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The Headwinds - Handlung

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Zladune

26, Weiblich

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Beiträge: 997

Re: The Headwinds - Handlung

von Zladune am 20.09.2022 21:03

In seiner Flutwelle der Überschwänglichkeit wäre Nirahs heiserer, erstaunlich scheu klingender Protest beinahe untergegangen. Dennoch hob Notos instinktiv in einer abwehrenden Haltung beide Hände in die Höhe. Auch wenn er nicht ganz nachvollziehen konnte, wovon seine Begleiterin sprach. Was meinte sie damit, er solle aufhören, sie ständig so anfassen? Er hatte sie bisher doch kaum berührt, sich eigentlich nur so verhalten wie immer. Nun, als er blind war, waren sie ab und an um ein wenig Hautkontakt nicht rumgekommen. Dann natürlich noch als er sie gestützt hatte. Den Verband angelegt hatte. Selbstverständlich sein Ausrutscher gerade eben und als er gestern ihr Handgelenkt ergriffen... Notos hielt mit einem Mal inne. Presste unsicher die Lippen aufeinander.

...Gut, dann hatten sie sich womöglich vielleicht ab und an berührt. Es war trotz allem nichts außerhalb der Norm gewesen. Deiner Norm, wisperte eine Stimme. Nirah scheint ja kein Freund davon zu sein.

Wie von selbst huschte sein Blick kurz zur Heilerin, musterte sie flüchtig. Ihre offensichtliche Befangenheit löste bei ihm aber überraschenderweise kein verschmitztes Grinsen, kein Necken oder spielerisches Sticheln aus. Stattdessen schien es genau das Gegenteil zu bewirken. Fast machte es schon einen leicht eingeschüchterten Eindruck, als Notos den Kopf abwandte, ihn wie eine Schildkröte zwischen den Schultern einzog. Er gab ein verhaltenes Räuspern von sich. „Tut mir wie gesagt leid. Gestern wollte ich nur helfen. Und wegen der einen Sache... ich hatte bisher den Eindruck, du scheinst eher Taten als Worten Glauben zu schenken. Ich empfand es als schnellsten Weg, um dir die Grenzen meiner Sicht zu zeigen." Dann schmunzelte er ausgelassen, rieb sich verlegen den Nacken: „Aber das gerade eben geht auf meine Kappe. Da ging wohl meine Begeisterung mit mir durch."

Eine Begeisterung, die immer noch unterschwellig in ihm nistete. Sein Angebot sprach er mit größter Aufrichtigkeit aus. Denn jede weitere Information zu der seltsamen Magie seiner Begleiterin war für ihn Gold wert. Ihn hatte schon immer eine tiefe Faszination für Magie geprägt – seit einem gewissen... Tag nur umso mehr. Er konnte inzwischen gar nicht mehr sagen, wie viele Stunden er zusammen mit Aryll, oftmals auch mit Kiki, verbracht hatte, in denen sie sich nur der Studie ihrer von Göttern gesegneter Kräfte gewidmet haben. Allein der Gedanke daran versetzte ihm in diesem Augenblick einen Stich und er senkte betroffen den Kopf. Wie gerne hätte er Kiki hier gehabt, um dieses ganze Mysterium auszudiskutieren, Theorien mit ihr aufzustellen, diese sofort zu erproben...

Wenigstens war er nicht völlig auf sich allein gestellt. Nirahs winziges Nicken wäre ihm um ein Haar vollkommen entgangen, hätte sie nicht dazu noch ihren kaum hörbaren Kommentar abgegeben. Ich werte das als Versprechen. Sofort hob Notos den Kopf, ein hoffnungsvolles Leuchten stahl sich in seine Augen. „Wirklich?!", rutschte es ihm überrascht heraus. Die offensichtliche Freude in seinen Zügen wurde von sichtbarer Erleichterung begleitet. Die Heilerin hatte so lange mit sich gehadert, er war fast dem Gefühl unterlegen, dass sie ablehnen würde. Stattdessen war sie es nun, die unvermittelt seine Hand packte, mit wenig Feingefühl auf dem Boden platzierte. Zeitgleich mit der Rothaarigen schloss er diesmal die Augen. Verfluchte innerlich seine Unruhe, seine ausnahmsweise abwesende Blindheit. Es dauerte für seinen Geschmack viel zu lange, bis wieder die ersten schwammigen Farben in sein Sichtfeld traten. Zu seinem Glück brauchte seine Begleiterin dem Anschein nach ebenfalls einiges an Vorbereitung, um ihre Magie nutzen zu können.

Er konnte zwar im Nachhinein nicht sagen, wie lange sie in dieser beinahe schon vertrauten Stille verweilten. Es reichte aber auf jeden Fall aus, damit er seinen Fokus gewinnen konnte. Die unscharfen Konturen seiner Aura nahmen zunehmend an Klarheit an. In erster Linie sah er seine eigene Aura – für seine Verhältnisse ungewohnt rastlos. Das tiefe, intensive Blau zierten feine Wellen. Wie bei einem See, der immer wieder von einem sanften Windhauch erfasst wurde. Die aufeinandertreffenden Wogen erzeugten an einigen Stellen Verwirbelungen. Immer wieder blitze bei diesen etwas auf, ein kleiner Schimmer, in einem gänzlich anderem, deutlich helleren Farbton als der Rest seiner Aura. Notos glätte diese unverzüglich. Betrachtete stattdessen die flammenden Umrisse vor ihm. Irrte er sich, oder wirkte Nirah deutlich unruhiger als üblich?

Für eine geraume Weile betrachtete er seine Begleiterin eingänglich. Insbesondere interessierte es ihn, ob sich etwas änderte. Doch es geschah... nichts. Nicht wirklich. Die offensichtlichste Veränderung war nur, dass mit der Zeit das Flackern abzuebben begann. Diesen plötzliche Umschwung nahm er auch an ihrer eigenen Haltung wahr, sie hielt seine Hand bei weitem nicht mehr so verkrampft wie zuvor. Notos konnte es sich bildlich vorstellen, wie sich ihr Brustkorb wie zuvor wieder ruhig hob und senkte. Und er verfiel mit ihr in diesen meditativen Zustand, ließ sich geradezu dazu verführen. Wenngleich er seine intensive Suche weiterhin fortführte. Er sah wie zu erwarten nichts, was einer Anwendung von ihrem inneren Mana glich. Aber wenn sie Energien führte und lenkte, dann musste doch etwas sichtbar sein. Oder? Was, wenn er sich das Führen mehr bildlich vorstellen würde? Was tat man, wenn man jemanden oder etwas führte? Nun... man könnte Zügel verwenden. Jemanden in eine bestimmte Richtung drücken. Ihn bei der Hand nehmen. Bei der Hand nehmen...

Ein anderes Bild schob sich für einen flüchtigen Augenblick vor ihn. Als Nirah ihre Heilerfähigkeiten eingesetzt hatte. Da hatte er ebenfalls nicht viel gesehen. Nur an den Fingerkuppen.... Noch im selben Moment, in dem dieser Gedanke kam, achtete Notos nur noch auf die Hand seiner Begleiterin. Kniff seine Augen zusammen, wenngleich sie bereits geschlossen waren. Es war... nichts zu sehen. Obwohl, das stimmte nicht ganz. Das unruhige Flimmern machte es ihm schwer, etwas zu erkennen. Aber... vielleicht. Vielleicht war es Einbildung. Eine seltsame Verzerrung. Doch wenn man sich stark konzentrierte, könnte man fast meinen, dass Nirahs Aura ein wenig... eingedrückt wurde? An einigen Stellen unnatürlich verschwamm, als würde etwas daran zerren. Wie eine sanfte Brise. Wenn er noch ein klein wenig mehr....

Notos zuckte verschreckt zusammen, als er eine Bewegung an seiner Hand spürte. Diese verspannte sich unmerklich, genau wie der Rest seines Körpers. Nur damit er kurz danach irritiert die Stirn runzelte, als kein scharfer Schmerz folgte. Sondern diese eigentlich kaum wahrnehmbare Bewegung einfach nur ruhig und beständig anhielt. Je länger er diese zuließ, desto mehr sammelte sich ein feuerrotes Glimmen in kreisförmigen Bahnen an seinem Handrücken. Wie ein paar Brocken heißer Glut, die man gegen einen jungen Nachthimmel hielt. Er fragte sich, ob bald kleine Flammen an diesen Stellen tanzen würden, wenn er dies zulassen würde.

Er brauchte ein wenig länger, um zu begreifen, was anscheinend geschah. Er zog die Brauen zusammen. Was... was tat Nirah da? Leicht verstimmt schlug er die Augen auf. Sein Fokus war unwiderruflich gebrochen. Sie hatte ihn mit dieser unscheinbaren Geste komplett aus seiner Konzentration gerissen. Notos hob seinen Kopf, der Blick, den er Nirah schenken wollte, eindeutig vorwurfsvoller Natur – auch wenn er wusste, dass sie ihn sicherlich nicht sehen würde. Doch er hielt verdutzt inne, als er ihr ins Gesicht sah. Seine Frustration verflüchtigte sich, wandelte sich zur Verwirrung. Seine Begleiterin... lächelte? Nur ein wenig, dafür erstaunlich locker und... aufrichtig. Notos erwiderte diesen Anblick bald mit einem warmen Schmunzeln. Er hatte sie bisher nie... so lächeln sehen. Das tat sie sowieso seiner Ansicht nach viel zu selten. Aber dieses Lächeln hier, mit seiner unverfälschten Ehrlichkeit... es stand ihr gut.

Beinahe ertappt senkte Notos sofort den Kopf, als Nirah plötzlich ihre Augen aufschlug. Bei allen Göttern, sie hatte ihm gerade eben einen Schrecken eingejagt. Wenigstens verstand er dieses Mal allerdings sofort, warum die Heilerin das getan hatte – die Blume. Sie blühte. Die Blüten strahlten in einem satten Gelb. Er betrachtete die kleine Pflanze genaustens, während seine Mundwinkel erneut ihren Weg nach oben fanden. „Ich habe rein gar nichts gespürt. Das ist unheimlich. Und unheimlich faszinierend", meinte er abwesend, während er die kleine Blume studierte. Als würde diese leise Aussage Nirahs Frage beantworten. Schlussendlich entriss er sich jedoch seiner Ungläubigkeit, kämpfte den Anflug von wissbegieriger Freude nieder. Legte erst den Kopf schief, als die Heilerin von Erpressung sprach, ohne jedoch von dem sanften Lächeln abzulassen, mit welchem er die Rothaarige betrachtete. Und schweigend eine Weile anstarrte, bevor er das Wort erhob. „Danke. Wirklich", meinte er knapp. Hob dann eine Hand an und tippte mit zwei Fingern auf das türkise, geflochtene Band, welches er um seinen Oberarm gewickelt hatte. Ein Paar heller, korallenfarbiger Perlen befanden sich an den Enden. Als wäre allein das ein klarer Beweis seiner Herkunft. „Die azurnen Küsten."

Noch für einen Moment betrachtete er Nirah wissend, erwartete geradezu die Miene, die von ihrer Ahnungslosigkeit zeugen würde. Dann sprang er unvermittelt auf. Kniff dabei kurz seine Augen zusammen, da seine Seite diese abrupte Bewegung nicht unkommentiert lassen wollte. Und eilte unverzüglich mit schnellen Schritten zum gefallenen Biest. Peilte dabei ein klares Ziel an: seine Hellebarde, die noch neben dem Monster lag. Er hatte lange darüber nachgedacht. Und er haderte immer noch. Als seine Begleiterin vorhin verkündet hatte, dass sie gewillt wäre, ihn praktisch in ihrem Dorf einzusperren, bis seine Wunden verheilt waren, hatte er mit einem finsteren Funkeln den Kopf weggedreht. Es war wohl nur zu klar erkennbar gewesen, was er von diesem Plan hielt. Sie verdrehte seine Worte zu ihrer eigenen Gunst. Etwas, was er eigentlich nicht ausstehen konnte. Außerdem war er gesund und einsatzfähig – mal davon abgesehen, dass er der Ansicht gewesen war, dass Nirahs Magie niemals eine Verletzung seiner Art behandeln konnte.

Die Situation hatte sich allerdings nach ihrer kleinen Vorführung geändert. Zu seinem inneren Drang, so früh wie möglich wieder nach Hause zurückzukehren, gesellte sich in gleicher Intensität das Verlangen nach Aufklärung. Fließende Energien aus der Umgebung, Bahnen, die man ändern konnte, dazu all seine unbeantworteten Fragen... war es zu selbstsüchtig? Der Wunsch zu lernen, der Wunsch zu verstehen? Dafür seine Familie, seine Freunde und seinen Orden ein paar Tage in unwissender Sorge verweilen zu lassen? Möglicherweise. Jedoch war es lange her, dass er sich etwas so innig vom ganzen Herzen wünschte, ihn in dieser Stärke fesselte und interessierte... Vielleicht könnte er sich hier noch ein wenig Zeit gönnen. Nicht lange, er musste unbedingt rechtzeitig spätestens an dem Tag zu Hause sein. Aber bis dahin... sprach nicht viel dagegen. Und er würde ja jederzeit gehen und das Dorf verfrüht verlassen können, wenn ihm danach ist. Oder?

