. „Er wusste das ja nicht erst seit heute Morgen, oder? Hast du dich alleine um Maxime gekümmert?"
„Er war gestern Abend super müde, da wollte ich ihn einfach nicht wecken", entgegnete Nora ihm direkt. „Jetzt kümmert er sich ja um Maxi. Und es war doch nur Sport, alles cool."
Basti sah sie noch einen Moment zweifelnd an, atmete dann aber tief durch und nickte.
„Okay, wenn du meinst... du siehst halt nur echt müde aus, Nora."
„Ich schlafe eine Runde, wenn ich nachher nach Hause komme. Mach dir keinen Kopf."
„Na gut."
Einen Moment herrschte Schweigen zwischen ihnen und nur die Gespräche der Schüler an den anderen Tischen waren zu hören, dann schien Basti etwas einzufallen.
„Übrigens! Wie war dein Date mit Daniel? War es gut? Habt ihr euch geküsst? Du hast gestern gar nichts mehr erzählt. Und ich glaube, er hat heute Morgen an der Bushalte auf dich gewartet."
Nora spürte, wie sich etwas in ihr anspannte. Eigentlich war es im Kino ganz cool gewesen, aber dieser dumme Kuss... darüber hatte sie sich, wenn sie sich nicht gerade um ihren Bruder hatte kümmern müssen, den Kopf zerbrochen. Daniel war echt lieb zu ihr gewesen, aber sie hätte sich doch irgendwie gewünscht, dass er sie nicht geküsst hätte. Zumindest nicht einfach so, denn sie war gar nicht darauf vorbereitet gewesen.
„Der Film war super. Er hat mir danach noch eine heiße Schokolade spendiert und wir haben uns eigentlich ganz gut unterhalten."
„Und weiter?"
Sebastian beugte sich ein wenig über den Tisch und sah sie abwartend an, woraufhin Nora unwillkürlich grinsen musste, weil ihm die Neugierde deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
„Und er hat mich geküsst, bevor ich in den Zug gestiegen bin."
„Ich wusste es!", rief Sebastian aus und klatschte mehrmals in die Hände, was zur Folge hatte, dass einige der Schüler an einem anderen Tisch irritiert ebenfalls applaudierten. „Und, wie war es? Kann er gut küssen? Mit Zunge? Ohne? Und hat er die Augen zugemacht? Wenn er die Augen nicht zugemacht hat, dann vergiss es lieber gleich wieder."
Nora vergrub sich ein wenig weiter in ihrem hellblauen, eigentlich viel zu großen Hoodie. Die Situation war ihr unangenehm und die Tatsache, dass Basti die halbe Bücherei an ihrem Gespräch teilhaben ließ, machte es nicht besser.
„Nicht so laut, okay? Muss ja nicht gleich die ganze Schule wissen...", murmelte sie, woraufhin Sebastian sie zunächst mit großen Augen ansah, dann aber nickte.
„Sorry, ehrlich. Ich bin nur so wahnsinnig aufgeregt. Ich weiß, war nicht mein Date, aber das meiner besten Freundin. Und ich muss doch wissen, ob der hübsche, große Kerl auch wirklich zu ihr passt", meinte er und streckte ihr versöhnlich seine Hände entgegen.
Nora seufzte, setzte sich dann aber richtig hin und legte ihre Hände in seine, die er im Gegenzug sanft drückte.
„Wenn du es mir nicht verraten willst, ist es auch okay, Nori. Du bist wie eine Schwester für mich, aber das heißt nicht, dass du mir wirklich alles erzählen musst", machte Basti ihr klar.
„Das weiß ich doch", erwiderte die Blondine und brachte nun ein aufrichtiges Lächeln zustande. „Es ist nur... keine Ahnung, ich glaube, es ist nicht ganz so cool, wie du dir das vorstellst", sprach sie endlich ihre Gedanken aus. „Ich war gar nicht darauf vorbereitet, dass er mich geküsst. Das kam so plötzlich... und ich habe auch gar nicht richtig reagiert, aber ich glaube, er hat das gar nicht so gemerkt. Vielleicht hätte ich ihn nochmal küssen sollen? Aber der Zug war ja schon da..."
„Erste Küsse laufen selten so, wie man sich das erhofft, glaube ich", erwiderte Sebastian. „Und wenn er blöd war, dann kannst du doch für dich entscheiden, dass er nicht zählt. Ihr bekommt bestimmt noch eine bessere Gelegenheit für euren richtigen, ersten Kuss."
