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Das Zimmermädchen [FSK18]

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Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 10 - Moskau

von Alina am 08.03.2022 13:38

Ministerium für Staatssicherheit – Haus 15, Berlin (Ost),
Deutsche Demokratische Republik

Mittwoch, 20. Mai 1987

Soundtrack für diese Episode: Madonna - Who's That Girl



Quelle des Bildes

  Das Büro war nicht sonderlich gross. Die Wände waren weiss gestrichen und das kleine Büro war sehr spartanisch eingerichtet. Schon das Gebäude hatte von aussen seltsam ausgesehen, fast wie ein riesiger Plattenbau mit Wohnungen darin.
Nun wartet Cathy darauf dass sich jemand mit ihr unterhalten will. Der Koffer steht dicht neben ihren Beinen. Vielleicht würde sie die Diamanten gleich hier übergeben. Ihr wäre es sehr recht wenn alle Formalitäten heute erledigt würden. Sie wollte sich auf das Leben konzentrieren und nicht auf einen langwierigen Umgang mit der Polizei oder anderen staatlichen Behörden.

Herr Ruppert hatte sich in diesem Büro von ihr verabschiedet. Er war bis zuletzt sehr nett und zuvorkommend gewesen. Er hatte Cathy ihren Koffer tragen lassen weil sie es so gewollt hatte. Nicht mal geschmunzelt hatte er darüber. Er war ein Gentleman der alten Schule.
Die Tür öffnet sich und ein anderer Mann kommt herein. Wortlos lächelt er Cathy an, gibt ihr die Hand und nimmt dann hinter seinem Schreibtisch Platz. Er trägt eine getönte Hornbrille, einen Anzug und ist wohl um die fünfzig Jahre alt. Er hat bereits graues Haar und sein Gesicht ist von Sorgenfalten gezeichnet. Auch sein Lächeln wirkt gezwungen – wie etwas, was er nicht gewohnt ist. Cathy lässt sich nichts anmerken und setzt sich wieder, nachdem sie ihm die Hand gegeben hat.

Der Mann sieht sie an und sagt:
„Oßwald, mein Name. Guten Tag. Schön, dass Sie hergefunden haben. Dann wollen wir gleich zur Sache kommen."
Cathy sieht ihn leicht verwundert an und nickt dann leicht schulterzuckend.
Der Mann holt eine Akte hervor und legt dann ein Fahndungsplakat auf seinen Schreibtisch, darauf zu sehen ist Cathys Phantombild. Diese hebt die Augenbrauen und schaut sofort zur Tür.
Oßwald sagt: „Vor der Tür stehen zwei Soldaten mit Maschinenpistolen. Bitte machen Sie uns keine Unannehmlichkeiten."
Cathy atmet tief ein und schaut Herrn Oßwald mit eng zusammengekniffenen Augen an. Dann atmet sie wieder aus, sinkt etwas auf ihrem Stuhl zusammen und Oßwald nickt leicht.
„Sie haben die Gelegenheit uns zu sagen was wir wissen sollten. Es wird nur dieses eine Gespräch geben. Daher überlegen Sie sich gut, was Sie uns hier auftischen."
Cathy überlegt fieberhaft und nickt dann. Sie nimmt langsam das Fahndungsplakat an sich. Oßwald konnte es sich vielleicht nicht vorstellen aber sie kannte es nicht. Die Zeichnung hatte sie ganz gut getroffen, Mord in über hundert Fällen. Sie kratzt sich an der Wange und legt es wieder auf den Schreibtisch. Nun weiss sie Bescheid.

Sie musste entweder zugeben dass sie eine Mörderin war – oder sie konnte es leugnen. Dann wären die Vorwürfe vielleicht von den westdeutschen Behörden erfunden und Cathy war etwas... noch viel Interessanteres. Das wollte der Herr hier sicher herausfinden. Sie schluckt und sagt:
„Es gibt keinen einzigen Mord den man mir nachweisen kann. Das wissen Sie sicher schon. Aber ich bin auch keine Betrügerin oder eine Spionin. Ich habe keine Informationen für Sie aus dem Westen. Ich habe nur die Diamanten für Sie. Das war unsere Vereinbarung. Oder, mein Herr?"
Sie sieht Oßwald an und der nickt langsam.
„Das war unsere Vereinbarung." Eine lange Pause folgt.
„Soso, keine Informationen aus dem Westen. Nun, das ist schade. Dann gehen wir vielleicht besser davon aus, dass die Kollegen aus dem Westen vielleicht Recht damit haben uns vor Ihnen zu warnen."
Er lässt die Worte auf Cathy wirken, aber diese verzieht keine Miene. Nun trägt auch sie ihr Pokerface.
„Teilweise aufgewachsen in den Vereinigten Staaten von Amerika. Tochter eines US-Soldaten, der in Westdeutschland stationiert ist. Sicher schlägt Ihr Herz noch für die alte Heimat, oder?"
Nun lächelt er doch noch. Cathy lächelt nicht. Sie wusste, wo das nun hinführen würde. Sie räuspert sich und sieht kurz auf ihren Koffer.
Dann beugt sie sich vor, lächelt den nicht besonders einschüchternd wirkenden Mann mit funkelnden Augen an und flüstert: „Bitte schieben Sie sich meine Diamanten in Ihren faltigen Arsch, mein Herr."
Oßwald muss auch kurz durchatmen. Auch wenn hier sicher schon einige Verhöre stattgefunden hatten, solche Worte war er nicht gewohnt.
Dann nickt er und lässt sich zu der Bemerkung hinreissen:
„Gern, gnädige Frau. Falls Vater Staat keine andere Verwendung dafür findet, dann gern."
Er grinst und nimmt dann einen kleinen Hammer, wie ihn auch Richter im Gerichtssaal haben. Damit schlägt er dreimal auf seinen Schreibtisch.

Die Tür öffnet sich und er hat nicht gelogen. Zwei Männer in Uniform kommen hinein, Maschinenpistolen im Anschlag. Einer sagt nur laut und knapp: „Rauskommen."
Cathy sieht den Mann hinter dem Schreibtisch nochmal hasserfüllt an und folgt dann. Sie probiert es nicht einmal, den Koffer mitzunehmen.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.03.2022 23:32.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

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Kapitel 10 - Episode 2

von Alina am 09.03.2022 11:49

Hauptquartier von Interpol, Lyon, Frankreich
Anfang Sommer 1987

Soundtrack für diese Episode: Rick Astley - Never Gonna Give You Up


Quelle des Bildes


  Hill schaut auf die Uhr und gähnt. Gleich waren es 21 Uhr und er streckt sich. Die Überstunden würde er sich aufschreiben und morgen später ins Büro kommen.
Heute hatte er viel zu tun gehabt. Interpol nahm immer weniger Rücksicht auf die Tatsache dass er an einem äusserst zeitaufwendigen Fall sass. Zuletzt hatte er fast acht Stunden am Tag mit anderen Arbeiten verbracht. Dabei musste er nach wie vor eine Menge Statistiken sichten. Mehr und mehr kamen jedoch auch Computer zum Einsatz die die Verwaltung und Auswertung von Daten erleichtern konnten – wenn man ein Händchen dafür hatte. Er selbst hatte diesen elektrischen Kisten noch längst nicht all ihre Geheimnisse entlockt.