Kaum hatte er seine Waffe ergriffen, wirbelte er für seine sonst so ruhige Art viel zu aufgeregt entschlossen herum, grinste seine Begleiterin ausgelassen an: „Ich würde sagen, die restlichen Fragen klären wir später. Wir scheinen ja jetzt auf einmal etwas mehr Zeit zu haben, wenn du mich in deinem Dorf festhalten willst." Und damit hatte er sich auch schon ohne weitere Kommentare von ihr abgewendet. Die folgenden Minuten verbrachte er hauptsächlich mit rastlosem Umherlaufen. Erst zu seinen Tüchern, die er zum Trocknen aufgehängt hatte. Dann wanderte er scheinbar ziellos am Waldrand umher, verschwand immer wieder mal hinter den breiten Stämmen im Dickicht. Nach einiger Zeit fand er jedoch seinen Weg zurück zum Höhlenrand. In seinen Händen hielt er neben seiner Hellebarde zwei dicke Äste. Am oberen Ende befand sich bei beiden eine nahezu rechtwinkelige Astgabelung. Notos blieb kurz vor seiner Weggefährtin stehen, hielt ihr seine Funde hin: „Versuch mal, ob du diese als Krücke verwenden kannst." Dabei lächelte er gutmütig, zuckte nonchalant mit den Schultern. „Eigentlich hätte ich dir ja angeboten, dass ich dich stützen kann. Oder sogar auf dem Rücken tragen könnte, damit wir schneller vorankommen. Aber da du meintest, dass du nicht gerne angefasst wirst..."



Antworten Zuletzt bearbeitet am 20.09.2022 23:02.

Saphyr

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Re: The Headwinds - Handlung

von Saphyr am 22.09.2022 00:12

Es war nicht seine Schuld. Ausnahmsweise. Wie hätte er wissen sollen, dass sie so empfindlich auf unerwartete Berührungen reagierte? Sie hatte es selbst nicht gewusst. Besser gesagt, sie hatte es vergessen. Verdrängt? Nein, es war ihr nicht neu, dass ihr Abstand lieber war als Nähe. Sie war jemand, der sogar den vertrauten Umgang mit ihrer eigenen Familie vermied. Es wurde schnell zu viel zwischen all den anderen Eindrücken. Erst recht, wenn sie damit überrascht wurde. Wenn sie wusste, womit sie es zu tun hatte, konnte sie sich darauf einstellen. Ihre Aufmerksamkeit davon weglenken, es erträglicher machen. Doch wenn nicht, hatte sie keine Barrieren, die dagegen ankämpfen konnten. Es hatte sehr lange gedauert, bis die empörten Kommentare weniger und eine stumme Akzeptanz ihres deutlichen Widerwillens häufiger geworden waren. Am wenigsten hatte ihre Mutter es verinnerlichen wollen. Die Flucht in den Wald war ihr Ritual geworden. 

Seitdem sie den meisten Teil ihrer Zeit in selbstgewählter Einsamkeit verbrachte, war das einstige Problem zu einer fernen Erinnerung geworden. Wie lange war es her, dass sie irgendwen nahe genug an sich heran gelassen hatte? Emotional wie physisch? Ihre Patienten und durch ihre Ausbildung erzwungene Kontakte zählten nicht. 
Fast exakt fünf Jahreswechsel. Hatte er es verstanden, welche Bedeutung es für sie gehabt hatte? Nein, ganz sicher nicht. Nirahs Atem stockte unangenehm, als ihr ein neuer Gedanke kam.
Lag es daran? Nicht aufgrund von etwaigen Parallelen, die sicher nicht vorhanden waren. Die einzigen Gemeinsamkeiten waren ... die Berührungen. Sie riefen Erinnerungen hervor. Sie hatte für ihr Vertrauen bezahlen müssen und doch konnte niemand für das, was geschehen war, verantwortlich gemacht werden. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn sie ihre Wut hätte an jemandem auslassen können.
Sie wollte nie wieder in eine vergleichbare Situation kommen. Nie wieder. Der Schmerz war dumpf gewesen, nicht stechend. Dafür jedoch umso tiefer und ... langwieriger als er hätte sein sollen. Wie ein schwaches Glimmen, das seinen Brennstoff nur langsam verzehrte. Und der Brennstoff war keine Kohle, sondern ihr eigenes Herz. Bis nichts mehr übrig war, als der ferne Nachklang von Bedauern. Und Angst vor einer Wiederholung ihrer persönlichen kleinen Katastrophe.

Vergiss es, Notos. Es ist schon in Ordnung. Nirah war sich nicht sicher, ob sie es geschafft hatte, die Sätze auszusprechen nach seiner hastigen Entschuldigung. Wenn, waren sie so undeutlich gemurmelt, dass er sie nicht verstehen würde. Oder sie erklangen nur in ihrem Kopf. Es war nicht in Ordnung. Es waren nicht nur die Erinnerungen, die sie durcheinander brachten. Sicher, das war der größte Teil. Nur wie sollte er jemals begreifen, dass alles an seiner aufgeregten Art sich für sie anfühlte wie ein Regen aus spitzen Nadeln, solange sie noch von all den anderen Dingen gestresst war? Die Enthüllung seiner Augen lag ihr noch immer schwer im Magen. Notos hatte ihr die dringend benötigten Momente des Alleinseins verwehrt. Zu sagen, dass das nicht förderlich für ihr Gleichgewicht war, wäre untertrieben. 

Nirah musterte die gelbe Blüte eingehend, achtete gar nicht darauf, ob Notos das Gleiche tat. Die Stille hatte ihr geholfen. In etwa wie ein hastig angelegter Verband, der nur das Nötigste für eine Verletzung tat. Ein wenig Ordnung war in ihre Gedanken eingekehrt, hoffentlich ausreichend, bis sie die Möglichkeit bekam, sich für einige Zeit von allem anderen zu entfernen.
"Du hast nicht die Veranlagung, die Energie in der Umgebung wahrzunehmen." stellte sie einfach nur laut denkend fest. "Das ist in der Tat faszinierend." fügte sie mit einem Hauch von stetig mitschwingender Verwirrung hinzu. Dann nickte sie nur. Es war keine Großzügigkeit gewesen, ihm noch einmal ihre Fähigkeiten zu zeigen. Eine Bezahlung für eine Information. Trotzdem wirkte sein Dank sehr aufrichtig. Als hätte sie ihm soeben ein großes Geschenk gemacht.
Kurz dachte sie, er würde die kleine Abmachung vergessen. Doch endlich fiel, worauf sie die ganze Zeit gewartet hatte. Nirah horchte auf, sah unwillkürlich zu dem blauen Band, das Notos' Arm zierte. Sie hielt erwartungsvoll den Atem an.

Die azurnen Küsten. 

Das sagte ihr ... rein gar nichts. Nirah ließ die Luft wieder geräuschvoll entweichen und ihre Schultern sackten ein gutes Stück herab. "Kenne ich nicht", brummte sie verstimmt. Es klang, als müsste er in direkter Nähe zum Meer wohnen. Bis zu den Küsten war es weit, aber vielleicht gab es jemandem im Dorf, der sich auskannte. Oder .... Gab es Inseln im Umkreis der Grenzen von Prelemor? Es könnte erklären, warum seine Kultur so fremd zu sein schien und er dennoch den Weg hierher gefunden hatte. 
Sie achtete kaum auf Notos, der aufstand und sich eilig von ihr entfernte. Sie warf nur einen kurzen Blick zu ihm, sah wie er seine Waffe aufsammelte und dann davon eilte. Noch immer haftete die überschwängliche Begeisterung an ihm.
Er gab ihr endlich die Chance, durchzuatmen. Das würde sie nicht zunichtemachen, indem sie ihm folgte. 

Er würde nicht verschwinden, noch nicht. Sie hatte noch nicht all seine Fragen beantwortet, das wusste sie. Tatsächlich bestätigte er es, indem er ihr aus einiger Entfernung etwas zurief. Und wie viele Fragen sie selbst noch hatte! Jetzt noch mehr als zu Anfang des Tages.
"Wir reden später. Es wird Zeit, dass wir aufbrechen." stimmte sie ihm über die Distanz hinweg zu. Notos' Neugier war gewissermaßen ein Glücksfall, der es ihr einfacher machte, ihn vom Gehen abzuhalten. Ihr war sein finsterer Blick zuvor nicht entgangen, als sie verkündet hatte, er solle im Dorf bleiben, bis er gesund war. Sie hatte schon befürchtet, ihn mit allen Mitteln überreden zu müssen.

Nirah blieb noch einige Augenblicke auf dem kühlen Waldboden sitzen. Langsam stieg auch hier unter dem Blätterdach die Temperatur merklich. Noch immer war es Sommer. Nicht mehr lange, bedauerlicherweise. Bald schon würde der Stamm die Sonne auf ihrem Rückzug verabschieden und die heilige Mutter um ihre Gunst während den kalten Jahreszeiten bitten. Die letzten sorgenfreien Tage der Wärme waren unlängst angebrochen. Jeder einzelne war kostbar. 
Es war ein Segen für Nirah, die Sonnenstrahlen auf ihrem Rücken in Stille genießen zu können. Unterbrochen wurde sie nur von dem gelegentlichen Geräusch von Schritten. Notos, der umherlief und mehr Lärm machte als nötig war. 

Schließlich raffte Nirah sich auf und steuerte auf direktem Wege den kleinen Bach an. Sie tauchte ihre Hände in das Wasser, schöpfte es in ihr Gesicht und genoss die Kälte. Sie zog sogar ihre Schuhe aus, um ihre Füße hinein baumeln zu lassen. Es beruhigte das schmerzhafte Pochen in ihrem Bein. Ein wenig. Das kühle Streicheln des Wassers an ihrer Haut lenkte sie ab und löste den Knoten der Anspannung in ihrer Brust zu einem Teil. 
Nirah ließ sich die Zeit, die sie benötigt hatte. Sie ließ sich das gesamte Gespräch mit Notos noch einmal durch den Kopf gehen und verdrängte gekonnt die Erinnerungen, die er unbeabsichtigt wachgerufen hatte. Es war völliger Unsinn, dass es sie noch immer beeinflusste. Sie musste dem Einhalt gebieten, indem sie es aus ihren Gedanken strich. 

So gewappnet, kehrte sie irgendwann zum Lagerplatz zurück. Mit kühlen Füßen und nassen Strähnen in den Haaren, die bald wieder trocknen würden. Notos war schon da und bot ihr sogleich einen Ast an. Nein, zwei Äste. Nirah sah sie sich verständnislos an, bis seine Erklärung in ihr Bewusstsein sickerte.
"Ich brauche keine Krücken. Danke." beschwerte sie sich. Den Rest kommentierte sie erst gar nicht. Es war schon gut, wenn er sich in Zukunft mit jeglichen Berührungen zurückhielt. Unvermittelt wandte sich mit in die Höhe gerecktem Kinn von ihm ab. Wie zum Beweis humpelte sie zur Höhle, kroch hinein, um sich ihre restlichen Habseligkeiten an sich zu nehmen.

Vollständig bepackt, zwängte sie sich nur wenig später zurück nach draußen. "Gehen wir, Donnerschwinge.", befahl sie und schlug die Richtung zum Dorf ein. Schon nach wenigen hastigen Schritten biss sie die Zähne zusammen. Das würde ein langer Marsch werden. Dabei waren sie nicht mehr so weit entfernt. Doch was sollte sie mit Krücken? Es würde sie auch nicht schneller machen. 
"Jetzt, da du sehen kannst, bist du hoffentlich etwas schneller", rief sie ihm nach hinten über die Schulter hinweg zu und stapfte ihm voran durch das Unterholz. 


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Zladune

26, Weiblich

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Re: The Headwinds - Handlung

von Zladune am 22.09.2022 20:57

Sie brauchte also keine Krücken. Notos hob eine Augenbraue an, die Lippen zu einem belustigten Grinsen gekräuselt. „Ach, ist dem so?", gab er nur neckend von sich und schüttelte amüsiert den Kopf, als Nirah in der Höhle verschwand. Nun, wenn sie meinte... sie würde schon noch sehen, was sie davon hatte, wenn sie ihren Fuß so lange an einem Stück belasten würde. Er würde sicherlich nicht versuchen, sie von dieser eher zweifelhaften Idee abzuhalten. Das wäre verlorene Liebesmüh.

Die zwei Äste behielt er weiterhin. So störrisch, wie die Heilerin war, würde er es ihr zwar sehr wohl zutrauen, dass sie lieber die Zähne zusammenbiss und den ganzen Marsch trotz aller Schmerzen ohne jegliche Hilfestellung bewältigte. Aber wer wusste es schon, vielleicht würde sie die Vernunft ja doch noch einholen. Und falls nicht, dann würde sich bestimmt ein anderer Nutzen finden lassen. Wenn nicht als Krücken, dann zumindest als Brennholz oder Trainingsmaterial.

Lange musste er nicht warten, bis ein ihm inzwischen zu gut bekannter roter Haarschopf aus der Höhle lugte. Er begrüßte Nirah mit demselben breiten, vielsagenden Grinsen wie zuvor, funkelte sie bei ihren Worten verschmitzt an. Gab ansonsten jedoch weiterhin keinen Ton von sich. Wobei sein Gesichtsausdruck vermutlich Bände sprach. Nur als sie an dem Kadaver einer bestimmten raubtierkatzenartigen Kreatur vorbeikamen, hielt Notos für einen Moment inne. „Brauchst du eigentlich noch etwas von dem..." Und weg war sie. Hatte sie ihn überhaupt gehört? Ein gutmütiges Aufseufzen war zu hören, dann zuckte er unbekümmert mit den Schultern und folgte der Heilerin. Nun, ihm war es egal. Er hatte während seiner morgendlichen Inspektion schon alles von dem gefallen Biest geholt, was für ihn von Wert war und er gebrauchen könnte. Zwar glich es fast einer Verschwendung, noch so viel von dem Monster ungenutzt zu lassen. Die Innereien, die Krallen, der verhornte Schutz, das Fell – obwohl letzteres wohl eher nicht, nachdem er es so massakriert hatte... Aber auch so gäbe es viele wertvolle Ressourcen zu erbeuten. Vielleicht würde Nirah ja später jemanden herschicken, der mehr tragen konnte als sie beide es im Moment tun konnten. Ansonsten würde sich die Natur schon noch auf ihre Weise um die Leiche des Wesens kümmern.