Nora schätzte es, dass Basti sich Gedanken machte, aber sie hatte das Gefühl, dass er sie nicht richtig verstand. Klar, die Chance auf einen neuen ersten Kuss hatte sie bestimmt, aber sie war sich einfach nicht sicher, ob sie das wirklich wollte. Aber vielleicht war das einfach so, wenn man zum ersten Mal verliebt war. Dann war man verwirrt und durcheinander, wusste nicht, was man wollte und...
„Wenn man vom Teufel spricht", kam es mit gesenkter Stimme von Basti, wobei sich Noras Herzschlag merklich beschleunigte.
„Daniel? Hier?", fragte sie, richtete sich hektisch den Hoodie und fuhr sich durch die Haare, in dem eher aussichtslosen Versuch, wenigstens halbwegs ordentlich auszusehen.
Basti nickte und im nächsten Moment saß Daniel bereits auf dem freien Platz neben ihr. Sein Deo und der Geruch von seinem Waschmittel waren das erste, was ihr auffiel, bevor sie sich zu ihm drehte und ihn entschuldigend anblickte.
„Hey...", sagte sie vorsichtig.
„Hey. Ich wollte fragen...", setzte er an, sah dann aber zu Sebastian, der sich direkt daran machte, seine Sachen zusammenzusuchen, um die beiden alleine zu lassen, doch Nora schüttelte den Kopf.
„Basti, du kannst ruhig bleiben", versicherte sie ihm, denn im Augenblick wollte sie auch gar nicht, dass ihr bester Freund sie allein ließ.
Es brachte sie nur immer wieder in ziemlich unangenehme Situationen, wenn sie mit Daniel allein war, und sie fühlte sich mit Sebastian an ihrer Seite einfach wohler. Der Zehntklässler schien zuerst nicht sehr begeistert zu sein, nickte dann aber und wandte sich der Blondine wieder zu.
„Warum hast du gestern nicht mehr geschrieben? Ich... hab mir irgendwie Sorgen gemacht. Du wolltest mir schreiben, wenn du zuhause bist. Und heute Morgen warst du auch nicht da, ich wollte dich eigentlich vom Bus abholen."
Daniel wirkte enttäuscht, vielleicht auch verletzt, und das verursachte Nora ein schlechtes Gewissen. Sie hatte nicht gewollt, dass er sich ihretwegen schlecht fühlte, aber im Moment fiel es ihr wahnsinnig schwer, die Situation vernünftig zu erklären.
„Ihrem Bruder ging es nicht gut", sprang Sebastian für sie ein. „Gestern Abend schon nicht. Und Nora hat sich um ihn gekümmert, ihr Vater arbeitet echt viel..."
Daniel blickte kurz zu dem Jüngeren, sah dann aber wieder zu Nora. Er wirkte nicht mehr ganz so enttäuscht, dafür aber nun besorgt.
„Stimmt das?", wollte er wissen. „Warst du die ganze Nacht wach? Du siehst wirklich müde aus."
Nora atmete tief durch, dann nickte sie leicht. Das war zwar nur die halbe Wahrheit, aber zumindest war überhaupt irgendetwas davon wahr.
„Tut mir leid... ich hab dann einfach nicht mehr daran gedacht. Das lag nicht an dir oder so, wirklich nicht", versicherte sie ihm und zuckte ein wenig hilflos mit den Schultern. „Ehrlich, es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass du dich schlecht fühlst."
„Alles gut, ehrlich", entgegnete Daniel ihr und griff nun nach ihrer Hand, die er leicht drückte. „Ich habe mir nur Gedanken gemacht. Wie geht es deinem Bruder? Ist wieder alles okay?"
„Heute Morgen ging es dann wieder. Mein Vater hat sich freigenommen, damit er auf ihn aufpassen kann."
Sebastian sah zwischen den beiden hin und her, wobei sein Blick einen Moment länger an Daniel hängen blieb. Er atmete tief durch, um ein Seufzen zu unterdrücken, nahm dann aber seine Sachen und ließ die beiden allein, nachdem er sicher war, dass Nora das hinbekommen würde; immerhin würden sie sich in ein paar Minuten ohnehin wiedersehen.
„Das ist gut. Ich hoffe, das bleibt auch so. Weißt du, du bist eine wahnsinnig liebevolle Person, Nora. Du kümmerst dich immer um andere... das finde ich echt toll", meinte Daniel und schenkte ihr nun wieder sein altbekanntes Lächeln – umwerfend, hätte Basti jetzt sicher gesagt.