Vielleicht würde er bald noch mehr Zeit für diese Maschinen haben. Heute hatte er einen Anruf entgegengenommen, der ihn sehr nachdenklich gemacht hatte. Eigentlich war der Fall gelöst.
Gegen 14 Uhr hatte ihn ein Mitarbeiter der „Stasi" angerufen, wie das Ministerium für Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik bei seinen westdeutschen Kollegen und wohl auch von den Bürgern der DDR genannt wurde. Knapp hatte dieser ihn davon in Kenntnis gesetzt dass Cathy Muller in Ost-Berlin angekommen war und sich nun in einer Haftanstalt befand. Hill hatte das erst schweigend zur Kenntnis genommen. Dann aber hatte der Beamte ihn noch gefragt, was denn wirklich der Grund dafür war dass man nach Cathy fahndete. Er hatte an die politische Neutralität von Interpol appelliert – für Hill ein Witz denn die DDR, als auch anderen Länder des Ostblocks machten seiner Behörde immer wieder das Leben schwer und den Dienstweg bei Amtshilfeersuchen lang.
Er hatte dem Mann auch nichts weiter sagen können. Unausgesprochen stand im Raum dass es sich bei Cathy um eine Agentin handeln musste. Eine Amerikanerin oder eben eine Deutsche mit amerikanischen Wurzeln, die aber entweder den Westen betrogen hatte und so zu einem Vermögen gekommen oder aber vom Westen fallengelassen worden war. Aber war sie nun in der DDR um dort zu spionieren und sich vielleicht wieder dem Westen anzudienen? Man traute ihr anscheinend hinter dem Eisernen Vorhang nicht.

Hill entschuldigte sich dass er nicht weiterhelfen konnte und versicherte noch einmal, dass man Cathy eine Menge Morde vorwarf und sonst nichts, jedenfalls von Seiten Interpols. Seinerseits konnte er nun sicher sein dass sie in Haft sass und das ausserhalb seiner Reichweite – eine Situation die er schon hatte kommen sehen.
Trotzdem fühlt er sich nun leer und geht langsam alle Finger seiner Hände durch und lässt sie knacken. Bevor er nach Hause geht würde er sich einen Pernod gönnen, drüben bei François in der Bar.

                                                                ***

Cathy steht an dem vergitterten Fenster und schaut heraus auf den Hof. Nur einmal hatte sie sich so gefühlt und das war im Jahre 1943 gewesen, als sie in einer Brig der USS Enterprise in Untersuchungshaft gesessen hatte. Sie würde nicht wieder so verzweifeln wie damals. Es war sehr lange her aber es hatte sie gelehrt nicht die Hoffnung aufzugeben.
Nichtsdestotrotz fühlte sie sich unfassbar naiv. Sie hatte wirklich geglaubt, im Osten hätte man auf sie und ihre Diamanten gewartet. Die Diamanten und ihr Geld hatten sie jetzt – ein Mehrfaches der DM 100.000 die sie ihnen zugesichert hatte. Aber auf sie selbst konnte man ganz augenscheinlich verzichten.

Seit sie in diesem Gefängnis sitzt hatte sie mit niemandem gesprochen. Man hatte sie erst in Berlin in eine Zelle gebracht; schwer bewacht hatte sie dort die Nacht verbringen müssen und bereits am nächsten Tag fuhr man sie im Inneren eines kleinen Busses drei, vier Stunden zu einem anderen Gefängnis. Auch während des Transports wurde sie schwer bewacht, ausserdem hatte der Bus keine Fenster. Sie hatte also keine Ahnung wo man sie hingefahren hatte. Sie war aber sicher dass sie noch in der DDR befand. Die Leute sprachen deutsch, aber das war garantiert nicht Westdeutschland. Den Kerl von Interpol hätte sie dann auch schon längst kennengelernt, davon war sie überzeugt.

Das hatte sie also geschafft – sie hatte Interpol abgehängt und zwar für immer. Diese Zelle war bis auf weiteres ihre Heimat. Mittlerweile vertraute sie auch diesen Stimmen ein wenig. Sie würden sie nicht hier herausholen können, aber sie würden sie auch nicht hier drin sitzenlassen, oder? Das war doch reine Verschwendung. Sie würde hier herauskommen. Natürlich hatte sie sich sehr schnell die Frage gestellt was passieren würde wenn sie eingesperrt wäre. Es passierte dasselbe wie unter Deck der USS Enterprise: gar nichts. Die Stimmen verhielten sich still. Sicher war sie schon drei, vier Wochen in diesem Loch, aber die Stimmen waren wohl nicht dumm. Selbst wenn sie es schaffen würde einen Wärter zu verführen, dann wäre sie trotzdem kurz danach erledigt. Die Stimmen schienen das zu wissen.
Arbeiten muss sie nicht, jedenfalls bisher nicht. Das Essen ist aussergewöhnlich fade aber wenigstens ausreichend. Sie fühlt sich wie ein besonderer Gast; sie ist kein gewöhnlicher Häftling. Sie durfte wohl gespannt sein wer irgendwann mit ihr reden wollen würde.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.03.2022 23:32.

Alina

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  10. Wannabe Poet

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Kapitel 10 - Episode 3

von Alina am 10.03.2022 15:23

Haftanstalt Bautzen II, Nordostring, Bautzen,
Deutsche Demokratische Republik
Montag, der 10. September 1990

Soundtrack für diese Episode:
Michael Bolton - How Am I Supposed To Live Without You




Quelle des Bildes

  Beide küssen sich heftig, Cathy hält seinen Kopf mit beiden Händen während er sie an sich drückt. Dann schauen sich beide atemlos an.

„Es muss heute sein. Ich weiss nicht ob du später nochmal 'rauskommst."
Bernd spricht mit einem sächsischen Akzent und Cathy nickt. Sie hatten diese Sache seit einigen Tagen, wenn nicht gar Wochen geplant. Die Lage spitzte sich immer weiter zu. Im Sommer 1989 hatte es erste öffentliche Proteste gegen den Staat gegeben und seitdem hatten sich die Ereignisse überschlagen. Die Ausreise über Ungarn, die Montagsdemonstration in Leipzig mit 120.000 Teilnehmern, der Sturz Honeckers, der Zerfall der SED, der Beitritt zu zahlreichen Bündnissen und dann zuletzt der Einigungsvertrag zwischen der BRD und der DDR. Nun war es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Westen vollständigen rechtlichen Zugriff bekam – auch auf die restlichen Häftlinge der DDR.

Es tat Cathy nicht leid um diesen Staat; immerhin hatte er sie äusserst unfreundlich behandelt und eingesperrt, für ganze drei Jahre. Aber diese drei Jahre waren nichts im Vergleich zu dem, was sie im Westen erwartete. Sie würde entweder lebenslang sitzen und zwar garantiert oder sie würde in die USA ausgeliefert und hingerichtet. In Maryland, ihrem Heimatstaat, gab es die Todesstrafe noch immer. Sie würde jahrelang in einer Todeszelle sitzen und dann höchstwahrscheinlich durch eine Giftspritze sterben.

Am 31. August war der 'Einigungsvertrag' unterzeichnet worden. Am 3. Oktober 1990 würden die Bundesländer der DDR vollständig zum Geltungsbereich der BRD gehören, wie es offiziell hiess. Dann wäre Cathy eine Gefangene der Bundesrepublik Deutschland. Viele Häftlinge waren schon entlassen worden aber dazu gehörten vor allem die politischen Gefangenen. Schwerverbrecher verblieben natürlich in Haft. Trotz dieser Tatsache spürte man dass das Recht teilweise ausgesetzt war; zusätzlich zum Taumel der Wiedervereinigung spürten Häftlinge, Obdachlose und andere Menschen am Rande der Gesellschaft dass sie gerade vergessen wurden. Man würde sich vielleicht später wieder um sie kümmern, aber gerade schauten alle auf die historischen Ereignisse – und auch sich selbst, auf ihre eigene Stellung in dieser neuen Welt. Vielleicht war das Cathys Glück, denn so gern sie sich auch in einem Bereich aufgehalten hatte der dem westlichen Zugriff verschlossen geblieben war – sie befand sich in Haft und dies zu ändern lag auch in ihrem Interesse.