Es war ein leichtes für ihn, seine Begleitung einzuholen. Nun da er sehen konnte, war kein verhängnisvoll tief hängender Ast, kein steilerer Abhang oder umgefallener Baum und kein dorniges Gestrüpp, in dem er sich verheddern konnte mehr ein Hindernis. Zudem war es dieses Mal wenig überraschend Nirah, die ihr Tempo notgedrungen drosseln musste. Wobei er zugeben musste, dass sie trotz ihrer Verwundung noch erstaunlich schnell gehen konnte. Er konnte dem gut Glauben schenken, dass sie normalerweise eine fantastische, schnelle Läuferin war. Vermutlich hätte selbst er Schwierigkeiten, mit ihr mitzuhalten, wenn sie ordentlich los legen würde – wobei er sich auch keine zu großen Illusionen machte. Letztere Vermutung galt für weite, grasbewachsene Ebenen. In diesem Wald hatte sie jedoch eindeutig den Heimvorteil. Gesund und bei vollen Kräften, wäre es bestimmt nichts überragend Schweres für sie, ihn hier mühelos abzuhängen.

So allerdings war er es, der ihr problemlos folgen und ohne größere Anstrengung mehr neben als hinter ihr laufen konnte. Und währenddessen sanft lächelnd in ein beharrliches Schweigen verfiel, die Umgebung aufmerksam musterte und alles im Blick behielt. Seine Ausstrahlung veränderte sich unmerklich, wirkte ernster, wachsamer, wachender. Auch wenn er keinen Monsterüberfall am helllichten Tag erwartete. Unbekanntes Gebiet war unbekanntes Gebiet. Und er hatte Verletzte zu eskortieren. Bei dem Geruch von Blut konnten bei so manchen Wesen die Instinkte durchgehen. Sorgen machte er sich aber keine. Notfalls war ja immer noch Jasper hier. Auf seinen Gefährten war immer Verlass.

Genanntes Wesen machte sich nach länger Zeit sogar wieder bemerkbar. Ein Gewicht war auf seiner Schulter zu spüren, jedoch ein wenig schwerer, als er gewohnt war. Notos' Blick fiel leicht zur Seite, wo ihn bereits das intensive Anstarren zweier goldbrauner Augen erwartete. Der kleine Drache hatte einen größeren Vogel im Maul mit braunem, fast kupferfarbenen Gefieder, einem bläulichen Hals und roten Gesichtspartien. Ein Fasan, richtig? ...Vielleicht sollte er sich nach diesem Ausflug mal wieder ein paar Lehrstunden in der roten Wurzel geben lassen. Dieses Wissen gehörte auf jeden Fall mal wieder aufgefrischt. Dankend kraulte er seinem Partner den Nacken und entnahm ihm die Jagdbeute. Kaum von dieser Last befreit, setzte Jasper zum Sprung an und war kurz darauf wieder im dichten Grün der Bäume verschwunden. Unbeholfen, so gut es ihm mit einer freien Hand möglich war, band Notos das Federwild an seinen Gürtel – und hielt inne, bevor er seine Hand wieder vom Hals des Tieres zurückziehen konnte. Nirah meinte, man solle solche Opfer würdigen, richtig? Das Tier war schließlich seinetwegen gestorben. Oder besser gesagt, Jasper hatte es um sein Leben gebracht, weil er sich vermutlich um ihn sorgte. Es machte keinen Unterschied. Auf irgendeine Weise sollte er wohl seinen Dank aussprechen. Frage war nur: Wie?

Notos haderte, presste unsicher die Lippen aufeinander. Dann strich er vorsichtig über den Kopf des Vogels, bevor er seinen Zeige- und Mittelfinger nahe der Stirn liegen ließ und die Augen schloss. So wie er es bei Nirah gesehen hatte, als sie noch das Monster gestern berührt hatte. Allerdings trug er dabei einen äußerst skeptischen Ausdruck auf dem Gesicht, die Stirn zu einer unausgesprochenen Frage gerunzelt. Irgendetwas machte er sicherlich falsch. Aber ein Versuch konnte ja nicht schaden. Richtig?

Nun, Augen zu und durch. Danke, für dein Opfer. Vorsichtig tastete er sich in Gedanken voran, suchte nach den richtigen Worten. Formte diese zeitgleich lautlos und kaum merklich mit den Lippen mit. Es wird... uns sehr helfen. Ich weiß es sehr zu schätzen. Dann haderte er, die Brauen dicht zusammengezogen. Wenn die heilige Mutter deine Schöpferin hier sein soll, wirst du wohl zu ihr zurückkehren? ... Nun, ich hoffe, sie wird dir den Weg leuchten ...Und falls du sie triffst, richte ihr meine Grüße aus. Ich würde gerne mit ihr sprechen und mich austauschen, wenn sie die Zeit hat.

Wie auch immer man es schaffte, einen gedanklichen Satz gegen Ende so hastig auszusprechen, dass man fast über seine eigene Zunge stolperte, Notos schaffte es. Auch wenn er nichts davon laut gesagt hatte, fühlte es sich in solch einem Ausmaß befremdlich für ihn an, dass es ihn beinahe erschaudern ließ. Er ignorierte dieses Gefühl, genauso wie den Klumpen aus Scham in seinem Magen und setzte seine Reise fort.

 

Die restliche Wanderung verlief ohne große Komplikationen. Jasper tauchte immer mal wieder am Rande seiner Wahrnehmung auf, das erdtonfarbige Gefieder war kaum von der restlichen Umgebung zu unterscheiden – und dennoch hätte Notos schwören können, dass er zeitgleich mit dem Vorbeihuschen des geflügelten Schattens noch etwas anderes aufblitzen sehen konnte. Er schenkte dem nicht viel Aufmerksamkeit. Deutlich wichtiger war da Nirah. Im Gegensatz zu ihm damals musste er ihr keine Äste aus dem Weg räumen. Oder sie an dornigen Hecken vorbeiführen. Seine Hilfe vollführte er in deutlich unscheinbarerer Manier. Er begann zurückzufallen. Immer wieder, sobald er bemerkte, dass Nirah sich schwertat, ihr Tempo zu bewahren. Oder ihren Fuß in immer kleiner werdenden Abständen zu entlasten versuchte. Ihr Gesicht dabei kurz vor Schmerz verzogen. In diesen Momenten suchte er nach den kleinsten Gründen, um selber das Tempo so weit zu drosseln, bis er fast stehen blieb. Tat so, als suche er nach Jasper. Als würde er Ausschau nach einem Tier halten, welches ein skurriles Geräusch von sich gegeben hatte. Einmal täuschte er vor, dass er sich aus Unachtsamkeit in einem Brombeerenstrauch verheddert hatte.

Gerade im Moment hatte er allerdings einfach nur eine gemächlichere Geschwindigkeit eingeschlagen, ließ seinen Blick umherwandern, prägte sich die Umgebung ein. Auch wenn es nicht viel einzuprägen gab: Wald, Wald und nochmal Wald. Er hatte einen guten Orientierungssinn, war trotz seiner gestrigen Blindheit in der Lage zu sagen, in welcher Richtung sich sein Absturzort befand. Und damit hörte es auch schon auf. Es gab nicht viele offensichtliche Besonderheiten, die man sich überhaupt merken konnte. Mit einem leisen Aufseufzen fiel sein Blick auf seinen von Waffen befreiten Arm. Es war derselbe, den er selbst verletzt hatte. Und derselbe, den Nirah während ihrer Vorführung gehalten hatte. Er hob ihn etwas an, drehte ihn, zog seinen Ärmel zurück. Die Wunde war nach wie vor da, unverbunden. Doch die Blutung hatte längst aufgehört und die aschgraue Farbe zog sich bereits zurück, war keinen Finger mehr breit. Abermals wendete er den Arm, die Aufmerksamkeit lag auf seinem Handrücken. Seine Miene verfinsterte sich unmerklich. Er konnte es nicht sehen. Aber er spürte es immer noch. Den letzten Hauch der glutroten Bahnen, die seine Begleiterin auf dem tiefen Blau seiner Aura gemalt hatte. Warum ließ sein Körper das noch zu? Er müsste nur die Hand schütteln, um auch die letzten Spuren dieser Berührung zunichte zu machen. Wenn nicht sogar weniger.

Sein Blick huschte kurz zu seiner Begleiterin. Er mochte sie. Wirklich. Zeitgleich jedoch dankte er den Göttern, dass sie nicht mehr lange auf denselben Pfaden wandern würden. Zu Anfang war er noch der Meinung gewesen, dass sie sofort einen Platz in seinem Orden bekommen könnte. Inzwischen nahm er diese Vermutung zurück. Sie hatte eine auffällig große Affinität zur Intuition, das mochte stimmen. Aber sie exzellierte als Einzelgänger. In Gruppen allerdings war sie sowohl eine Gefahr für sich selbst als auch für mögliche andere Mitglieder. Stürmte davon, ohne nachzudenken oder anderen den Grund mitzuteilen. Besaß mehr Stolz als Wasser in ihrem Körper, war deswegen sogar gewillt weitere Verletzungen einzugehen und den reibungslosen Fortlauf eines Auftrages aufs Spiel zu setzen. Und auch wenn ihn ihr gewisser Professionalismus während ihrer Heilertätigkeiten imponierte, so konnte sie mögliche Ablehnungen gegenüber einer Person ansonsten nur schwer beiseite legen. Kurzum: Er mochte sie als Heilerin, würde sich sogar vorstellen können, mit ihr freundschaftlichere Verhältnisse zu hegen, wenn genügend Zeit dafür gegeben sein sollte. Aber er würde ihr niemals das Vertrauen aufbringen können, um sie seine Partnerin nennen zu können, um sich in allen Situationen auf sie zu verlassen zu können. Wobei dies zugeben eine Hürde war, die sich nur schwer überwinden ließ. Manche Personen konnte man nicht übertrumpfen. Nirah würde eben niemals...

Notos ließ mit einem etwas zu harschen Ruck seinen Arm wieder sinken, als ein Rauschen von Flügeln erklang. Jasper schien sich noch tiefer in den Baumkronen versteckt zu haben. Bedeutete das vielleicht... dass sie das Dorf bald erreichen würden?



Antworten Zuletzt bearbeitet am 22.09.2022 23:38.

Saphyr

26, Weiblich

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Re: The Headwinds - Handlung

von Saphyr am 24.09.2022 00:03

Über ihren Köpfen rauschten die Blätter der Bäume im lauen Sommerwind. Der Vogelgesang war zurückhaltender als üblich. Vielleicht lag es Jasper, der die Tiere verschreckte. Gelegentlich knackte ein Ast unter Nirahs Schuhen und Notos' Schritte erklangen schwer, mal hinter und mal neben ihr. Normalerweise bewegte sich Nirah mit einer Gewandtheit durch den Wald, die kaum Lärm erzeugte. Jetzt, so musste sie zugeben, war sie lauter als ihr Begleiter. Obwohl dieser nicht wirkte, als wäre er es gewohnt, durch dichte Wälder zu spazieren. Ihr Humpeln war mit der Zeit stärker geworden. Ansonsten war es sehr still. Niemand sprach. Fast war es wie eine andere ihrer einsamen Reisen. Fast.

Je weiter sie vorankamen, desto langsamer wurde Nirah. Es gab keinen bestimmten Zeitpunkt, zu dem die Schmerzen in die Höhe geschnellt wären. Es war ein stetiger Prozess. Anfangs waren sie noch leichter zu ignorieren gewesen. Inzwischen wollte Nirah nichts anderes, als sich auf den nächsten Baumstumpf zu setzen. Oder auf den Boden. Egal wohin. Immerhin war es irgendwann nicht mehr merklich schlimmer geworden. Mehr als ein scharf brennendes Pochen, das sich dem Rhythmus ihrer Schritte anpasste und bei dem sie jedes Mal am liebsten zusammengezuckt wäre, war wohl nicht möglich. Mehr als nur einmal streifte die Überlegung ihr Bewusstsein, ob sie doch die Krücken hätte annehmen sollen. Dieser Idiot trug die Äste immer noch bei sich. Wie um sie ihr vorwurfsvoll unter die Nase zu halten. Doch zu spät war zu spät. Sie würde es sich nicht umentscheiden. Außerdem wäre es wirklich nicht sehr praktisch inmitten des störenden Unterholzes. Der Wald war ihr Zuhause, so ein Kratzer würde sie nicht davon abhalten, ihren Weg hindurch zu finden. Wenn es denn nur ein Kratzer wäre. Sie konnte von Glück sagen, dass die Klauen nicht bis an den Knochen vorgedrungen waren. 

Das Biest lag bereits weit hinter ihnen. Nirah bedauerte, dass sie nicht mehr Zeit gehabt hatten. Oder mehr Tragekapazität. Und ehrlich gesagt, hatte sie einfach nicht daran gedacht vorhin. Es gehörte sich eigentlich nicht, es so liegenzulassen. Auch wenn es nicht bei der Jagd seinen Tod gefunden hatte. Sie hatte nicht einmal mehr nachgesehen, ob sein Fell noch einen Wert gehabt hätte. 
Dafür hatte sie noch den Zahn. Gedankenverloren blieb ihre Hand immer wieder an ihm hängen. Fuhr über die scharfen Kanten, wo er abgebrochen war. Würde er Teil einer Kette werden? Sie trug so etwas nicht. Oder als einfache Trophäe einen Platz finden? Sein Gegenstück war und blieb verschwunden. Eine Schande. 
Solche Gedanken streiften durch Nirahs Geist, während sie sich vorankämpfte. 