„Ich... gebe mir eben Mühe", erwiderte Nora ein wenig verlegen.
„Ich finde das cool, ehrlich", versicherte Daniel hier nochmals, beugte sich zu ihr hinüber und gab ihr einen Kuss auf die Wange, wobei es kurz darauf zum Ende der Pause klingelte. „Bevor ich es vergesse... ich hab Samstag ein Spiel. Magst du vielleicht kommen und mich anfeuern? Wir könnten doch danach noch etwas machen. Also... falls du nichts anderes vorhast."
Nora zögerte einen Moment und nutzte die Zeit, in der sie ihren Rucksack auf ihren Schoß hob, um darüber nachzudenken, nickte dann aber leicht. Sebastian hatte keine Zeit, Maxime übernachtete bei einem Freund... also war das vielleicht gar keine schlechte Idee.
„Klar, warum nicht. Ich komme gerne", stimmte sie zu und schenkte ihm ein Lächeln.
„Super! Was hast du jetzt? Soll ich dich noch bringen?"
„Musst du nicht, ich hab Kunst. Ganz oben."
„Das macht doch nichts, ich-"
„Ich will nicht, dass du wegen mir zu spät kommst", unterbrach Nora ihn und stand auf, wobei sie ihren Rucksack auf eine Schulter zog. „Wir... ich meine, vielleicht sehen wir uns nochmal nach der sechsten?"
Auch Daniel stand nun auf und stimmte mit einem Nicken zu.
„Das klingt gut. Wir könnten uns hier unten treffen und ich begleite dich zur Bushaltestelle? Danach muss ich gleich zum Training."
„Passt doch", meinte Nora mit einem Lächeln, zögerte noch einen Augenblick, umarmte Daniel dann aber zum Abschied.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 30.12.2022 23:08.

Honeybunny
Gelöschter Benutzer

Re: all this bullshit [Coming of Age]

von Honeybunny am 30.12.2022 23:10

5. Samstag
   

Es war kein besonders gutes Wetter zum Fußballspielen, zumindest war Nora dieser Meinung. Es nieselte bereits den ganzen Tag und der Schnee hatte sich in eine graubraune, matschige Pampe verwandelt, auf der sie auf dem kurzen Weg von der Bushaltestelle zu dem kleinen Stadion mindestens dreimal fast ausgerutscht wäre. Daniel hatte sie vor dem Spiel nicht mehr erwischt, aber er war in der Halbzeit kurz zu ihr gekommen, um ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Zumindest ihm schien das Wetter nichts auszumachen, er hatte bis über beide Ohren gestrahlt und Nora konnte sich nicht daran erinnern, ihn jemals ausgelassener gesehen zu haben. Sie mochte Fußball eigentlich nicht, nicht im geringsten, aber Daniel hatte sie dabei haben wollen, also war sie auch gekommen. Außerdem wollten sie danach in das nahegelegene Schwimmbad, das nach langen Renovierungsarbeiten fast pünktlich zum Jahresanfang endlich wieder geöffnet hatte – dafür nahm sie es auch in Kauf, fast zwei Stunden im kühlen Nass zu stehen und ein paar Jungs dabei zuzusehen, wie sie einem Ball hinterherrannten und sich schmutzig machten.
Sie hatte zwar kaum eine Ahnung von Fußball, aber zumindest konnte sie die beiden Mannschaften auseinanderhalten und für Daniel ein wenig jubeln, denn ihn so ausgelassen zu sehen versetzte auch sie, trotz des Wetters, in eine ziemlich gute Stimmung. Tatsächlich gewann seine Mannschaft sogar 3:1, was sie dazu veranlasste, am Schluss ein wenig lauter zu jubeln – und dabei dauerte es nicht lange, bis Daniel zu ihr sah und im nächsten Moment zielstrebig auf sie zuging. Nora sah ihn ein wenig verdutzt an und trat einen Schritt zurück, als er über die Laufbahn kam, sich unter dem Geländer, das Tribüne und Laufstrecke voneinander trennte, hindurchbückte und somit direkt vor ihr zum Stehen kam. Mit plötzlich ziemlich heftig schlagendem Herz sah sie zu ihm auf, sicher nur für einen kurzen Augenblick, der ihr aber wie eine Ewigkeit erschien – eine Ewigkeit, bis er ihr Gesicht in beide Hände nahm und sie küsste.