„Ich bringe dich jetzt raus. Du kennst den Plan, du hast alles was du brauchst. Das Versteck kennst du auch. Wir treffen uns in St. Petersburg, Liebes."
Cathy nickt wieder und sieht ihn an. Sie fühlt eine grosse Zuneigung in diesem Moment. Bernd war ein guter Mann. Genau wie sie hatte er in diesem neuen Staat keinen Platz, als Wärter des berüchtigtsten Gefängnisses der DDR. Er wollte in die Sowjetunion fliehen und dort wollten sie sich treffen. Am schwersten war es. ihn zu beruhigen und ihm verständlich zu machen dass sie es auch allein bis nach St. Petersburg schaffen würde. Nie wieder würde sie so naiv sein wie beim Grenzübertritt in die DDR. Das konnte sie ihm so nicht sagen, aber er wusste dass sie ein kluges Mädchen war. Er würde sie auch nie wiedersehen – auch wenn er das noch nicht wusste. Aber er würde sie nun hier herausbringen – und darauf kam es an.

Sie hatte ihn kennengelernt als er eine Wärterin ihres Blockes vertreten hatte. Wenige Tage hatten gereicht um ihm den Kopf zu verdrehen. Auch wenn sie sich danach nicht mehr sehen konnten, aber sie konnten sich Nachrichten zukommen lassen – Liebesschwüre und seinerseits das Versprechen sie hier herausbringen zu können. Unter normalen Umständen wäre Bernd nicht auf diese Idee gekommen, da war sich Cathy fast sicher. Aber dann hatte der Zerfall des Staates endgültig seinen Lauf genommen und nun war für sie die Freiheit zum Greifen nah. In diesen Tagen interessierten sich die meisten Menschen nur noch für sich. Die Wärter hatten keine Ahnung wo ihr nächster Lohn herkommen würde. Gefangene, die als Volksverräter galten und besonders verabscheuungswürdig waren, wurden einfach über Nacht freigelassen. Das ganze Wertesystem kippte, für jeden einzelnen Bewohner der DDR, ob Unterstützer oder Widersacher. Und daher war es nie so einfach gewesen einfach hier herauszumarschieren. Auch Bernd würde nicht wiederkommen. Es würde sowieso der Tag kommen an dem man ihn entlassen würde, höchstwahrscheinlich kurz nach dem 3. Oktober. Dann konnte man auch jetzt verschwinden und Cathy würde er mitnehmen.

Er nimmt sie an der Hand, drückt sie, sieht sie ein letztes Mal liebevoll an und dann legt er ihr Handschellen an.
„Du bist in zehn Minuten draussen, Liebes."
Cathy kann wieder nur leicht nicken, sie schluckt hart. Jetzt wird es ernst. Durch die Flure, durch den Hof – ganz sicher war es nicht dass es klappen würde. Es war nur sehr viel wahrscheinlicher als vor einigen Tagen oder Wochen. Eine Überführung nach Bautzen I – das war die offizielle Version die Bernd einem Kollegen gegenüber erwähnen würde, sollten sie gefragt werden. Aber davon gingen beide nicht aus. Es war alles mehr oder weniger egal. Wer fragt nach Dokumenten und Stempeln wenn die Welt ringsherum untergeht?


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.03.2022 23:33.

Alina

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  10. Wannabe Poet

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Kapitel 10 - Episode 4

von Alina am 11.03.2022 14:40

Hauptquartier von Interpol, Lyon, Frankreich
Sonntag, der 30. September 1990

Soundtrack für diese Episode: David Hasselhoff - Looking For Freedom


Quelle des Bildes

  Seit dem Sommer im Jahre 1987 hatte Hill nicht mehr so oft an Cathy Hasselmann gedacht wie zuvor. Er hatte sich grösstenteils von seinem Steckenpferd verabschieden müssen – Cathy Hasselmann zu jagen. Er hatte sich den anderen, noch öderen Arbeiten gewidmet und hatte nur hin und wieder versucht Akten zu komplettieren. Unter anderem hatte er ja Cathys Nachnamen herausgefunden, in Berlin hatte sie unter dem Namen "Cathy Muller" gelebt. Er hatte Glück gehabt dass die Behörden in der Deutschen Demokratischen Republik bereit waren ihm diesen Namen zu geben. Ein Photo besass er immer noch nicht – soviel Liebe und Kooperation gab es dann zwischen den Institutionen doch nicht. Aber er hatte alles getan, er hatte dem Ministerium für Staatssicherheit alle Akten kopiert, sie kannten Cathys richtigen Namen, ihre Herkunft und auch ihre sonderbare Geschichte. Sollten diese grauen Männer ihn doch für verrückt halten und die Russen auch. Hauptsache sie würden dafür sorgen dass Cathy nie wieder an die Luft kriechen würde. Sie mussten nicht alles glauben – aber sie sollten wenigstens Angst vor Cathy Hasselmann haben.

Und nun... nun hatte sich alles verändert. Er hoffte dass es nicht zu spät war. Noch hatten die deutschen Behörden keinen Zugriff auf die Infrastruktur der DDR und somit auf die Haftanstalten. Man konnte oder wollte ihm auch keine Auskunft über Inhaftierte geben. Die westdeutschen Kollegen sprachen von Auflösungserscheinen im Osten Deutschlands. Alles dort ging unter und bereitete sich auf den 3. Oktober vor: der Tag, an dem die Deutsche Einheit vollzogen werden sollte und der Geltungsbereich sich ausweiten würde auf die neuen Bundesländer, wie sie bereits hiessen.

An dem Tag würde er auch vollen Zugriff bekommen – jedenfalls theoretisch. Praktisch sah es sicher so aus dass niemand für ihn zuständig wäre, nicht direkt am 3. Oktober. Erst langsam würde sich die westdeutsche Bürokratie auch im Osten ausbreiten und alles erfassen und neu regeln.
Er selbst hatte diese Zeit nicht. Er würde spätestens morgen nach Berlin reisen und von dort aus nach Bautzen, wo Cathy Hasselmann wohl tatsächlich im berüchtigten 'Stasi-Knast' sass. Was sie wohl von den politischen Umwälzungen hielt? Gut gefiel es ihr sicher nicht in Bautzen, aber es konnte ihr auch kaum recht sein dass sie sich bald ihren wahren Häschern stellen musste.
Interpol und die deutsche Staatsanwaltschaft würden kein grosses Interesse daran haben, aus welchem Grund Cathy in Bautzen einsass. Aber man würde ihr den Prozess machen. Er würde die Vereinigten Staaten darum bitten, eine Auslieferung zu beantragen. Und sollte das gelingen, dann würde einen Weg finden um ihr auch die Strafe zukommen zu lassen die sie verdient hatte. Das konnte nur die Todesstrafe sein. In einigen Staaten richtete man die Verurteilten auf dem Elektrischen Stuhl hin. Das würde ihm ganz gut gefallen, denkt er und knackt mit seinen Fingern.

Er hatte daran gedacht schon früher nach Bautzen reisen, aber erstens hatte seine Arbeit in Lyon das kaum zugelassen. Sein Zeitplan hatte keine grossen Lücken mehr für die Arbeit an Cathys Fall vorgesehen. Und zweitens wollte er die Situation vermeiden nach einer langen Reise vor einem Gebäude zu stehen, welches ihm verschlossen blieb weil es immer noch eine der allerletzten Bastionen des alten Regimes war. Man wusste im Westen ja längst dass dies kein normales Gefängnis war, sondern dass dort auch Systemkritiker gefangengehalten wurden. Er wollte sich die Enttäuschung sparen wie ein Schuljunge weggeschickt zu werden. Er würde dann kommen, wenn Recht und Gesetz ihm alle Türen öffnen würden.