Nach Kurzem hatte sie begonnen, Notos zu verfluchen.
Erst ließ sich von seinem Gefährten mit frisch gefangener Beute bedienen. Ganz beiläufig. Andere mussten jagen. Sich, wenn es schlecht lief, stundenlang auf die Lauer legen. Oder Fallen vorbereiten. Und er bekam sein Essen geliefert. Zugegeben, es war erstaunlich. Faszinierend. Wie gerne würde sie sich näher mit dem kleinen Wesen beschäftigen. Außerdem war es jetzt absolut sicher, woher der gestohlene Hase gestern gekommen war. 
Aber er fiel ständig zurück! Seinetwegen musste sie langsamer gehen und mitunter kurze, ungeplante Pausen einlegen. Nicht nur einmal war sie weitergelaufen, nur um festzustellen, dass Notos zurücklag. Es brachte sie durcheinander. Immer wenn sie stehen blieb, dankte ihr Bein ihr es. Aber sobald sie sich wieder in Bewegung setzte, fraßen sich die Schmerzen mit größerem Nachdruck in das fragile Konstrukt ihrer Verdrängungsstrategie. Und wenn sie Geschwindigkeit drosselte, flammte sogleich ihre Ungeduld auf. 

Als Notos es schaffte, sich in einem Strauch zu verheddern, kniff sie das erste Mal misstrauisch die Augen zusammen. Er hing ja quasi mit seinem ganzen Körper darin. Machte er das absichtlich? Er mochte etwas tölpelhaft sein, aber er war nicht mehr blind. Und eigentlich wirkte er ansonsten recht aufmerksam. Ihr war sein wachsamer Blick nicht entgangen. Er kam nicht von hier, kannte sich vielleicht nicht mit dem Leben im Wald aus. Aber er hatte ganz eindeutig irgendeine Form von Ausbildung genossen, die nicht nur gut geschulte Kampffertigen umfassten. 
Nirah glaubte nicht, dass er die Aussicht bewundert hatte und dann aus Versehen in das Gestrüpp gelaufen war. Wieso nur sollte er absichtlich ihr Tempo verringern? Er würde doch nicht ... Nein.
Nirah schüttelte still den Kopf und verwarf den Gedanken ratlos. Ihr war nicht nach Reden zumute. Daher akzeptierte sie sein Verhalten mit unterdrücktem Missmut. Dieser erreichte allerdings nicht ganz seine übliche Intensität.

Sie kam voran. Das war das Wichtigste. Und Notos folgte ihr. Das zweitwichtigste. Er war die Art von Mensch, die anderen ohne Zögern den Rücken kehren konnte. Wie sie selbst. Vielleicht aus anderen Gründen. Schließlich hatten sie keinerlei Gemeinsamkeiten. Höchstens eine gewisse Sympathie für gesprächsarme Reisen.
Sie überlegte kaum, in welche Richtung sie ging. Das Gebiet war ihr vertraut. Am Anfang hatte sie noch ihre Sinne konzentrieren müssen zur Orientierung. Nun wusste sie, ohne nachzudenken, wo sie war. Auf den ersten Blick mochte alles ähnlich aussehen. Doch ... hier ein großer Felsbrocken, da ein etwas seltsam geformter Baum - Kleinigkeiten, die sofort das Gefühl des Erkennens in ihr erzeugten. Sie näherten sich dem Dorf, das sie zur neuen Heimat auserkoren hatte. Bis sich etwas anderes ergab. 

Es waren nur noch einige Bäume im Weg, die die Sicht auf die ersten Hütten versperrten. Nirah wurde sofort langsamer.
"Wir sind gleich da. Jasper soll sich bedeckt halten", raunte sie Notos leise zu. Sie machte eine kleine Pause. "Du bist schon auffällig genug." fügte sie murmelnd hinzu. Man kannte sie dafür, alleine unterwegs zu sein. Dass sie mit jemandem gemeinsam auftauchte, wäre schon der erste Schock. Und dann noch mit jemandem, der augenscheinlich nicht von hier kam. Sie würde die Blicke auf sich ziehen, wie in der Dunkelheit das Licht die Fliegen. Und erst Sir Jasper...

Zögernd und mit deutlicher Anspannung leitete Nirah Notos weiter. Plötzlich lichtete sich der dichte Bewuchs und gab den Blick auf eine Ansammlung von hölzernen Hütten frei. Es war keine große Siedlung. Die Behausungen umringten einen Platz mit einer Feuerstelle. Dahinter ragten die zwei größten Gebäude auf. Am Rand der Hütten begann sofort wieder dichter Wald. Lediglich ein Weg führte durch eine schmale Schneise zu einem abgelegeneren Teil. Dorthin, wo sich Nirahs Häuschen und der glitzernde See befand, das dem Dorf seinen Namen gegeben hatte. Silberquell. In der Sonne funkelte das Wasser nicht wirklich silbern. Aber es war nahe dran. Doch dieses Herzstück der Siedlung konnte man von hier aus noch nicht sehen. 
Auf den ausgetretenen Pfaden herrschte geschäftiges Treiben. Frauen liefen Richtung See, mit Krügen oder Wäsche in den Armen. Einige wenige Krieger bewachten fast gelangweilt die behelfsmäßigen Verteidigungsanlagen. Kinder schrien und spielten Fangen. 

Am liebsten hätte sie Notos direkt zu ihrer Hütte gebracht. Dort hätten sie allen ausweichen können. Es war möglich, vom Wald aus direkt dorthin zu gelangen. Aber sie musste Bescheid geben, dass sie wieder da war. Dass ein Besucher da war, damit er nicht angegriffen wurde. Und außerdem war ihre Hütte viel zu klein für zwei Menschen. Es wäre schon möglich, Notos da irgendwie unterzubringen. Aber das wollte sie nicht. Das hieß, sie brauchten einen Platz wo er schlafen konnte während er hier war. 

Mit gesenktem Kopf führte sie ihn eiligen Schrittes zu dem großen Haus, rechts vom Dorfplatz. Ihr Mentor war der beste Ansprechpartner. Er würde ihr weiterhelfen, ohne zu großes Misstrauen zu hegen. Dabei ignorierte sie so gut wie möglich alles andere. Einige Köpfe drehten sich tatsächlich zu ihnen. Deren Augen verharrten mit gerunzelter Stirn auf den beiden. Doch niemand kam auf sie zu, oder regte sich sichtbar feindselig. Der Krieger am nördlichen Ausgang schien in der Sonne zu schlafen. Nirah blieb erst stehen, als sie direkt vor der Tür des alten Weißhaar stand. "Überlass mir das Reden. Sei einfach ... versuch zur Abwechslung sympathisch zu sein. Dort drinnen ist mein Mentor. Er heißt Anduin Weißhaar. Ich will dir eine Unterkunft besorgen." zischte sie Notos zu. 
Dann holte sie tief Luft und klopfte. Eine dumpfe, tiefe Stimme erklang von drinnen. Sie öffnete die Tür und zog Notos mit hinein. 

"Sieh an. Nirah. Du hast den Weg zurück gefunden. Ich dachte, wir wären heute Morgen verabredet gewesen?" begrüßte sie ein Mann, der an einem Tisch saß und ein Sammelsurium von Kräutern vor sich ausgebreitet hatte. Seine Haare waren tatsächlich weiß - vom Alter. Er war gleichzeitig Dorfältester und ein einflussreicher Wächter. Seine Haut war gebräunt, seine Statur aufrecht und sein Verstand schärfer als der von manch Jüngeren. Nirah verzog das Gesicht. Bevor sie etwas sagen konnte, wanderte sein Blick zu Notos. Er sah nicht überrascht aus. 
"Gesellschaft, hm?", brummte er mit einem schiefen Lächeln. "Mit wem habe ich die Ehre?" Nirah holte Luft und setzte zum Sprechen an. Sie wollte seinen Namen sagen und kurz und knapp erzählen, was geschehen war. Dann nach einer Unterkunft für ihn fragen.
Der Alte schnalzte missbilligend mit der Zunge. 
"Lass den jungen Mann sprechen. Mich interessiert, was er zu sagen hat." sagte er und fixierte Notos ebenso ruhig wie aufmerksam. 




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Zladune

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Re: The Headwinds - Handlung

von Zladune am 24.09.2022 21:49

Jasper wusste es wie immer besser. Tatsächlich begann sich nicht lange nach dem Verschwinden seines Gefährten der Wald etwas zu lichten. Die ersten Dächer der hölzernen Behausungen waren zwischen den breiten Baumstämmen erkennbar. Gewohnheitsbedingt verstärkte Notos den Griff um seine Waffe, überflog mit erhöhter Aufmerksamkeit die unmittelbare Umgebung. Sah sich insbesondere nach Verteidigungsposten und Wachen um, oder anderen bewaffneten Menschen, die am Waldrand versteckt lauern konnten. Erst nach und nach entspannte sich seine Haltung, wenngleich eine gewisse innere Anspannung nie nachließ. So unterschiedlich dieses Gebiet auch von dem Rest Arcadias sein mochte, man würde ihn höchstwahrscheinlich nicht grundlos anfallen – erst recht nicht, wenn er von einer ortsansässigen Heilerin begleitet wurde.

Weswegen es ihn nicht sonderlich ruhig stimmte, als diese jeden Muskel anzuspannen schien und sich gleichzeitig auffällig darum bemühte, leise und unscheinbar zu sein. Als wäre es ihr tausend Mal lieber gewesen, sich nachts durch irgendeinen Hintereingang in ihr eigenes Dorf zu schleichen. Aber weshalb würde sie ihm anbieten, nein, eigentlich ihn sogar dazu zwingen, in ihrem Dorf zu verweilen, wenn es so gefährlich wäre? Nirahs zugeraunter Befehl deutete zumindest auf nichts Gutes. Die Stirn nachdenklich in Falten gelegt, gab Notos ein kaum merkliches Nicken von sich, machte aber keine Anstalten dazu, seinem Partner irgendwelche Anweisungen mitzuteilen. Jasper wusste, was er tat. Es gab einen guten Grund, warum er sich noch lange vor ihrer Ankunft tiefer ins dichte Grün zurückgezogen hatte.

Auf die zweite Aussage seiner Begleiterin hatte er nur unverständlich eine Braue hochgezogen. Er und auffällig? Soweit er wusste, war er nicht derjenige hier, der flammenrote Haare hatte... Kaum dass sein Blick jedoch auf die ersten Dorfbewohner fiel, verstand er sofort, worauf Nirah hinaus wollte. Jede Person, die er sehen konnte oder sogar an ihnen vorbeikam, war wie Nirah schlichter, in naturfarbenen Klamotten gekleidet. Wenig überraschend sah er keine einzige Montur, die eine Gildenangehörigkeit andeutete. Und jeder hier besaß ein eher dunkelhaariges Haupt. Tatsächlich schien er wirklich die einzige Person mit einem derartig hellen Haarfarbton zu sein. Im Vergleich zu allen anderen in diesem Dorf mussten seine Haare fast schneeweiß wirken.

Notos unterdrücke seine Neugier, versuchte sich seine leichte Verwunderung nicht ansehen zu lassen. Wie ungewöhnlich. Bisher war ihm so etwas in dieser Art noch nie untergekommen. Die Bewohner aus den Azurnen Küsten besaßen einen natürlichen, sehr hellen, blonden Haarfarbton. In gewisser Weise konnte man das fast als weiteres Erkennungsmerkmal bezeichnen – wenngleich der Großteil der Bevölkerung selbstverständlich zu helleren Haarfarben neigte, eine Haarfarbe wie die seine fand man nur in seiner Heimatstadt. Ansonsten gab es die ein oder andere schwarzhaarige Familie. Aber niemals hatte er so viele dunkelhaarige Menschen an einem Ort gesehen. Wirklich ein sehr faszinierendes, außergewöhnliches Gebiet.

Notos ließ seinen Blick weiterhin unauffällig umherschweifen. Nahm eher nebenbei den Zustand der Behausungen wahr, aus welchen Materialen diese gefertigt waren, wie viele Menschen sie beherbergen konnten. Dieses Dorf schien sogar winziger als die Azurnen Küsten zu sein. Wobei der erste Blick täuschen konnte. In seiner Siedlung lagen die Hütten teilweise weit auseinander, vielleicht war dies hier ebenfalls der Fall. Eine Sache schien jedoch überall gleich zu sein. Schmunzelnd wich er zwei kleinen Jungen aus, die sich mit dicken Stöcken bewaffnet umherjagten. Sah ihnen noch für eine Weile mit einem warmen, gutmütigen Ausdruck im Gesicht hinterher, bevor er seinen Weg fortsetzte.

 

Und sein sanftes Lächeln die ganze Zeit über behielt. Er trug es schon seit ihrer Ankunft. Es war nicht dass erste Mal, dass er sich an Orten befand, an denen er nichts zu suchen hatte. An denen er auffiel, wie ein bunter Hund. Wichtig war hierbei immer nur gewesen, keine Schwäche oder Unsicherheit zu zeigen. Eine selbstsichere Ausstrahlung zu wahren. Nicht unbedingt eine, die von Arroganz zeugte – wenngleich diese auch zu Teilen ihren Nutzen haben konnte. Nein, von Bedeutung war es nur, dass man entschlossen wirkte. Als hätte man einen triftigen Grund, warum man hier war. Als wäre alles geplant, als würde alles so sein, wie es sein sollte. Und dieses Mal fiel es ihm gar nicht mal so schwer, das vorzutäuschen. Schließlich war seine Anwesenheit gerechtfertigt und der Beweis dafür lief direkt vor ihm.