Auf den Mund.
Vor allen anderen Leuten.
Nora hörte vereinzelte Jubelschreie um sie herum, Anfeuerungsrufe, die ganz eindeutig Daniel galten. Sie erwiderte den Kuss, wenngleich eigentlich nur, weil sie sich irgendwie dazu gedrängt fühlte, immerhin konnte sie ihn vor all diesen Leuten doch nicht einfach von sich schieben. Aber dieser Kuss war anders als der nach ihrem Date, er war länger, intensiver, und ließ sie ziemlich atemlos zurück, als sich der Ältere wieder von ihr löste.
„Ich hole nur meine Sachen und verabschiede mich, dann können wir gleich los", meinte er mit einem Strahlen, drückte ihr noch einen kurzen Kuss auf die Lippen und ließ dann von ihr ab, um zurück zu den anderen zu gehen.
Kaum, dass er ihr den Rücken zugekehrt hatte, wischte sich Nora hastig über die Lippen und drehte sich zu der kleinen Tribüne hinter sich, auf der sie ihre Sachen abgelegt hatte, und griff nach ihrer Tasche. Sie wollte ihrem Instinkt folgen und einfach gehen, aber irgendetwas in ihr riet ihr dazu zu bleiben. Vielleicht war es der Anstand oder die Tatsache, dass sie Daniel nicht verletzen wollte, aber anstatt zu verschwinden, schulterte sie ihre Tasche und lehnte sich gegen das Geländer, um auf ihn zu warten.
Sie fand es nicht in Ordnung, dass er sie einfach geküsst hatte - schon wieder - aber sie wollte ihm nicht böse sein. Er gab sich riesige Mühe und er mochte sie ganz offensichtlich; das sollte sie doch eigentlich freuen. Es gab etliche Mädchen, die auf ihn standen, aber Daniel stand auf sie – und irgendwie war das ein ziemlich gutes Gefühl. Und Basti hatte doch gesagt, dass sie auch ein bisschen Glück verdient hatte.
Vielleicht war Daniel ihr Glück.

Es hatte nur ein paar Minuten gedauert, bis Daniel wieder bei ihr gewesen war, sodass sie kurz darauf Hand in Hand zum Schwimmbad gingen. Es waren keine fünf Minuten Fußweg, trotz der graubraunen, matschigen Pampe, und als sie an der Kasse des Hallenbads standen, bestand Nora darauf, auch den Eintritt für Daniel zu bezahlen – die fünf Euro waren aber auch wirklich nicht die Welt und nachdem er sie am Mittwoch zum Kino eingeladen hatte, wollte sie ihm zumindest eine Kleinigkeit zurückgeben.
Sie gingen noch gemeinsam nach unten, aber bei den Umkleiden trennten sich ihre Wege zunächst, wobei Nora sich einen Moment nahm, um sich kurz umzusehen. Das hässliche Gelb der Kabinen war einem angenehmen Türkis gewichen, alles wirkte ein wenig moderner, wenngleich sich dort unten eigentlich sonst nicht viel verändert hatte. Sie schob eine der Türen zu einer Kabine auf, verschloss sie hinter sich und stellte ihre Tasche auf der schmalen Bank ab, bevor sie sich aus ihrer Jacke schälte und diese aufhing. Anschließend fiel ihr Blick in den kleinen Spiegel, der an der Wand hing, wobei sie sich einen Moment nahm, um ihr Gesicht zu mustern. Ihre Wangen waren von der Kälte ein wenig gerötet und sie sah müde aus, aber das war eigentlich kein ungewohnter Anblick. Sie löste sich von ihrem Spiegelbild, dann öffnete sie ihre Tasche und holte den blau-weiß-gestreiften Bikini heraus, bevor sie sich umzog.
Sobald sie den Bikini jedoch trug, sah sie kurz an sich herunter, ehe sie kurzerhand die Tasche ein wenig zur Seite schob und auf die Bank stieg. Sie drehte sich vorsichtig um, damit sie sich in dem Spiegel ansehen konnte. Nora fuhr ein wenig zerknirscht mit beiden Händen über ihren Bauch – sie war nicht dick, aber auch nicht unbedingt dünn, schon gar nicht ein paar Wochen nach Weihnachten. Sie musterte sich noch einen Moment lang, dann stieg sie wieder von der Bank, kramte in ihrer Tasche und holte stattdessen ihren blauen Badeanzug heraus, den sie sicherheitshalber eingepackt hatte und nun gegen den Bikini tauschte. So fühlte sie sich direkt ein wenig wohler, weswegen sie dann die Kabine verließ.