Er würde morgen allein reisen aber er hatte bereits Amtshilfe beantragt. Er hoffte dass Beamte aus Berlin mitkommen würden. Falls dies nicht der Fall sein sollte, würde er allein nach Bautzen reisen und dort auf die Hilfe der Polizei und der Gefängnisleitung hoffen. Das war recht viel verlangt, das sah er ein. Jeder Deutsche würde am dritten Oktober etwas anderes zu tun haben, ganz besonders Beamte die für die Sicherheit ihres Landes zuständig waren. Aber er hatte keine Wahl: er musste jedenfalls absolut sichergehen dass Cathy nicht in den Wirren der Wiedervereinigung irgendwie aus Verstehen entlassen würde. Er hatte eine Zahl gelesen dass bereits im Februar diesen Jahres zwei Drittel aller Gefangenen in der DDR entlassen worden waren. Gleichzeitig sollten alle Schwerverbrecher noch immer im Gefängnis sitzen und daran sollte sich wohl rechtlich auch nichts ändern. Aber das war graue Theorie. Er musste wissen wie es praktisch vor Ort aussah. Er musste Cathy endlich sehen. Er musste wissen, dass sie hinter Gittern sass. Und vor allem musste er sicher gehen, dass das auch so bleiben würde. Vorher würde er nicht mehr ruhig schlafen können.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 11.03.2022 23:33.

Alina

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Kapitel 10 - Episode 5

von Alina am 13.03.2022 10:33

Гостиница "Украина", Небоскреб, сталинский небоскреб в Москве, Содружество Независимых Государств
Вторник, 24 декабря 1991 г.
('Hotel Ukraine', eines der sieben Stalin-Hochhäuser in Moskau, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten von Russland am Dienstag, den 24. Dezember 1991)

Soundtrack für diese Episode: Scorpions - Wind Of Change


Quelle des Bildes

  Die Zeitung liegt aufgeschlagen auf dem Tisch. Die Sowjetunion, die 1922 gegründet worden war, war nun Geschichte und aus Russland wurde die 'GUS', die 'Gemeinschaft Unabhängiger Staaten'. Das war gewöhnungsbedürftig. Schon Anfang Dezember hatte Präsident Jelzin einen dementsprechenden Vertrag unterzeichnet – und nun vor drei Tagen durch die 'Erklärung von Alma-Ata' öffentlich bekanntgegeben.
Heute ist Weihnachten – jedenfalls für Cathy, während die Russen noch bis zum 7. Januar warten mussten, also bis auch die Russisch-Orthodoxe Kirche das Weihnachtsfest feierte. Für Cathy war jedenfalls heute Weihnachten. Aber sie würde es allein feiern müssen, denn ihres Wissens nach arbeitete keine andere Westeuropäerin derzeit im Hotel.

Sie brüht sich einen Kaffee auf und nimmt dann am Tisch der kleinen Teeküche Platz. Dann zündet sie sich eine Zigarette an und starrt aus dem kleinen Fenster, welches kaum noch durchsichtig ist und nun eher Milchglas ähnelt. Sie liebte Moskau, es war vielleicht zurzeit die aufregendste Stadt der Welt. Die USA waren ganz sicher nicht mehr das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, ihrer Meinung nach hatten sie aufgehört das zu sein, als sie selbst auf die Welt kam, um die Jahrhundertwende als der Kontinent endgültig komplett erschlossen und selbst die Besiedlung von nordwestlichen Staaten wie Oregon und Washington abgeschlossen war. Aber Moskau, oder besser die gerade zerfallende Sowjetunion war nun so ein Land der unbegrenzten Möglichkeiten – und Moskau war das Zentrum.

Cathy arbeitete im 'Hotel Ukraine', welches sich in einem der 'Sieben Schwestern' befand, den grossen Hochhäusern in Moskau die noch aus der stalinistischen Ära stammten. Ein Hochhaus war schöner als das andere und im Stil des Sozialistischen Klassizismus erbaut; beim 'Hotel Ukraine' handelte es sich um das neueste der sieben Gebäude und war in den 1950er Jahren errichtet worden.

Cathy hatte noch nie in einem solch seltsamen Hotel gearbeitet. Der Ruf des Hotels war aussergewöhnlich gut, jedenfalls war das Hotel zu Sowjetzeiten sehr beliebt gewesen. Der Standard war damals so hoch dass gerade Touristen und Gäste aus anderen Ländern hier eingecheckten. Das war auch immer noch so, aber von einem hohen Standard konnte man nicht mehr sprechen. Cathy kam es eher so vor, als würde sie in einem skurrilen Film mitspielen. Es schien so, als wäre die Stimmung der untergehenden Sowjetunion und die Stimmung einer Stadt im revolutionären Wandel hier auf einige tausend Quadratmeter komprimiert. Man hatte täglich mit Mangel zu tun, mit maroder Infrastruktur, mit einem Gemisch aus absoluter Gleichgültigkeit, einer „Dienst-nach-Vorschrift"-Mentalität und einer neu erwachenden Dienstleistungsmentalität, die zwar aus Gier erwuchs aber so naiv und unbeholfen daherkam dass Cathy darüber nur schmunzeln konnte.

Sie war dort aufgewachsen wo die Gier unverhohlener daherkam als irgendwo sonst auf der Welt und von protestantischen Ethik sogar zur Tugend verklärt worden war – in den Vereinigten Staaten von Amerika. Aus diesem Grund hatte sie fast Mitleid mit diesen beinahe tollpatschigen Versuchen, diese neue Gier auszuleben und sich zu bereichern. Auch ein kapitalistisches Russland würde Jahrzehnte brauchen um sich dem restlichen Westen anzupassen und seine Gier so zu verschleiern dass sie gesellschaftsfähig werden konnte. Denn das war vielleicht der grösste Unterschied zwischen dem New York und dem Moskau Anfang der 1990er Jahre. Hier traf kapitalistische Raffgier auf ein absolut ahnungsloses Volk – mit den dementsprechenden Zahlen von Opfern.

Das Hotel glich heute also eher einem Gruselkabinett – ein anderer Vergleich fiel ihr nicht ein. Viele Mitarbeiter erschienen nicht regelmäßig, ganze Trakte des Hotels waren komplett unbewohnt, manchmal gab es keinen Strom, manchmal kein Wasser, oft fehlte es an Waren, die zum Kochen gebraucht wurden wie sie aus der Küche wusste.
Das Hotel war nie ausgebucht, was auch fatal gewesen wäre denn man hätte nie alle Gäste beherbergen können, die das Hotel theoretisch fassen konnte. Ganze Flure von Zimmern standen komplett leer und lagen verlassen und dunkel da; viele Zimmer waren nur noch spartanisch eingerichtet, so als hätten sich Mitarbeiter schamlos bedient weil die Gelegenheit günstig war. Cathy konnte nicht glauben dass das Hotel überhaupt noch lief. Sie hatte den Besitzer noch nie gesehen, auch den Manager nur ein einziges Mal als sie eingestellt wurde. Die Prozedur hatte nicht mal zehn Minuten gedauert. Ihr Geld bekam sie freitags, bar auf die Hand. Sie hatte keine Ahnung für wen sich das Betreiben des Hotels lohnte – oder besser: sie konnte es sich vorstellen aber das hatte nichts mit legalen Geschäften zu tun.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 13.03.2022 10:34.