Nirah führte ihn zu einem der größeren Behausungen, an der rechten Seite des Dorfplatzes. Blieb dort dann hadernd stehen. Und drehte sich schließlich zu ihm um. Bei ihren folgenden Worten konnte er es jedoch nicht unterlassen, in ein neckendes Grinsen zu verfallen. „Ich soll sympathischer sein. Nun, dann sollte ich mich wohl mehr wie du verhalten, richtig?", gab er ebenfalls leise stichelnd von sich. Hielt jedoch inne, bevor er ihr in freundschaftlicher Manier seinen Ellenbogen sanft in die Seite stoßen konnte. Er vergaß. Nirah und Berührungen waren eine sensiblere Sache. Er würde lernen müssen, sich mehr zurückzuhalten.

Interessiert beobachtete er heimlich von der Seite den Wandel seiner Begleiterin. Vor ihrem Mentor schien sie zumindest etwas Ehrfurcht zu besitzen. Sie hatte vorsichtig geklopft, war nicht direkt reingestürmt. Zumindest schien sie also mehr Achtung vor ihrem Lehrmeister als vor ihm zu haben, sonst hätte sie ihn nicht einfach trotz seiner offensichtlichen Gegenwehr reingedrängt. Es ziemte sich nicht, mit Waffen die Behausung einer fremden Person zu betreten, bei der man zu Gast war. Nicht ohne ausdrückliche Erlaubnis. Aber Nirah zog ihn ungeduldig mit sich. Zögerlich ließ sich Notos mitschleifen, blieb mit fest aufeinandergepressten Lippen neben der Rothaarigen stehen. Und hoffte inständig, dass der ältere Herr des Hauses seinen Fehltritt nicht persönlich nehmen würde.

Kaum den Raum betreten, musterte er schnell die Person vor ihm, schaute sich unauffällig im Zimmer um – und ein kleines Aufleuchten stahl sich in seine Züge, als er die Vielzahl an verschiedenen Kräuter und Heilpflanzen bemerkte, die auf einem einfachen Tisch ausgebreitet waren. Dieser Anblick war ihm sehr vertraut. Seine Aufmerksamkeit wanderte kurz zu Nirah, als der alte Mann sie für ihre Verspätung tadelte. Seine Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln verzogen, als er den Gesichtsausdruck der Heilerin erkannte. Warum überkam ihn das Gefühl, dass diese Konversation nicht zum ersten Mal stattfand? Scheinbar war ihr Mentor aber gutmütig genug, um darüber hinwegzusehen. Wenn er da an seinen eigenen Lehrmeister dachte... er hatte schnell gelernt, dass es besser war, wenn man den Morgenappell nicht verschlief. Und dass man generell immer pünktlich bei angekündigten Treffen aufzutauchen hatte. Wenn man töricht genug war, diese Befehle zu missachten... er unterdrückte den unterschwelligen Drang, über seinen Rücken zu reiben.

Als sich der alte Mann schließlich direkt an ihn wandte, fand Notos sofort seine Haltung wieder, richtete sich kerzengerade auf. Bewahrte allerdings trotz allem seine gutmütige Miene. Selbst wenn diese leicht zurückhaltender als üblich wirkte. Etwas an Nirahs Lehrmeister rief ihn zu einem vorsichtigeren Verhalten auf. Dabei lag es sicherlich nicht daran, dass dieser seinem eigenen Mentor ähnelte. Tatsächlich wiesen die beiden nur wenige Ähnlichkeiten auf. Allerdings war da etwas in diesem scharfsinnigen Funkeln in den Augen, etwas in der unbeirrten Miene, die keinerlei Verwunderung zeigte, was seiner Intuition missfiel.

Notos ließ sich jedoch ebenfalls nichts anmerken. Als er anfing zu sprechen, war sein Ton ruhig und höflich, in seiner Stimme schwang mehr Achtung mit, als es während Gesprächen mit Nirah der Fall gewesen war. Mit einer Hand auf seine Brust gelegt, deutete er eine kleine, respektvolle Verbeugung an und nannte seinem Gegenüber seinen Titel und seinen Namen. Ähnlich, wie er es bei Nirah auch getan hatte. Mit dem Unterschied, dass er dem alten Lehrmeister nicht anbot, ihn nur bei seinem Namen zu nennen. Einerseits, weil es generell unüblich war, einen Fremden nicht nur bei seinem Erkennungsnamen zu nennen. Andererseits stand ihm dieses Recht der Wahl nicht zu. Anduin Weißhaar war unverkennbar deutlich älter als er, weshalb es auch seine Entscheidung sein musste, wie er seinen Gast zu nennen gedachte.

Bei seinen nächsten Worten trat Notos sogar einen kleinen Schritt vor, stellte sich damit knapp ein wenig vor seine bisherige Begleiterin. Unwillkürlich kamen dabei Erinnerungen an den gestrigen Kampf auf. „Ich muss mich zudem entschuldigen. In diesem Fall obliegt mir die Verantwortung für Nirahs Verspätung. Ich wurde während meiner Reise verletzt und eure Schülerin war so gütig, mir Beistand zu leisten, bis sich mein Zustand verbessert hatte." Er streifte Nirah mit einem warmen Blick. Zumindest so lange, bis seine Aufmerksamkeit auf ihren verletzten Fuß traf. Sofort huschte ein Schatten von bitterer Reue über sein Gesicht, verhärtete seine Züge und er wandte betroffen den Kopf ab, die Hände angespannt um den Griff seiner Waffe gelegt. „Ich fürchte nur leider, dass es mir nicht möglich war, sie gänzlich unversehrt zurückzubringen." Es war ihm zugegeben im Moment völlig gleich, ob er eine Unterkunft bekommen würde. Oder ob die vorsichtige Wahl seiner Antworten Misstrauen aufwarf. Das Wichtigste war für ihn jetzt nur, dass seine Begleiterin endlich zur Ruhe kommen und ihre Wunde die Behandlung bekam, die sie gestern aufgrund ihrer Lage nicht zustande bringen konnten.



Antworten Zuletzt bearbeitet am 24.09.2022 21:58.

Saphyr

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Re: The Headwinds - Handlung

von Saphyr am 26.09.2022 22:09

Nirah wartete still, aber frustriert die kleine Vorstellungsrunde ab. "Ein ungewöhnlicher Name." meinte der alte Wächter leise, nachdem Notos eine kleine Verbeugung gemacht hatte. Fragte sich Anduin, was er wohl gesehen haben mochte, um auf diesen Erkennungsnamen zu kommen? Er konnte ja nicht wissen, dass er einen ganz anderen Ursprung hatte. Noch immer sah er ihn unentwegt an. Nachdenklich, fast fragend. Er musterte seine Stiefel, seine Montur, seine Waffen. Dann nickte er, als hätte er die Antwort, nach der gesucht hatte, gefunden.
"Es freut mich, deine Bekanntschaft zu machen, Notos Donnerschwinge. Man nennt mich Anduin Weißhaar. Aber bitte, nenn mich wie es dir beliebt. Ich bin das gewohnt."
Sein Mund verzog sich zu einem kleinen Schmunzeln und sein Blick huschte für einen Moment zu Nirah. Diese schnaubte und rollte demonstrativ die Augen. Ihr Mentor machte sich nichts aus Förmlichkeiten, das wusste sie. Das hieß nicht, dass er gänzlich auf den ihm gebührenden Respekt verzichtete. Er hatte seine ganz eigene Art, andere Menschen dazu zu bringen, ihn seiner Stellung entsprechend zu würdigen. Nirah hatte bisher niemanden kennengelernt, der nicht freiwillig zu ihm aufsah. Selbst sie hielt sich wirklich zurück ihm gegenüber, auch wenn er manchmal ihre Geduld absichtlich strapazierte. Sie erkannte es daran, dass ihm der Schalk sichtbar aus den Augen sprach. 

"Und mach dir keine Sorgen" fügte er direkt hinzu und lächelte verschmitzt. "Ich bin froh, dass du sie überhaupt zurück ..."
"Ich habe ihn hergebracht. Er ist noch immer verletzt." schaltete sich plötzlich Nirah ein und unterbrach ihren Mentor, welcher sofort mit einem schweren Seufzen reagierte. "Er muss irgendwo unterkommen, bis er vollständig genesen ist." forderte sie mit verschränkten Armen und nach vorne gestrecktem Kinn.
Anduin Weißhaar begegnete ihrem trotzigen Ausdruck völlig ungerührt. 
"Ach, ist das so?", brummte er und hatte dabei skeptisch eine Augenbraue nach oben gezogen. "Nun gut. Bei uns bekommt jeder die Hilfe, die er braucht. Selbst wenn er nicht von hier kommt, nicht wahr?" Dieses Mal warf er Notos nur einen knappen Seitenblick zu, trotzdem fuhr ein warnendes Kribbeln über Nirahs Nacken. Wie immer sah der Wächter mehr, als man ihm zutraute. 

"Er kann eines der neuen Quartiere hinter dem See beziehen. Ich habe erst gestern alle Vorräte erneuert." Sofort hellte sich Nirahs Miene auf, wie wenn ein Sonnenstrahl den Schatten streifte. Die Krankenquartiere waren ihre Idee gewesen. Ihr Mentor hatte begeistert veranlasst, dass sie in die Realität umgesetzt wurden. Zusammen hatten sie die Umgebung abgesucht, um den Ort zu finden, wo die Energie am kräftigsten floss. Sie hatten ihn ein kleines Stück hinter dem See gefunden. Hinter der Stelle, wo die von vorne oval aussehende Wasserfläche eine Biegung machte und sich als schmaleres Band in den Wald hinein schlängelte. Es war eine gute Idee, fand Nirah. Dort könnten langwierigere Fälle in Ruhe behandelt und Kranke isoliert werden. Das Wichtigste war aber, dass dort die Stärke jeglicher Heilzauber von vorneherein größer war als im Rest des Dorfes. Der perfekte Ort für eine Krankenstation.
Entweder es hatte an der Abgelegenheit oder am Unwillen der Leute, sich Veränderungen hinzugeben gelegen. Doch leider, waren und blieben die neuen Quartiere bis heute nicht viel mehr als ein gut gemeinter Versuch. Die meisten bestanden darauf, in ihrem eigenen Haus oder zumindest in dem von Anduin behandelt zu werden. Glücklicherweise hatte es in letzter Zeit auch keine wirklich schweren Fälle gegeben, die solch eine Einrichtung benötigt hätten. Und so hatten sie bisher kaum Verwendung gefunden. 

"Du wirst ebenfalls dort unterkommen." bestimmte der Wächter. Nirah sah ihren Mentor verständnislos an. "Du bist auch verletzt. Ich möchte, dass du dich entsprechend auskurierst. Außerdem ist unser Gast dein Patient. Du bist für ihn verantwortlich, solange er hier ist."
"Ich wohne auf der anderen Seite!" protestierte sie noch immer ungläubig. 
"Das heißt du gehst jetzt, lädst deine Sachen in deiner Hütte ab und holst alles, was du benötigst. Dann will ich dich im Krankenquartier sehen." sprach der Mann weiter, als hätte Nirah gar nichts gesagt. Sie starrte ihren Mentor mit großen Augen an.
"Jetzt, sagte ich. "
"Aber ... ich ..." stammelte sie hilflos, obgleich der völlig sinnlos scheinenden Anordnung. 
"Husch, kleiner Wolf", befahl er mit sanfter Stimme, aber machte dabei eine eindeutig nachdrückliche Handbewegung zum Ausgang hin. Ein Knurren erklang in Nirahs Kehle. Sie schnappte nach Luft. "Wir sprechen uns noch, alter Mann." zischte sie. 
"Das will ich hoffen. Soweit ich weiß, bist du noch immer meine Schülerin und ... Oh. " Anduin blinzelte und beäugte die Stelle, wo eben noch Nirah gestanden hatte. "Wie immer schneller als der Wind", murmelte er und sah Notos mit einem entschuldigenden Schulterzucken an. 

Nirah hatte so schnell kehrtgemacht, dass sie die Antwort ihres Mentors gar nicht mehr gehört hatte. Wieso in aller Welt sollte sie auch in das Quartier ziehen? Sie könnte sich ebenso gut in ihrer eigenen Hütte verarzten und ausruhen. Sie hatte schon damit gerechnet, dass sie würde nach Notos sehen müssen. Das war nur recht und billig. Außerdem war es nützlich, wenn sie nicht gänzlich von ihm abgeschnitten war. Aber so hatte sie sich das nicht gedacht. War das ein schlechter Scherz ihres Mentors? Vermutlich eher eine Strafe für ... was auch immer. 
Wutentbrannt stapfte sie zum hinteren Teil des Dorfes, der durch einen engen Durchgang zwischen den dichten Bäumen etwas abgeschnitten vom Rest lag. Es mochte vielleicht sinnlos sein und sie zur Weißglut treiben, aber sie war nicht dumm. Nirah erkannte, wann sie sich Ungehorsam bei dem alten Weißhaar erlauben konnte und wann nicht. Er hatte eine klare Anweisung gegeben und das hieß, sie musste sich dem wohl oder übel beugen. Sie ging zu ihrer winzigen Behausung und tat wie ihr geheißen: Sie entledigte sich ihrer Waffen, legte ihre Beutel und den Mantel ab und wechselte ihre Kleidung. Dann machte sie sich auf die Suche nach ein paar Dingen, die sie hinter den See mitnehmen würde. 