Sie suchte sich einen der freien Schränke aus, in dem sie ihre Jacke und ihre Tasche verstaute, nachdem sie sich aus dieser noch ein Handtuch genommen hatte, warf einen Euro ein, nahm sich den Schlüssel, der an einem Armband hing, und ging dann zu den Duschen. Nora beeilte sich beim Abduschen, da sie sich so schon ziemlich viel Zeit gelassen hatte, und traf an der Treppe auf Daniel, der dort auf sie gewartet hatte.
„Kannst du mir bitte mit dem Armband helfen?", wollte sie wissen und hielt ihm ihr Handgelenk hin, nachdem sie ihm den Schlüssel gereicht hatte.
„Klar", meinte er knapp und legte ihr das Armband an, bevor er mit ihr nach oben ging.
Dort traten sie durch eine Glastür und fanden sich dann in der Schwimmhalle wieder. Wie früher waren dort drei Becken, eines mit zwei Sprungtürmen, ein Schwimmer- und ein Nichtschwimmerbecken. Im Grunde war auch hier alles recht vertraut, es wirkte nur deutlich moderner und freundlicher als früher. Allzu viel war am frühen Nachmittag aber tatsächlich nicht los, weswegen es auch nicht besonders laut war.
„Wollen wir ein paar Bahnen schwimmen?", wollte Daniel wissen, nachdem sie ihre Sachen abgelegt hatten.
„Ich würde lieber erst ins Nichtschwimmerbecken, da ist es wärmer", meinte Nora nach einem kurzen Blick auf die Temperaturanzeigen, woraufhin Daniel nickte. „Super."
Nora schenkte ihm ein Lächeln und ging dann voran, wobei sie direkt ein angenehmes Gefühl ergriff, als sie in dem warmen Wasser war. Sie ging ein Stück in das Becken hinein und schwamm dann den Rest nach hinten an den Rand. Daniel hatte recht schnell zu ihr aufgeholt und betrachtete sie einen Moment von der Seite, bevor er wieder das Wort an sie richtete.
„Nora?"
„Hm?"
„Ich habe eine Frage."
Die Blondine konnte spüren, wie ihr Herz bei seinen Worten wieder schneller schlug. Sie schluckte leicht, wandte sich ihm dann aber zu und sah ihn abwartend an. Daniel atmete tief durch, es schien fast, als musste er für seine Frage ein wenig Mut ansammeln.
„Ich habe nachgedacht, Nora. Also, über dich und mich. Ich habe dich wirklich richtig gern und... irgendwie habe ich mich echt in dich verknallt", gab er zu. „Ich fand unser Date am Mittwoch richtig toll und als ich vorhin gesehen habe, wie du gejubelt hast... keine Ahnung, das hat sich richtig gut angefühlt."
Wurde er etwa rot? Nora atmete tief durch, ließ seine Worte einen Moment sacken, bevor sie das Wort ergriff.
„Aber... deine Frage?", erinnerte sie ihn, woraufhin der Ältere nickte und unter Wasser vorsichtig nach ihrer Hand griff.
„Ich wollte fragen... also, weil ich das Gefühl habe, dass wir uns echt gut verstehen... willst du meine Freundin sein, Nora?"
Da war sie also. Die Frage, vor der sich Nora irgendwie sogar gefürchtet hatte. Daniel war wahnsinnig nett, vielleicht ein bisschen voreilig, aber sonst sehr aufmerksam. Und sie mochte ihn ja auch, nur... nur wahrscheinlich nicht so sehr wie er sie mochte – aber vielleicht kam das noch, wenn sie dem ganzen ein wenig Zeit gab.
Also nickte sie.
„Ja", antwortete sie endlich. „Ja, ich wäre gerne deine Freundin."
Diesmal war sie es, die eine Hand auf seine Wange legte und ihn küsste. Sie konnte spüren, wie Daniel seine Arme um sie legte, sie nahe an sich zog, vielleicht auch ein wenig zu nahe. Aber daran würde sie sich bestimmt gewöhnen.
Sie konnte sich an alles gewöhnen.

Antworten Zuletzt bearbeitet am 30.12.2022 23:15.

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