Alina

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  10. Wannabe Poet

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Kapitel 10 - Episode 6

von Alina am 14.03.2022 10:05

Гостиница "Украина", Небоскреб, сталинский небоскреб в Москве, Содружество Независимых Государств
Суббота, 29 февраля 1992 г.
('Hotel Ukraine', eines der sieben Stalin-Hochhäuser in Moskau, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten von Russland am Samstag, den 29. Februar 1992)

Soundtrack für diese Episode: Shanice - I Love Your Smile


Quelle des Bildes

  Es ist Samstag Abend und sie ist auf dem Weg zur Bar. Sie hat Dienst aber das war kein Grund sich nicht ein Glas Vodka zu gönnen. Entweder die Bar war unbesetzt, was leider unwahrscheinlich war um diese Uhrzeit, aber dann würde sie sich vielleicht gleich eine ganze Flasche mit aufs Zimmer nehmen oder sie würde ihren Charme spielen lassen müssen falls die Bar besetzt war.
Sofort fällt ihr der grosse und gutgewachsene Mann an der Theke auf. Sie würde vielleicht nicht mal Nikolaj schöne Augen machen müssen, dem gelangweilten Barmann der heute Dienst hatte und verdriesslich einen Kaffee braute. Vielleicht hatte dieses Bild von einem Mann an der Bar Lust auf ihre Gesellschaft, jedenfalls für eine halbe Stunde in der auch niemand nach ihr suchen würde. Cathy hatte sich selbst schon recht gut an den Schlendrian gewöhnt der hier herrschte.

Sie lässt sich neben ihn auf den Hocker gleiten und grinst ihn an. Auch er grinst sie an nachdem er seinen Blick recht schamlos, doch anerkennend über Cathys Körper gleiten lässt. Noch bevor er etwas sagt begrüsst ihn Cathy auf Englisch. Sie hofft dass er zumindest ein wenig Englisch spricht, auch wenn er nicht wie ein Geschäftsmann aussieht sondern eher wie ein Boxer. Ihr Russisch war noch nicht besonders gut und es beschränkte sich auf die Worte und Sätze, die sie in der Ausübung ihres Berufes gebrauchen konnte. Etwas bedauernd sieht er sie an und zuckt die Schultern, doch dann spricht er in einem langsamen und recht gut verständlichen Russisch, sodass Cathy einigermaßen folgen kann.

Sie erfährt dass der Mann Dimitrij heisst und wohl beruflich in Moskau ist. Sie selbst stellt sich als Kateryna Romanow vor. Dieser Nachname hatte ihr schon immer gefallen und sie stellte sich als das Kind ukrainischer Eltern vor, die aber in Ostdeutschland gelebt hatten.
Auch wenn sie ihre Geschichte nicht in Gänze erzählte, so war sie doch längst fertig gesponnen. Ihre Familie hatte es vorgezogen in den Wirrungen der deutschen Wendejahre zurück in die alte Heimat zu gehen. Und da sie es dort auf dem Lande nicht ausgehalten hatte war sie nach Moskau gegangen, natürlich um Geld für die Familie zu verdienen, als Zimmermädchen. Das verstand jeder Russe sofort, das war ein ehrenwertes Motiv.
Aus diesem Grund sprach sie Deutsch und Englisch, aber nicht besonders gut Russisch. Wie gut ihre Kenntnisse dieser fremden Sprachen genau waren, konnte hier sowieso keiner überprüfen. Auch dass sie wohl eine der wenigen Menschen aus Ostdeutschland war, die zu dieser Zeit Englisch sprechen konnten schien ihn glücklicherweise nicht zu wundern. Diese Geschichte ging also durch.

Er ist verheiratet und trägt einen Ring. Aber er gibt ihr einen Vodka aus, das scheint für ihn selbstverständlich zu sein. Sie verstehen sich auf Anhieb gut, sie mag diesen grossen Kerl und er scheint sie auch sehr gern anzusehen; er lächelt dauernd und versucht sie mit einfachen Witzchen und Sprüchen zu unterhalten.
Anscheinend besuchte er ein Seminar hier in Moskau, tatsächlich kam er aus Toljatti, einer bekannten Industriestadt im Verwaltungsgebiet Samara, im Südwesten von Russland gelegen. Die Stadt war bekannt durch ihre Lada-Werke wie er nicht ohne Stolz anmerkte. Und so vermutete Cathy dass er auch irgendetwas mit diesen Werken zu tun hatte. Vielleicht war er ein Handlungsreisender oder eben doch ein Mitarbeiter, den man nach Moskau geschickt hatte um einen Lehrgang zu machen. Ihr konnte es im Grunde egal sein.

Sie bleibt noch etwas länger, trinkt sogar insgesamt drei Vodka mit ihm. Er hat heute Geburtstag! Und er bringt Cathy zum Lachen als er ihr weismachen will, dass er sieben Jahre alt wird. Cathy kann es kaum glauben, aber er kann ihr glaubhaft versichern dass er kalendarisch gesehen im Recht ist. Heute ist der 29. Februar, im Schaltjahr 1992. Er war vor genau 28 Jahren geboren worden und hatte bisher nur siebenmal seinen Geburtstag feiern können. Erst langsam versteht sie, rechnet nach und muss dann noch mehr lachen. Darauf einen Vodka! Sie fühlt sich etwas verbunden mit ihm, diesen doch so seltenen Geburtstag wenigstens kurz mit ihm feiern zu dürfen.

Sie fragt nicht nach seiner Zimmernummer. Zu sympathisch ist er ihr, noch dazu verheiratet und die Stimmen in ihrem Kopf waren schon wieder lauter geworden. Und er sollte nicht ihr nächstes Opfer sein. Sie spürte kein Verlangen danach das Leben dieses wirklich beeindruckenden Mannes vorzeitig zu beenden.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 14.03.2022 10:05.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

Beiträge: 180

Kapitel 10 - Episode 7

von Alina am 15.03.2022 11:09

Гостиница "Украина", Небоскреб, сталинский небоскреб в Москве, Содружество Независимых Государств
Суббота, 29 февраля 1992 г.
('Hotel Ukraine', eines der sieben Stalin-Hochhäuser in Moskau, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten von Russland am Samstag, den 29. Februar 1992)

Soundtrack für diese Episode: Charles & Eddie - Would I Lie To You?


Quelle des Bildes

  Gegen Mitternacht hat sie Feierabend. Sie liebte es, nachts durch die Korridore zu streifen – noch eher die verlassenen als die bewohnten. Sie hatte es sich zur Angewohnheit gemacht ein Zimmer in einem vollständig verlassenen Korridor aufzusuchen, sich dort ans Fenster zu setzen und eine Zigarette zu rauchen. Hier hatte sie einen sehr guten Blick auf die Moskwa, den einzigen Fluss der sich durch die riesige Metropole schlängelte und der Stadt ihren Namen gegeben hatte. Obwohl das Zimmer leer war und Cathy manchmal nur für eine Zigarettenlänge lang blieb, so hielt sie das Zimmer in Ordnung. Sie aschte in einen mitgebrachten Aschenbecher und sie fegte den Raum alle zwei, drei Wochen.

Sie starrt auf die Moskwa und die sich spiegelnden Lichter im glitzernden Wasser. Sofort fährt sie herum als sie sich jemand räuspert. Sie hat ihn nicht kommen hören!
Da steht Dimitrij und er sieht sie zwar nicht so überrascht an wie sie ihn anschaut – aber er blickt sie fragend an. Sie steht auf und legt den Kopf leicht schief. Sie zeigt auf den Aschenbecher. Dieser Mann strahlte eine natürliche Dominanz aus. Sie musste sich rechtfertigen was sie hier tat – nicht er. Es wunderte sie nicht mal. Er nickt nur leicht und sagt kein Wort, legt sogar den Finger an seine Lippen und tritt ein. Dieser grosse, schwere Mann konnte laufen ohne dass man ihn hörte. Cathys Blick verengt sich als sie ihn beobachtet.
Er durchwandert das Zimmer und bleibt an einer Wand stehen. Nochmal sieht er sie ruhig an. Cathy steht nun still und steif da, legt sogar selbst einen Finger an die Lippen um ihm zu signalisieren dass sie sich ruhig verhalten wird. Er nickt leicht und scheint nun überzeugt zu sein.