Derweil stand Anduin Weißhaar schweigend von seinem Platz am Tisch auf. Mit einer geschickten Bewegung band er seine schulterlangen Haare nach hinten. Dann zog er einen großen Korb zu sich und begann damit, die Kräuter fein säuberlich sortiert hineinzulegen. Ihm schien es durchaus bewusst zu sein, dass noch immer ein Fremder in seinem Heim stand. Die Höflichkeit gebot, dass er sich erst entfernte, wenn Anduin ihn entließ. Trotzdem beeilte er sich nicht sonderlich. Stattdessen fand er schließlich zu einigen wenigen, aber bedeutungsvollen Worten. 
"Wir beherbergen normalerweise keine fremden Krieger. Aber, du hast nichts zu befürchten, solange du hier bist." sagte er. "Du wirkst wie ein anständiger Kerl auf mich, junger Donnerschwinge. Mein Instinkt sagt mir, dass du nicht nach Gewalt trachtest. Wenn du allerdings Nirah anderweitig schadest, wirst du es bereuen. Sie ist wie eine Tochter für mich." Seine Stimme war fest und ruhig. Doch es war unmissverständlich, dass er jedes Wort ernst meinte. Sogleich wurde die gefährliche Ruhe von einem wissenden, kleinen Lächeln abgelöst. "Ich frage mich wirklich, was sie dazu bewogen hat, dich hierher zu bringen. Sie ist so gesellig wie ein Stein." lachte er leise und schüttelte nur den Kopf. Darauf erwartete er offensichtlich keine Antwort. 

Anduin schritt mit dem Korb in der Hand auf Notos zu. Das Alter hatte zwar seinen Tribut gefordert, doch er war immernoch groß genug, um ihm auf Augenhöhe zu begegnen. "Komm, ich führe dich." forderte er den Fremden auf und ging an ihm vorbei durch die Tür. Ohne sich umzusehen, erwartete er, dass Notos ihm folgte. "Ich möchte, dass sie sich ausruht. Es wäre mir recht, wenn du ein Auge darauf hast, wo sie sich herumtreibt. Keine Wanderungen, keine Jagd, bis sie gesund ist. Ich sorge für ausreichende Verpflegung. Mehr Gegenleistung erwarte ich nicht." teilte er seinem Gast auf dem Weg Richtung See mit. Kaum hatte er den Satz ausgesprochen, blieb er plötzlich stehen. "Warte."  Er legte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen. Er richtete sein Gesicht dem Wald hinter den Hütten zu. Fast schien es, als würde er einem Ton lauschen, den nur er hören konnte. Einige Augenblicke später öffnete er die Augen wieder und gab nur ein gemurmeltes "Ah. Ich verstehe." von sich. Anduin erklärte nicht, was seine Aufmerksamkeit erregt hatte und setzte den Weg fort. Ein paar Dorfbewohner, an denen sie vorbeikamen, nickten ihm respektvoll zu. 

Schließlich gingen sie unter einem Gang aus dichtem Blätterdach hindurch. Auf der anderen Seite fiel sofort das Glitzern des Wassers in das Gesicht der beiden Männer. Selbst über die noch bestehende Distanz wirkte es, als funkelten ihnen etliche Edelsteine prächtig entgegen. Sie gingen nicht bis zum Ufer. Vorher machte Anduin plötzlich eine abrupte Wende nach rechts und schritt scheinbar direkt in den Wald hinein. Ein winziger Pfad war in die Bäume geschlagen worden. Wenn man es nicht wusste, sah man ihn nicht auf den ersten Blick. Sie folgten dem Weg, wurden verschluckt von dem hier üblichen dichten Wald. Doch sie mussten nicht weit gehen, bis sich das Grün wieder lichtete, um einen kreisrunden Platz freizugeben. Zwei identische Häuschen standen einander gegenüber. In beiden befand sich jeweils rechts und links ein Zimmer für Patienten. In der Mitte gab es genügend Raum für den zuständigen Heiler und allerlei Vorräte. Beide Quartiere standen leer. Zwischen den Gebäuden war ein Feuerplatz mit Kochstelle angelegt worden. Zwei Bänke sorgten für den maximalen Komfort. Alles sah neu aus, wenigstens neuer als der Rest des Dorfes. Das Holz war hell und gab einen frischen Duft nach außen ab. Dahinter schimmerte noch immer das Wasser durch die Bäume und man hörte gelegentlich ein sanftes Plätschern oder das Quaken eines Froschs.

"Da wären wir. Such dir einem Raum aus. Und..." Anduin streckte Notos den Korb entgegen. "...gib das Nirah. Ich werde euch dreien jetzt eure Verpflegung organisieren. Lasst aber den Fasan nicht verkommen." lächelte er augenzwinkernd und ging den Weg den er gekommen war alleine zurück. Notos ließ er bei den Krankenquartieren zurück.

Wenig später bog Nirah um die Ecke. In ihren Armen trug sie ein Bündel, das nach Kleidung aussah. Sie selbst trug eindeutig etwas anderes als zuvor - statt ihrer Reisekleidung hatte sie die schlichte, praktische Montur angezogen, die in ihrem Dorf üblich war. Nur die Stiefel, die waren diesselben. Vom Bogen war keine Spur mehr zu sehen, doch der Dolch und der Zahn waren noch immer an ihrem Gürtel. Sie streckte ihren Kopf über den Kleiderstapel in ihren Armen und versuchte Notos zu erspähen. Hatte er sich bereits zurückgezogen? Das wäre wohl nicht das schlechteste. Die neue Situation trieb ihre Laune auf den Tiefpunkt zu. Schnaubend ließ sie die Kleider auf eine der Bänke fallen. 


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Antworten Zuletzt bearbeitet am 26.09.2022 23:33.

Zladune

26, Weiblich

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Neuling

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Re: The Headwinds - Handlung

von Zladune am 28.09.2022 02:27

Es passierte bei ihrem entnervten Schnauben. Bei dem missbilligenden Verdrehen der Augen. Jede noch so kleine Geste, mit der Nirah ihren Lehrmeister infrage stellte oder ihm irgendeine Form der Respektlosigkeit entgegenbrachte, ließ Notos innerlich erschaudern. Äußerlich jedoch wahrte er nur seine stramme Haltung, die Hellebarde nahe in einer ruhenden Position an seiner Seite. Stumm. Von Ernsthaftigkeit geprägt. Ohne große Gefühlsregungen preiszugeben. Eine Haltung, die lediglich verriet, dass sie schon unzählige Male vollführt worden war. So oft, dass der Körper sie schon wie von selbst einnahm, als würde diese sofort von ihm erwartet werden. Einzig die zwei Äste in seiner Hand und der Fasan am Gürtel wirkten eindeutig fehl am Platz. So wie vielleicht im größeren Rahmen eigentlich auch seine ganze Person.

Was sich wohl auch Nirahs Mentor bewusst geworden war. Überraschung würde man in Notos ' Zügen lange suchen können. Anduin Weißhaars goldrichtiger Vermutung begegnete er mit einer weiterhin unleserlichen Miene – wenngleich das kleine, gutmütige Lächeln, welches er bislang getragen hatte, eine Spur breiter wurde. Hatte er es doch gewusst. Seine Intuition betrog ihn nie. Und so nickte er nur, deutete abermals eine respektvolle Verbeugung an: „Das ist sehr gütig von euch." Schmunzelte wissend, fast schon leicht verschmitzt vor sich hin. Bestätigte mit dieser Aussage aber weder die Annahme des alten Mannes, noch widerlegte er diese. Jeder würde hier also Hilfe bekommen, die er brauchte... Heilerpack durch und durch. Dabei war ihm sicherlich nicht mehr zu helfen. Nicht bei den Dingen, die von Bedeutung waren. Damals, wie auch heutzutage. Kein Heiler der Welt würde das tun können.

Am Rande seines Bewusstseins nahm Notos das Aufleuchten in dem Gesicht der Rothaarigen zur Notiz, kaum dass die Quartiere am See erwähnt wurden. Nur den Grund, den konnte er sich nicht herleiten. Nun, es konnte nicht schaden, diese Information im Hinterkopf zu behalten. Jegliche weitere Gedanken, die er hatte formulieren wollen, verflüchtigen sich sofort, als die Atmosphäre mit einem Mal angespannter wirkte. Allerdings nur von Nirahs Seite aus. Notos verfolgte die Unterhaltung zwischen dem Lehrmeister und seiner Begleiterin so amüsiert wie verwundert, wusste nicht, ob er sich aufgrund des Kosenamens "kleiner Wolf" ein Grinsen verkneifen oder nicht doch lieber zusammenzuzucken sollte, als Nirah ihren Mentor allen Ernstes "alter Mann" nannte. Zwei Dinge wurden ihm binnen Sekunden glasklar. Erstens dankte er den Göttern, dass Nirah mit der größten Wahrscheinlichkeit niemals seinem Mentor begegnen oder bei ihm sogar in die Lehre gehen würde. Und zweitens: Nirah war tatsächlich noch keine fertig ausgebildete Heilerin. Oder eher Wächterin. Das... brachte ein wenig die Sache mit ihrem Erkennungsnamen bei ihm durcheinander. Es machte von der zeitlichen Abfolge her gar keinen Sinn mehr. Aber was machte in diesem Gebiet überhaupt noch Sinn?

Letztendlich lachte Notos jedoch nur leise in sich hinein, als Nirah davonstürmte – mit einem erstaunlichen Tempo, trotz Verletzung. Doch ob sie wirklich schneller als der Wind war? Das wollen wir erstmal sehen, melde sich eine vorfreudige Stimme. Allerdings, wie auch während einem Großteil des Gespräches, hüllte er sich weiterhin in Schweigen. Verharrte in seiner aufrichtigen Haltung. Erwartete Anweisungen. Die... nicht kamen. Eine geraume Zeit lang erfüllte Stille den Raum, nur gedämpft erklangen ein paar Geräusche von draußen, einmal übertönt von dem geschäftigen Arbeiten des alten Wächters, als dieser einen geflochtenen Korb zu zog. Notos hatte seinen Kopf abgewandt, seine Aufmerksamkeit scheinbar ins Leere gerichtet, während er mit stoischer Ruhe abwartend lauschte. Wie so oft. Es dauerte, bis Anduin Weißhaar erneut das Wort erhob.

 

Er drohte ihm. Natürlich. Notos' Lippen mochte kein Laut entkommen, dafür zierte seine Züge ein sanftes Lächeln. Trotz der Intensität, die plötzlich zwischen ihnen schwang. Er verstand die Gründe. Doch er unterbrach den alten Mann nicht, sagte nichts zu dessen unmissverständlichen Warnungen. Er hatte keinen Grund, warum er sich rechtfertigen müsste. Eine Antwort entlockte  tatsächlich erst die Aussage, auf die sein Gastgeber keine erwartete. Nirah und so gesellig wie ein Stein. Notos schmunzelte bedächtig. Das mochte vielleicht zum Teil stimmen, aber... „Auch Steine haben viel zu erzählen. Besitzen ihre eigenen Geschichten. Man muss sie nur richtig lesen können." Instinktiv, ohne sich dessen scheinbar wirklich bewusst zu werden, wanderte Notos Hand zu seinem Kopf, strich über den ringförmigen, türkisen Edelstein am rechten, oberen Teil seiner Ohrmuschel. Dann ließ er seine Hand abrupt sinken, seine Stimmung sowie seine Haltung erwiderte die Ernsthaftigkeit seines Gegenübers. „Ich mag kein Wächter sein. Doch auch ich wurde mitunter dazu ausgebildet, um zu schützen. Sollte dies für euch von Bedeutung sein, dann habt ihr zumindest mein Wort, dass ich alles in meiner Macht Stehende tun werde, um eure Schülerin vor Schaden zu bewahren." So wie er es ihr auch schon einmal geschworen hatte. Ein gefährliches Versprechen. Und eines, welches du bereits einmal beinahe nicht einhalten konntest. Aber damit hast du ja schon Erfahrung, nicht wahr? So wie bei.. Er würgte diese gehässige Gedanken ab, bevor sie allzu tiefer schneiden konnten.

Seine Hellebarde deutlich zu fest umklammert, folgte Notos dem Lehrmeister nach dessen Befehl nach draußen. Seine Intuition verriet ihm, dass von dem Wächter momentan keine Bedrohung zu erwarten war. Die Vorsicht ihm gegenüber jedoch verschwand nie. Im Gegenteil, sie verstärkte sich, als der alte Mann plötzlich stehen blieb, den Kopf in den Nacken gelegt, die Augen geschlossen. Notos zog unmerklich die Brauen zusammen. Oh, er spürte genau, wer sich in dieser Richtung befand. Sein Misstrauen wurde sicherlich nicht besser, als sie danach ohne eine Erklärung weitergingen.

Den Rest des Weges verbrachte Notos in seinen Gedanken. Selbst als sie bei ihren Quartieren ankamen und Nirahs Mentor ihn mit einigen Anweisungen bedachte, musterte er nur mit einem schwer deutbaren Gesichtsausdruck sein Gegenüber. Erst als dieser gerade dabei war, sich von ihm abzuwenden, rang er sich zu ein paar kurzen Worten ab. Sein Lächeln wirkte unüblich in sich gekehrt. „Ich werde versuchen, ein Auge auf Nirah zu werfen. Doch ich werde nichts versprechen. Ich... bemühe mich keine Versprechungen mehr zu geben, die ich nicht einhalten kann." Und einen Wirbelwind wie es die Rothaarige nun einmal war, konnte man nur schwer aufhalten.