Er holt etwas aus der Tasche und sieht es etwas ungeduldig an. Er schaut skeptisch, als würde er etwas abwägen. Dann blickt er sie an und macht nur eine kleine ruckartige Bewegung mit dem Kopf. Sie soll verschwinden. Sie beisst sich auf die Unterlippe und verlässt schnell aber leise den Raum. Draussen bleibt sie stehen, unschlüssig was sie nun tun soll. Vielleicht war der Kerl gefährlich aber er kannte sie ja nun schon. Und wenn sie etwas gesehen hatte was sie nicht hätte sehen sollen, dann wäre es nicht vorteilhaft wenn sie jetzt auch noch weglaufen würde. Sie selbst hatte hier auch nichts verloren – daher würde sie ganz sicher keine Meldung machen. Hinterher würde man sie noch verdächtigen hier zu stehlen.

Sie wartet erst vor dem Zimmer, dann bewegt sie sich langsam, sehr langsam in Richtung Ende des Korridors, dort wo die Aufzüge und die Treppen sind. Er kann jederzeit aus dem Zimmer kommen und sie zurückwinken, sie wartet förmlich darauf.
Nach etwa zwei Minuten kommt er wieder heraus und sofort sucht sein Blick nach ihr. Sie bleibt sofort stehen. Er winkt sie heran und geht gleichzeitig in die andere Richtung davon. Sie folgt ihm schnell und immer langsamer werdend, je mehr sie ihn einholt. Schweigend erreichen sie die Treppen auf der anderen Seite des Korridors, da wo Cathy auch hergekommen ist. Er nimmt sie an die Hand und müssen noch weitere zwei Minuten gehen ehe sie sein Zimmer erreichen. Ohne Widerstand zu leisten folgt sie ihm in sein Zimmer. Er schliesst die Türe, schliesst sie aber nicht ab. Cathy atmet leise erleichtert durch.

Er sieht sie wieder mit diesem unwiderstehlichen, bübisch-verschmitzten Grinsen an.
"Was du wollen in Zimmer?", fragt er in einem sehr gebrochenen und einfachen Englisch. Cathy sieht ihn kurz überrascht an, dann schmunzelt sie. Er konnte also doch Englisch sprechen.
"Es ist mein Lieblingszimmer wo ich ungestört bin. Ich wohne hier in einem... ähm, in einem kleinen Raum und ich... ich gehe zum Rauchen dorthin und schaue mir den Fluss an."
Sie macht eine Bewegung mit den Fingern, führt eine imaginäre Zigarette zum Mund. Er nickt nur und schaut sie prüfend an. Ganz offensichtlich denkt er über den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen nach. Dann sagt er einen Satz auf Russisch – schnell, hart und abgehakt. Cathy muss sich nicht mal verstellen, sie versteht nicht ein einziges Wort. Sie schaut ihn wieder nur fragend an. Diese Reaktion scheint ihn zu überzeugen und er nickt lächelnd.
"Gut, gut. Heute und morgen, nicht gehen in Zimmer. Warten bis nächste Woche. Dann wieder gehen und rauchen. Okay?"
Sie schluckt und nickt. Sie will nicht mal wissen wieso. Das hier klang als wäre es besser wenig zu wissen.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 15.03.2022 11:10.

Alina

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Kapitel 10 - Episode 8

von Alina am 16.03.2022 09:34

Гостиница "Украина", Небоскреб, сталинский небоскреб в Москве, Содружество Независимых Государств
Суббота, 29 февраля 1992 г.
('Hotel Ukraine', eines der sieben Stalin-Hochhäuser in Moskau, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten von Russland am Samstag, den 29. Februar 1992)

Soundtrack für diese Episode: Nirvana - Come As You Are



Quelle des Bildes (bearbeitet von Alina)

  Etwa eine Stunde später denkt sie, dass sich der Abend angenehm anders entwickelt hatte. Vor ihnen steht eine halbleere Flasche Vodka. Cathy hat längst ihren Platz im Sessel mit dem Platz auf dem Sofa getauscht, dort wo er auch sitzt. Ein aussenstehender Betrachter würde wohl sagen dass ihre Unterhaltung recht oberflächlich war, mit jedem neuen Glas Vodka vielleicht sogar noch einfältiger wurde, aber beiden kommt es nicht so vor. Im Gegenteil – Cathy hatte das Gefühl einen besonderen Menschen getroffen zu haben. Sie war nicht in der Lage dieses Gefühl näher zu beschreiben. Vielleicht später... wenn sie Zeit zum Nachdenken hatte und was noch wichtiger war: einen klaren Kopf.

Sie ahnt nun dass dieser Mann ein Jäger ist. Er war definitiv von einem anderen Kaliber als sie und er gab auch nicht viel preis was diesen Schluss nahelegte. Auch auf Nachfrage kann sie ihm nicht entlocken für wen er arbeitet und warum er ganz genau dieses Seminar in der russischen Hauptstadt besucht. Es spricht auch sonst nicht viel für diese Theorie. In seinem Zimmer gibt es keinen Aktenkoffer, er hat nur eine grosse Tasche dabei wie Sportler sie trugen. Und es liegen keine Dokumente ausgebreitet auf dem Schreibtisch, mit denen er sich vielleicht auf kommenden Montag vorbereiten will. Sie wusste wie ein Zimmer von Seminarteilnehmern oder Handlungsreisenden aussah. Und vielleicht sieht er das auch in ihren Augen, dass sie das weiss.

Noch spannender ist, dass er anscheinend noch etwas anderes in ihren Augen sieht. Er war erst 28 Jahre alt, sah zwar älter aus aber ihr gegenüber war er sehr jung und unerfahren. Und trotzdem sieht er sie mit diesem Blick an als würde er das Gleiche in ihr erkennen was sie ihn ihm erkennt – dass sie ebenfalls auf der Jagd ist. Er wühlt sich fast in ihren Geist so wie er sie ansieht, direkt blickt er immer wieder tief in ihre Augen, nicht ohne sexuelles Interesse aber auch nicht ausschliesslich deswegen. Sie hätte es auch nicht als sexuelle Geste verstanden wenn er nun einfach ihr Kinn packen und ihren Kopf leicht anheben würde um ihr noch tiefer in die Augen zu sehen. Es wäre fast eine logische Folge seiner Natur, seines Charismas. Und das alles obwohl er nicht mal annähernd Cathys Menschenkenntnis besitzen konnte.
Zudem hatte sie das erste Mal in ihrem Leben das Gefühl mit einem echten Russen zu reden. Er redete gar nicht besonders viel, die Stimmung konnte man nur mit „knisternd-melancholisch" beschreiben, so wie es aus schwülstigen Liebesromanen kannte die sie zeitweise mal verschlungen hatte. Die russische Seele wurde dort immer als leidenschaftlich und etwas traurig beschrieben. Und er sprüht geradezu vor Leidenschaft die er nur mühsam in Zaum halten kann. Das kann sie sehen. Und diese Leidenschaft bezieht sich nicht auf sie, jedenfalls nicht ausschliesslich, sondern auf jeden einzelnen Moment den sie mit ihm erlebt. Wie er sie ansieht, wie er aus dem Fenster schaut wenn er nachdenkt, wie er den Vodka nachgiesst – in all dem kann sie die unendliche Tiefe Russlands spüren und zum ersten Mal kommt ihr der Gedanke, dass sie Jahrzehnte brauchen wird um die russische Seele wenigstens im Ansatz verstehen zu können. Schon die Sprache machte es ihr nicht gerade leicht.