Dann war er auch schon alleine. Mit einem schweren Seufzen sah sich Notos um. Das hier würde also sein temporäres Lager werden. Es war recht abseits vom Rest des Dorfes, was nur von Vorteil sein konnte. Und es wirkte neu, beinahe unberührt. Es machte den Eindruck, als hätte vor ihm hier nie jemand gewohnt. Wie lange würde er hier wohl aushalten können? Einen halben Tag? Vielleicht sogar einen ganzen? ....Mehr als drei Tage war er sicherlich nicht gewillt zu bleiben. Er konnte nicht. Unter keinen Umständen. Und... er dachte an die letzten Worte des alten Wächters zurück, seine Miene verfinsterte sich unwillkürlich. Vielleicht würde er auch früher gehen müssen.

Doch zuerst, das Übliche: Die Lage gehörte aussondiert. Er musste sich hier notfalls auch blind zurechtfinden können. Ohne großartig viele Gedanken daran zu verschwenden, trat Notos in eines der Häuser ein. Die Türen waren so neu, dass sie kein einziges Knarzen von sich gaben. Er ließ seinen Blick schweifen. Über die schweren Regale, die wohl vorranging für Heileruntensilien und etwaige länger haltbare Vorräte gedacht waren. Über den kleinen, rechteckigen Tisch, der sich daneben befand, den er prompt dafür missbrauchte, um den Kräuterkorb sowie den Fasan darauf zu legen. Über den hellen, weichen Ton des Holzes, welcher nahe an den Farbton der Wände und Möbelstücke kam, die er von Zuhause kannte. Die Zimmer an sich hingegen erinnerten ihn an die Schlafräume der Akademie – karg eingerichtet. Ein einziges Bett, welches wohl weicher und wärmer sein würde, als es aussah. Ein grob gezimmerter Stuhl, ohne große Verschnörkelungen, doch es würde seinen Zweck erfüllen. Ein schlichter Schrank für Bekleidungen und Laken. Ansonsten... nichts. Keine bemalten Wände. Keine Kommoden, auf der die ein oder andere Holz- oder Metallskulptur stand. Keine aufgehängten Bilder mit den unterschiedlichsten Motiven, kein weißer Faden der sich zwischen diese hindurchschlängelte und der über und über mit Bündeln aus manchmal mehr, manchmal weniger getrockneten Kräutern behangen war. Statt einem herben, erdigen Geruch, der ab und an mit einer süßlichen Note vermischt war, schlug ihm hier nur der Duft von frischem Holz entgegen. Notos schüttelte den Kopf, als würde er damit die Schwere in seinem Herzen vertreiben können. Wenn er hier länger verweilen wollte, würde ihn wohl noch etwas Arbeit erwarten.

Sein nächstes Ziel führte ihn weiter weg von den Quartieren. Er schlug dafür allerdings nicht den Pfad ein, den er vorher mit dem alten Wächter gelaufen war. Stattdessen nahm er eine Abkürzung, schlug sich durch das Unterholz des Waldes. Mithilfe seines selbsterwählten Weges fand er recht schnell, was er gesucht hatte: Das Seeufer. Und Notos begann selig zu lächeln. Nicht aufgrund des fast schon magisch anmutenden Anblickes der glitzernden Wasseroberfläche. Oder, nicht nur. Nein, er sah wie von selbst nach oben zu dem Blätterdach, welches sich über dem See auf natürliche Art und Weise lichtete. Und nach so vielen Stunden einen besseren Blick auf einen strahlenden Himmel freigab. Unwillkürlich entspannte sich seine Haltung ein wenig. Es war befremdlich, für eine so lange Zeit nicht das Blau des Himmels zu erkennen, sondern es nur spüren zu können.

Erst danach wandte er sich an den klaren, sonnenbeschienen See, beobachtete, wie die noch kräftigen Strahlen vorsichtig über die Wasseroberfläche strichen. Dort, wo das Licht die Seeoberfläche berührte, schien ein silbrig funkelnder Pfad zu entstehen, der bis ans Ufer reichte. Würde der See in ein paar Stunden, wenn die Sonne untergehen würde, im tiefen Rot der Rubine erleuchten?

Lächelnd bückte sich Notos, suchte den Boden nach ein paar flachen Steinen ab. Spielte dann mit diesen kurz in den Händen, bevor seine kindliche Ader siegte und er einen Stein in Richtung des Sees schleuderte. Er zählte gar nicht erst, wie oft dieser die glänzenden Pfad durchbrach, bis er das andere Ufer erreichte. Er hörte auch so nur zu gut Neelas spöttisches Lachen. Du bist ja vollkommen eingerostet, Nol. Wetten, dass ich mindestens sieben mehr schaffe? Und gewonnen hatte sie in den letzten Jahren fast immer. Er war wirklich viel zu selten zum Üben zu Hause.

Notos ließ gedankenverloren einen weiteren Stein über die Wasseroberfläche hüpfen. Und noch einen. Und einen weiteren. Bevor er jedoch seinen vierten Stein werfen konnte, erhob er belustigt die Stimme, ohne seine Bewegung dabei zu unterbrechen. „Ihr wisst schon, dass ich weiß, dass ihr da seid, richtig?" Zeitgleich mit einem leisen Platschen war ein hektisches Rascheln im Wald hinter ihm zu hören. Doch noch während die letzten Kreise die Seeoberfläche durchzogen, war die Präsenz hinter ihm bereits verschwunden. Er schüttelte amüsiert den Kopf. Die drei würden sich wohl nicht mehr so schnell hier blicken lassen. Aber er war sich sicher, dass er sie nicht zum letzten Mal hier gesehen hatte.

Noch für eine ganze Weile starrte Notos gedankenverloren den See an, bevor er sich einfach am Ufer niederließ. Er sollte wohl irgendwann wieder zurückkehren. Allerdings sehnte er sich in diesem Moment der angenehmen Stille nicht sonderlich nach seiner Begleiterin. Und wenn man ihren Worten glauben schenkte, wäre sie wohl mehr als froh, ihn für eine Weile loszuwerden. Nun, solange ihn dieser Nachmittag noch mit genügen Licht und trauter Einsamkeit beschenkte, konnte er sich um die Dinge kümmern, die er bisher vernachlässigt hatte: Er konnte versuchen, das Blut aus seiner Kleidung zu waschen. Sie wieder zusammenzuflicken. Die Lanze hat einen klar sichtbaren Riss an seiner Seite verursacht. Vernon würde ihm zwar dafür mal wieder den Kopf abreißen, aber zumindest notdürftig würde er seine Montur selbst nähen können. Zudem sollte er sich nach der Wanderung seine Wunde wieder ansehen. Die erste Inspektion am Morgen hatte ihm gezeigt, dass sich diese während dem gestrigen Kampf wohl geöffnet haben musste. Er würde sie hier also zumindest in Ruhe säubern können. Vielleicht würde die Zeit auch für eine kleine Heilung reichen. Wie lange würde es wohl dauern, bis Nirah ihn vermissen würde? Bis sie sogar so weit gehen würde, um ihn zu suchen?

... Lange. Sehr lange.

Somit war es beschlossene Sache. Der Wald hier war nah am Dorf, aber abseits genug, damit sich andere Bewohner fern hielten. Und selbst wenn ihn jemand dabei sehen sollte, wie er seine Montur auf Vordermann zu brachte, war es ihm recht gleich. Solange es nicht Nirah oder ihr Mentor war...



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Saphyr

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Re: The Headwinds - Handlung

von Saphyr am 29.09.2022 03:13

Notos war nicht da. Er hielt sich weder am Feuerplatz noch in einer der Hütten auf. Nirah hatte sich einmal umgesehen, nachdem sie die Kleider hatte fallen lassen. Das Einzige, was auf seine Anwesenheit hingedeutet hatte, war ein Korb und der tote Vogel. Sie ging davon aus, dass er wohl ein Zimmer in diesem Gebäude beanspruchen würde. Sie holte den Kleiderstapel von draußen und legte ihn dazu. Nirah hatte Wechselkleidung für ihn auftreiben können. Es würde ihm sicherlich etwas davon passen. Sie wusste nicht, wie lange er bleiben würde, wie lange es dauern würde, bis sie besser wusste, was sie mit ihm anstellen sollte. Aber er hatte nichts anderes dabei, so wie es schien. Außerdem würde er weniger auffallen, sobald er statt der seltsamen blauen Montur die gedeckten Naturfarben ihres Dorfes trug. 

Ohne Umschweife entschied sie, dass sie selbst im anderen Gebäude schlafen würde. Natürlich gab es pro Haus zwei Zimmer, aber je weiter sie von ihm weg war, desto besser. Wenn sie eine wirkliche Wahl gehabt hätte, wäre sie in ihrem eigenen Häuschen. Sie hätte doch morgens und abends hierherkommen können. Aber nein. Wieder einmal war sie mehr an diesen Mann gebunden, als ihr lieb war. Vielen Dank auch, Weißhaar. Wenigstens war es besser als eine kleine Höhle mit Notos zu teilen. Auch wenn sie sich nichteinmal daran erinnern konnte, überhaupt neben ihm geschlafen zu haben. 
Trotz ihrer Unzufriedenheit kam sie nicht umhin, sofort die beiden Krankenquartiere zu erkunden. Sie inspizierte die Schränke und Schubladen. Ihr Mentor hatte nicht gelogen, als er meinte, es wäre alles aufgefüllt worden. Sie fand eine große Menge an getrockneten Kräutern, Verbänden, Salben und Tinkturen. Sogar Feuerholz war vorhanden. Sie war schon eine Weile nicht mehr hier gewesen. Es war irgendwie in Vergessenheit geraten. Entsprechend waren auch die Vorräte nicht ständig erneuert worden. Beinahe schien es so, als hätte der alte Wächter erwartet, dass sie und Notos verletzt ins Dorf kommen würden. Dass sie eine praktische Unterkunft brauchen würden. Eine, wo der Fremde nicht so sehr ins Auge der Dorfbewohner fiel und Fragen aufwerfen würde. Nirah versuchte es, als Zufall abzutun, aber es fiel ihr schwer. 

Wo auch immer sich Notos herumtrieb, er konnte ihr gestohlen bleiben. Endlich hatte sie etwas Zeit für sich. Ganz alleine. Sie hatte sich eine Kleinigkeit zu essen mitgebracht, welche im Nu verschwunden war. Humpelnd suchte sie das für sich auserkorene Zimmer auf.  Sie setze sich auf das Bett und legte das verletzte Bein hoch. Gerne hätte sie schon den Verband abgenommen, doch die Wunde war noch zu frisch, könnte sich entzünden. Sie täte sich selbst keinen Gefallen damit. Notos hatte trotz seiner Blindheit gute Arbeit geleistet. Der Stoff saß fest und schnürte ihr dennoch nicht das Gewebe ab. Später würde sie sich noch einmal die Zeit für einen Heilzauber nehmen. Sie freute sich schon darauf. Seit sie auf die menschengemachte Lichtung gekommen war, pulsierte die Energie regelrecht um sie herum.
Doch eine Sache nach der anderen. Nirah hatte vor, das gute Wetter auszunutzen. Vielleicht könnte sie für einige Zeit vergessen, warum sie hier war und nicht in ihrem Heim. Warum ihr Bein schmerzte. Warum sie ihre Hoffnungen für die Zukunft aktuell auf einen Mann setzte, der ihr ein absolutes Mysterium war. Und das nicht nur wegen seiner Herkunft. 

Sie legte ihren Gürtel, das Messer und den Zahn neben sich ab. Schließlich trug sie nur noch ein beiges Oberteil und eine Hose aus demselben luftigen Stoff, sowie leichte Schuhe, die nicht für lange Strecken gedacht waren. Bequem und den sommerlichen Temperaturen angemessen. So verließ sie das Quartier. Sie musste nur einige Schritte machen, dann war sie schon wieder von Bäumen umgeben. 
In einem großen Bogen schlug sie sich durch den Wald, bis sie weit genug von sämtlichen neugierigen Dorfbewohnern entfernt war. Erst dann machte sie eine scharfe Kurve. Der See funkelte ihr erwartungsvoll entgegen. Die Lage der Krankenquartiere hatte eindeutig einen großen Vorteil: Niemand sah, wenn sie zu dem versteckten Teil des Ufers ging. Eigentlich waren alle dazu angehalten, nur den vorderen Abschnitt zu nutzen. Damit das Wasser nicht unnötig belastet und die Tiere nicht zu sehr gestört wurden. Wenn sie aber schon einmal hier war ... Es war nicht das erste Mal, dass sie sich alleine herschlich. Im Gegensatz zu den meisten anderen war sie leise und konnte gut einschätzen, was sie tun und lassen durfte.

Am Wasser zog Nirah die Schuhe aus und ging ein paar Schritte hinein. Nur so weit, dass es ihre Knöchel umspielte. Gerne wäre sie ganz hineingestiegen. Allerdings wäre es nicht sehr sinnvoll, den Verband zu durchweichen. Also setzte sie sich nur auf einen Stein am Ufer und hielt ihre Füße hinein. Genoss die Stille und das Vibrieren ihrer Umgebung.
Nach einer Weile kniete sie sich vor den Rand des Wassers, schöpfte etwas davon auf ihre freiliegenden Arme und hielt sogar den Kopf mitsamt Haaren hinein. In der Sonne war es noch immer sehr warm, obwohl sich der Sommer seinem Ende zuneigte. Sie konnte nicht schwimmen gehen, aber etwas Abkühlung konnte sie sich auch so verschaffen. Nirah wrang die nassen Haare aus, die nun einige Töne dunkler schimmerten und kämmte sie mit den Fingern. Dann erhob sie sich, nahm die Schuhe nur in die Hand und lief am Ufer entlang. 