Sein Blick reisst sie wieder aus ihren Gedanken. Sicherlich hatten sie mehrere Minuten nicht gesprochen, wenigstens kam es ihr so vor.
Dann hebt er ihr Kinn wirklich bloss mit dem Zeigefinger seiner riesigen Hand an und kommt näher. Beide starren auf die Lippen des jeweils anderen und dann fühlt sie wie er ihr ein Glas in die Hand drückt.
„Na zdorov'ye, moya Katjuscha...", sagt er mit leiser, aber rauer Stimme und dann lächelt er wieder auf diese spitzbübische Art. Sie muss ebenfalls schmunzeln und mit stark belegter Stimme erwidert sie die Worte, die sie noch vor allen anderen russischen Worten kennengelernt hatte.
„Na zdorov'ye!"
Dann trinken sie und beide verziehen keine Miene als sie den hochprozentigen Schnaps herunterkippen.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 16.03.2022 09:34.

Alina

-, Weiblich

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Kapitel 10 - Episode 9

von Alina am 17.03.2022 12:49

Гостиница "Украина", Небоскреб, сталинский небоскреб в Москве, Содружество Независимых Государств
Воскресенье, 1 марта 1992 г.
('Hotel Ukraine', eines der sieben Stalin-Hochhäuser in Moskau, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten von Russland am Sonntag, den 1. März 1992)

Soundtrack für diese Episode: Guns n' Roses - Knockin' On Heaven's Door


Quelle des Bildes (bearbeitet von Alina)

  Als sie in seinem Zimmer aufwacht, ist er nicht da. Seine Tasche war allerdings noch an ihrem Platz, also konnte sie davon ausgehen dass er noch nicht abgereist war. Er hatte ja auch davon gesprochen noch die nächste Woche zu bleiben. Sie hat keinen 'Kater', wie sie es von Wein, Bier oder anderen Spirituosen kannte. Sie fühlt sich dumpf aber ohne diesen lästigen Kopfschmerz. Warum trank man immer noch Whiskey oder andere Schnäpse wenn es Vodka gab?

Sie atmet tief durch und rappelt sich auf. Er hatte sie nicht angerührt – leider. Das war eigentlich bisher nie vorgekommen, ausser bei einigen Kerlen die keine Erektion bekamen weil sie eigentlich impotent waren oder ähnliches. Und sie musste sich etwas eingestehen was sie bisher nicht sehen wollte. Sie hatte Dimitrij nicht töten wollen. Aber sie hatte getrunken und dann verzieh sie sich anscheinend die Tatsache dass „Dinge passierten". Sie seufzt als ihr das auffällt. Sie hätte sich nie als übermäßig moralischen Menschen bezeichnet aber dieses Vorgehen war schlicht feige, gar hinterhältig.

Aber nun wundert sie sich, denn er hatte nicht zugegriffen. Er musste tatsächlich ein Jäger sein, denn sie hatte die Gier auf ein Weib wie sie in seinen Augen gesehen. Er war ja ein Mann, sogar ein ganzer Mann, ein Bild von einem Mann. Aber entweder nahm er es mit der Treue zu seiner Frau sehr genau oder er hatte etwas gerochen, wie es ein Jäger tut. Ein Jäger fiel nicht auf einen vergifteten Köder herein. Vielleicht hatte er die Gefahr gespürt die von ihr ausging – auch ohne dass er sie näher benennen konnte. Da ging es ihm wohl ähnlich wie ihr. Und trotzdem hatten sie sich magisch angezogen und hatten die halbe Nacht miteinander gelacht und getrunken.

Sie nutzt trotzdem die Gunst der Stunde und durchsucht seine Tasche, kurz nachdem sie draussen auf dem Korridor nachgeschaut hat ob er vielleicht wiederkommt.
Dmitri Ogorodnikow, tatsächlich geboren am 29. Februar 1964. Und tatsächlich kam er aus Samara, in seinem Pass stand immer noch Kuibyshev. Das hatte er ihr gestern in der Nacht noch erklärt als er ihr von dem fabelhaften Vodka aus seiner Stadt erzählte den sie getrunken hatten. Ein Jahr zuvor, im Jahr 1991, war die Stadt umbenannt worden.
Schnell richtet sie die Kleidung wieder so in der Tasche wie sie vorher gelegen hatte und dann verlässt sie das Zimmer.

                                                                ***

Sie verbringt den Mittag und Nachmittag dösend in ihrem Zimmer. Sie denkt nach – jedenfalls im Rahmen ihrer Möglichkeiten, noch immer fühlt sie sich leicht betäubt. Sie trinkt viel Wasser und es geht ihr stündlich besser. Sie war ja einiges gewohnt, trinkfest war sie jedem Falle.
Sie hatte seinen Pass gesehen und sich eingeprägt wie er ausgesehen hatte. Sie selbst hatte immer noch keinen Pass, aber in Russland gab es wohl derzeit eine Menge Menschen die nicht staatlich erfasst waren. Flüchtlinge aus dem Westen, aus allen Staaten des alten Warschauer Paktes und Menschen, die zu allen Zeiten vom Land nach Moskau oder andere grosse Städte Russlands gezogen waren – trotz Zuzugssperre die dafür sorgte dass Moskau nicht aus allen Nähten platzte, während die riesigen ländlichen Gebiete ausbluteten. Jemand musste die Menschen in der Stadt ernähren. Das hatte ihr eine Kollegin erzählt, die aus Kirgisistan nach Moskau gekommen war um hier Geld für die Familie zu verdienen. Auch sie arbeitete natürlich schwarz und ohne Wissen der Behörden in diesem Hotel, genau wie Cathy. Ihr war klar dass dies vor 1990 viel schwerer gewesen sein musste und ihr war ebenfalls klar dass das irgendwann auch wieder schwerer werden würde. Aber gerade war Russland ein Land in permanentem Ausnahmezustand, ein riesiges Land in dem alles ging und Moskau war das Zentrum. Recht und Gesetz mussten sich erst wieder etablieren in einem Land wo die alte Ordnung zusammengebrochen war, wo Banden sich Städte und auch Gebiete aufteilten und wo sich ehemalige Teile der Sowjetunion abspalteten und unabhängig wurden. Die Zeitungen waren voll von beidem.

Und auch zu grösserem Reichtum war Cathy bisher nicht wieder gekommen. Viel Geld war eine Voraussetzung wenn sie irgendwann wieder einen falschen Pass haben wollte. Sie hatte ja alles verloren vor knapp fünf Jahren. Wieviel Vermögen es gewesen war, nun daran wollte sie gar nicht denken. Jedenfalls war es viel zu viel gewesen um es zu verlieren. Nun hatte sie gerade wieder so viel Geld um recht komfortabel über die Runden zu kommen. Was ihr nicht gefiel war die Tatsache dass sie kaum etwas sparen konnte. Das Erbeuten von Geld oder anderen Dingen von Wert war hier sehr schwierig. Es gelang ihr eigentlich nur, wenn sie gegen ihre Prinzipien verstiess und Gäste noch während ihres Aufenthaltes im Hotel tötete. Oft würde sie sich das nicht leisten können. Hier mal ein Herzinfarkt im Schlaf, da mal ein Ausrutscher auf der Treppe mit gebrochenem Genick. Sie musste sich damit zurückhalten, sonst würde es hier sehr schnell unangenehm werden. Kontakt mit der russischen Polizei wollte sie auf jeden Fall vermeiden.
Und ausserhalb ihrer Arbeit war es fast unmöglich mit einem Junggesellen in seine Wohnung zu gehen. Junggesellen hatten hier keine eigene Wohnung. Es war bereits für verheiratete Paare schwer genug eine Wohnung in Moskau oder jeder anderen russischen Grossstadt zu bekommen. Die Menschen hausten in winzigen Wohnungen, falls sie überhaupt allein lebten. Die meisten jungen Männer lebten noch bei ihren Eltern oder eben mit ihrer Frau in einer zu kleinen Wohnung. Das hatte Cathy nicht bedacht als sie nach Moskau gegangen war. Die Privatsphäre, die sie so dringend brauchte, war hier rar.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 25.03.2022 18:16.

Alina

-, Weiblich

  10. Wannabe Poet

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Kapitel 10 - Episode 10

von Alina am 18.03.2022 12:33

Гостиница "Украина", Небоскреб, сталинский небоскреб в Москве, Содружество Независимых Государств
Воскресенье, 1 марта 1992 г.
('Hotel Ukraine', eines der sieben Stalin-Hochhäuser in Moskau, Gemeinschaft Unabhängiger Staaten von Russland am Sonntag, den 1. März 1992)

Soundtrack für diese Episode: The Clash - Should I Stay or Should I Go



Quelle des Bildes

  Am Abend hält sie es nicht mehr aus und sie verlässt ihr Zimmer. Als sie den verlassenen Korridor betritt, da schleicht sie auf leisen Sohlen auf das Zimmer zu in dem sie normalerweise ihre Zigaretten raucht. Er hatte ihr gesagt sie solle sich erst einmal nicht dort blicken lassen, aber das war vor der gemeinsamen Nacht gewesen in der sie sich besser kennengelernt hatten.
Die Tür ist nur angelehnt und sie schaut hinein. Dort kniet er an der Wand und trotz der Tatsache, dass er gerade Kopfhörer trägt, schaut er zu Tür. Sie beisst auf ihre Unterlippe und macht eine beschwichtigende Geste. Er winkt nur ab und lauscht weiter.

Cathy geht lautlos zum Fenster und zündet sich eine Zigarette an. Es scheint ihn nicht zu stören. Sie raucht und versucht ihm nicht zuzusehen, stattdessen starrt sie auf den glitzernden Fluss und die Stadt die bereits vom Dunkel der anstehenden Nacht bedeckt ist. Dann hört sie plötzlich seine Stimme, er hat die Kopfhörer abgenommen und sagt:
„...ist schade, letzter Tag. Mann ich verfolge gehen weg von Moskau. Wieder gehen nach Heimat."
Cathy sieht ihn prüfend an, dann nickt sie unverbindlich und räuspert sich.
„Du hast... einen Mann verfolgt. Was ist es für ein Mann?"
„Nicht... wichtig. Für dich." Dann nach einer kleinen Pause: „Ist... Bandit. Ja, so sagen? Dreckige Bandit."
Sie schluckt und nickt wieder. Das war nicht etwa ein Polizist? Jedenfalls war es kein normaler Polizist. Das konnte nur ein Kriminalbeamter sein. Sie bewegte sich jedenfalls auf dünnem Eis und erst jetzt wurde ihr das klar. Wie naiv war sie gewesen? Wo arbeitete sonst ein richtiger Jäger? Es wäre ihr in dem Moment sogar lieber gewesen, er wäre ein Auftragskiller. Damit konnte sie eher umgehen.

Ihr wird klar dass sie für einen Moment erschrocken ausgesehen haben muss. Er sieht sie an und lächelt.
„Katjuscha haben Geheimnis, hm? Ist egal. Ich hier nur für Bandit."
Cathy schluckt hart, dieser Dimitrij hatte entweder eine grossartige Intuition oder er hatte verdammt viel Glück beim Raten. Sie versucht zu lächeln und antwortet nur:
„Wir haben alle unsere kleinen Geheimnisse, nicht wahr?"
Jetzt grinsen beide und dann nickt Dimitrij, aber nicht zustimmend sondern in Richtung Fenster.
„Du gehen, ich arbeiten. Spät, trinken noch eine Vodka. Dann schlafen. Morgen ich gehe weg."
Sie denkt nach, wiegt den Kopf leicht hin und her, sie überlegt doch dann nickt sie. Sie hatte morgen Spätschicht. Ein, zwei Vodka würde sie vertragen können.

                                                            ***


Quelle des Bildes

  Es hatte sich herausgestellt, dass Dimitrij bereits einen Plan im Kopf hatte. Sie hatten sich nachts nochmal in seinem Zimmer getroffen und tatsächlich nur zwei Gläser Vodka getrunken. Er hatte ihr nicht viel erzählt aber er jagte einen Verbrecher aus Toljatti, der zweitgrössten Stadt im Verwaltungsbezirk Samara. Zumindest hatte sie ihn erst so verstanden. Erst später reimte sie sich zusammen, dass der Mann nur der Schlüssel für den Zugriff auf gleich mehrere gefährliche Banden war die in dieser Gegend ihr Unwesen trieben. Es ging darum dass die Gangster die Lada-Werke irgendwie infiltriert hatten und dank des überwachten Mannes in der Lage waren, jedes Jahr mehrere zehntausend Autos zu entwenden ohne dass dies einen grossen Skandal ausgelöst hätte. Cathy konnte das zwar kaum glauben, aber auch erleichtert durchatmen: es handelte sich um Wirtschaftskriminalität. Dimitrij suchte also nicht nach Serienmördern. Sie nahm ihm das ab, denn Russland versank in gerade einer Flut von Wirtschaftskriminalität. Gierige westliche Konzerne und Verbrecherbanden aus der Heimat griffen nach allem, was nicht niet- und nagelfest war. Russland war zum Selbstbedienungsladen geworden für alle, die nur skrupellos genug waren zuzugreifen. Da unterschieden sich die Weiten des russischen Staates nicht von der Situation in der ehemaligen DDR. Überall wo ein Machtvakuum entstand weil Staaten ihre Gewaltmonopol nicht mehr durchzusetzen wussten, drängten Ausbeutung und Gier hinein und füllten dieses Vakuum. Die russischen Behörden und die Polizei hatte sicher genug damit zu tun. Wenn Cathy es nicht übertrieb, dann würde sie wohl noch lange unentdeckt bleiben können.

Er hatte seine Erklärungen beendet und hatte sie dann noch um einen Gefallen gebeten. Der Mann würde wieder nach Moskau kommen. Und er hatte Cathy gebeten mit dem Mann Kontakt aufzunehmen, vielleicht mit ihm auszugehen um eine Wanze zu platzieren. Anscheinend hatte Dimitrij seine Arbeit hier mit unbefriedigendem Ergebnis beenden müssen. Cathy strahlte als er sie darum bat und er schaute sie verwundert an, was sie wiederum amüsierte. Der Mann mit dem Spitznamen 'Khokhol' war wohl ein Mann, der Wein, Weib und Gesang sehr schätzte. Cathy stimmte zu und winkte nur ab als Dimitrij von einer Belohnung sprach. Viel konnte das nicht sein. Sie setzte eher darauf dass sie diesem Mann eine Menge Geld aus der Tasche stehlen und vielleicht auch noch Schmuck oder andere wertvolle Gegenstände finden würde, die man hier hervorragend auf den Märkten verkaufen konnte. Und danach würde Dimitrij wohl hoffentlich nicht fragen.
Sie teilte ihm mit wie er sie erreichen konnte hier im Hotel. Dann verabschiedeten sie sich, wie Bruder und Schwester mit Küssen auf die Wange und Cathy verliess sein Zimmer mit einem Schwips und guter Laune.


Antworten Zuletzt bearbeitet am 18.03.2022 12:42.
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