Ihre Hose wies an den Knien nasse Flecken auf und ihr Haar tropfte ein wenig, weshalb auch ihr Oberteil nicht ganz trocken blieb. Aber es war ihr egal. Sie hatte nicht vor, sich in nächster Zeit noch einmal im Dorf blicken zu lassen. Die Sonne würde es schon langsam trocknen lassen. 
Kleine Steinchen drückten sich in ihre Fußsohlen, während ihrer langsamen Wanderung. Nirah folgte der Biegung des Ufers, wusste, dass sie wieder näher zu den Quartieren kam. Irgendwann blockierte ein Erdvorsprung ihren Weg, der als kleine Erhöhung in den See hineinragte und sogar zwei Bäume auf seinem Rücken trug. 

Sie kletterte den Absatz nach oben, obwohl sie es nicht sollte, mit ihrem verletzten Bein. Sie hatte sich kaum auf der anderen Seite nach unten gleiten lassen, als eine Bewegung in unmittelbarer Nähe ihre Aufmerksamkeit erregte. Keine zehn Schritte vor ihr saß jemand halb bekleidet am Wasser. Nirah stoppte sofort, realisierte kurz darauf, wer es war. Das helle Haar war unverkennbar. Notos. 
Verwundert über seine plötzliche Anwesenheit, ließ sie ihren Blick einmal über seine Gestalt schweifen. Er hielt etwas in den Händen, das Teil seiner Montur sein musste, und hatte sich leicht darüber gebeugt. Seine Haut war hell im Licht und schien an manchen Stellen beinahe zu schimmern. Moment, war da Farbe an ihm? Irgendwelche seltsamen Muster zierten die nicht ganz unversehrte Oberfläche. Es waren Narben, die das Bild störten, stellte Nirah fest. Einige. 

"Ich ... äh ... entschuldige?" brachte sie heraus und wollte sich unverzüglich wegdrehen. Es war nicht so, dass der Anblick ihr die Schamesröte ins Gesicht treiben würde. Sie war inzwischen so einiges gewohnt. Für solche Dinge wie Befangenheit wegen eines bisschens Haut blieb kein Platz, wenn man versuchte, Leben zu retten. Sie kam trotzdem nicht umhin zu bemerken, dass es sich anfühlte, als wäre sie aus Versehen in seine Privatsphäre eingedrungen.
Ein zweiter Blick sorgte jedoch dafür, dass sie mit zusammengekniffenen Augen auf ihn zutrat. Wo gestern noch eine kleine Fläche von der vergiftungsähnlichen Verletzung betroffen gewesen war, zog sich heute ein Netz aus dunklen Adern auf blassem Untergrund bis zu seinen Rippen. Beinahe wie bei einer Blutvergiftung schien es gen Herzen zu wandern. Der Wunde selbst sah ebenfalls nicht besser aus. Im Gegenteil, sie schien zu irgendeinem Zeitpunkt wieder aufgegangen zu sein. Bestimmt während des Kampfes. 

Nirah stemmte die Arme in die Seiten und sah Notos entrüstet an. "Wieso hast du nicht gesagt, dass es so viel schlimmer geworden ist?", sagte sie und deutete anklagend auf seine Seite. "Wenn ich es gewusst hätte, hätte ich mir mehr Zeit dafür nehmen können." Und wieso hatte sie das nicht getan? Weil du selbst verletzt wurdest und es vergessen hast. Und heute warst du den halben Tag durcheinander, weil er die Augen aus deinen Visionen hat. Außerdem war er immer so unbekümmert erschienen, hatte nie Anzeichen von Schmerzen zeigen lassen. Sicher, er wirkte schon den ganzen Tag etwas müde, das war es aber auch. 
Nirah wurde klar, dass er ihr allen Ernstes hatte Krücken anbieten wollen, während er selbst wahrscheinlich vertuscht hatte, wie es um seine eigene Gesundheit stand. Niemals ließ ihn das völlig unbeeinträchtigt. 
"Komm mit mir zu den Quartieren. Ich behandle das. Dieses Mal richtig." befahl sie. Und vorbei war es mit der wundervollen Einsamkeit. 



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Zladune

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Re: The Headwinds - Handlung

von Zladune am 29.09.2022 23:29

Zuerst die dunkelblaue, robuste Weste. Dann die Montur seines Ordens, nur einen unscheinbaren Hauch heller als die schützende Kleidungsschicht darüber. Und schließlich das sandfarbene Oberteil, aus deutlich weicheren Stoffen, als es der Rest seiner Bekleidung war. Alles landete nach und nach fein säuberlich gefaltet neben ihm auf dem Kiesbett. Notos bemühte sich, sich nur langsam auszuziehen, unnötige Bewegungen dabei zu vermeiden. Seine Seite meldete sich bereits auch so in regelmäßigen Abständen mit einem scharfen Stechen, kaum dass er die Arme anhob. Bisher hatte er die Schmerzen gut verdrängen können. Um ganz ehrlich zu sein, war seine Wunde während der mehr oder wenigen monotonen Wanderung fast in Vergessenheit geraten. Nun, da er den Ausmaß des Schadens wieder mit eigenen Augen sah, versuchte sich auch das hitzige Brennen in seinen Adern wieder in sein Bewusstsein zu drängen. Die Vergiftung war seit dem Morgengrauen nicht vorangeschritten. Von einer Verbesserung konnte allerdings auch keine Rede sein...

Lautlos seufzend griff Notos nach seinen Reisebeuteln. Zog abermals das Tuch hervor, mit dem auch Nirah gestern ihre Verletzung gereinigt hatte. Tauchte diesen in das kühle, kristallklare Wasser, ließ seine Hände ein wenig länger als nötig im See ruhen, bevor er sich einen Ruck gab und den Stoff wieder anhob. Ihn auswrang, ehe er vorsichtig seine Wunde abzutupfen begann. Verzog dabei unmerklich das Gesicht, wann immer er eine sensible Stelle erwischte. Aber es musste sein. Eine neue Kruste an Blut zierte die Ränder der Stichwunde, das dunkle Rot auch unmittelbar daneben auf der Haut verschmiert. Stofffasern waren vereinzelt erkennbar – sein Oberhemd war beinahe mit der Verletzung verklebt gewesen. Wenigstens das getrocknete Blut gehörte entfernt. Die Zähne fest zusammengebissen machte sich Notos so sanft wie nur möglich ans Werk.


Sobald dies getan war, säuberte er routinemäßig wieder das Tuch, stand danach auf, um es aufzuhängen. In der Sonne würde es schnell trocknen. Sah danach nocheinmal gedankenverloren zum See, ehe er sich entschied, seine Stiefel ebenfalls auszuziehen, bevor er sich niederließ. Er würde nicht umhinkommen, etwas tiefer ins Wasser zu gehen, um seine Kleidung waschen zu können. Zwar würde er aufgrund seiner Wunde nicht schwimmen gehen können – auch wenn er wirklich, wirklich nichts lieber getan hätte. Der See sah herrlich aus und er vermisste das Gefühl so unglaublich sehr, einfach wieder nur kühles Wasser um seinen Körper spüren zu können. Aber das unterschwellige Brennen an seiner Seite erinnerte ihn schmerzhaft daran, dass das in seinem momentanen Zustand keine gute Idee wäre.

Somit atmete er nur erneut missmutig tief aus, ehe er wieder nach einem Beutel am Gürtel griff. Zwei kleine Spulen kamen zum Vorschein, einmal mit einer indigoblauen- einmal mit einer beigen Fadenrolle. Letztere kam von der Farbe her seinem Haarfarbton sehr nahe. Aus seinen Heileruntensilien borg er sich eine Nadel, bevor als erstes nach seinem hellen, sandfarbenen Oberteil griff. Der Stoff schmiegte sich sofort an seine Hand, weich und vertraut. Ein langjähriger Weggefährte. Hielt einen während Reisen in eisigen Winden warm, war jedoch immer noch gut tragbar, wenn die Sonne einem auf den Kopf prallte. Nur hier war es seltsam. Seine Vermutung am gestrigen Abend hatte sich längst bestätigt: Es war wirklich ungewöhnlich warm in diesem Gebiet. Es ließ sich zur Zeit zwar ohne größere Probleme aushalten. Dennoch kam während seinen Näharbeiten nicht zum ersten Mal der Gedanke auf, ob andere Kleidung hier nicht praktischer wäre. Nicht nur aufgrund der Temperaturen. Nirah war bereits beim bloßen Anblick seiner Montur stutzig geworden. Selbst ihr Mentor hatte sofort bemerkt, dass er nicht von diesem Ort stammte. Sollte er längere Aufenthalte in diesem Gebiet planen, wäre es vermutlich sinnvoller, sich den hiesigen Klamotten anzupassen. Sonst würde er überall sofort auffallen – auch wenn er sich unsicher war, inwieweit Kleidung allein helfen würde. Nach den bisher erhaltenen Reaktionen kamen seine Waffen und seine Haarfarbe den Leuten schon ungewöhnlich genug vor. Aber... momentan war es sowieso nicht nötig, sich darum Gedanken zu machen. Er würde ja kaum mehr als ein paar Tage hier verweilen. Und in Arcadia könnte er Vernon bitten, ob ihm einer seiner Freunde nicht etwas... einfacheres nähen konnte. Auch wenn Vernon alleine bei der Anfrage einen Ohnmachtsunfall vortäuschen würde.

Die wärmenden Strahlen der Sonne wanderte nur langsam, kaum bemerkbar an der Seeoberfläche weiter, während Notos still arbeitete. Sein Hemd hing bereits genäht und gewaschen auf einem tief hängenden Ast, als er an der Montur seines Ordens weitermachte. Von Zeit zu Zeit unterbrach nur ein leises, gemurmeltes Fluchen die Ruhe, als er sich die Spitze der Nadel mal wieder in seine Finger bohrte. Es passierte ungewöhnlich oft, für seine Verhältnisse. Er hatte zwar gewusst, dass solche Näharbeiten nur bedingt zu seinen Stärken gehörten. Aber als er bestimmt zum zehnten Mal kurz seine Hand zur Abkühlung ins Wasser tauchte, kam seine Geduld gefährlich ins Wanken. Lag es an diesem friedlichen Ort, der einen mit seiner Ruhe und Wärme einlullte, dass seine Konzentration so sehr litt? Oder an den paar Stunden an fehlendem Schlaf?

Plötzlich ertönte ein leises Knacken zu seiner Rechten. Dann, dicht gefolgt ein Scharren, als würde ein wenig Geröll einen sandigen Abhang runterrutschen. Oder... etwas Größeres. Sofort schnellte seine Hand, in der er die Nadel gehalten hatte, zu seinem Gürtel, die Finger streiften bereits den Griff des Schwertes. Doch noch verharrte er in seinem Schneidersitz, unwillig, sich auf der Stelle aufzurichten und in eine kampfbereite Position überzugehen. Irgendetwas war anders. Notos ließ den dunkelblauen Stoff sinken, drehte seinen Kopf zur Seite – und sah geradewegs in das Gesicht einer gewissen rothaarigen Dame. Nirah erwiderte seine Perplexität mit dem Ausdruck eines aufgescheuchten Rehs. Unwillkürlich entspannte er sich wieder bei diesem Anblick, sank erneut etwas in sich zusammen. Natürlich hatte seine Intuition nicht Alarm geschlagen. Aber dass er so vertieft in seiner Arbeit gewesen war, um sie erst jetzt zu hören... seine Miene verfinsterte sich. Er musste sich zusammenreißen.

Wenngleich die fehlenden Worte seiner Begleiterin ihm dann doch die Ernsthaftigkeit aus den Zügen wischte, stattdessen wieder Wärme in sein Lächeln brachte. Und einen amüsierten Ausdruck, als seine Braue fragend in die Höhe schoss. „Wofür entschuldigst du dich?", entkam es ihm gutmütig schmunzelnd. „Du tust ja fast so, als hätte ich dich beim Anstarren erwischt. Oder du mich beim Baden." Nirah war doch eine Heilerin. Niemals würde sie wegen einem unbekleideten Oberkörper in Verlegenheit geraten. Er würde darauf wetten, dass sie mehr Haut zu Gesicht bekommen hatte, als er es jemals tun würde. Wenn das nicht der Fall war... dann hatte einer von ihnen etwas falsch gemacht. Wobei er gerne zugab, dass es unheimlich niedlich war, die ansonsten so bissige junge Frau ausnahmsweise einmal derart sprachlos zu erleben.

Nicht, dass dies lange währen würde. Er konnte geradezu ihren Blick auf seine Wunde verfolgen – und sofort entkam ihm ein tiefes, lautloses Aufseufzen. Vorbei war es mit der erholsamen Ruhe. Genau deswegen hatte er vermeiden wollen, dass Nirah oder ihr Mentor ihn so zu Gesicht bekam. Die Schimpftirade ließ nicht lange auf sich warten. Unbeeindruckt davon sah er zu ihr hoch, das Lächeln war längst gefallen, machte einem dezent unwirschen Ausdruck Platz. Wie sie ihre Arme in die Seite gestemmt hatte, die Entrüstung in ihrer Stimme. Sie erinnerte ihn gerade so sehr an Neela. War das der Grund, warum er ihren Befehl nicht ernst nehmen konnte?

Noch für eine Weile sah Notos seine Begleiterin nur an. Wortlos, ohne sich zu rechtfertigen. Ohne sich zu regen. Erst nach weiteren zähen Momente des Schweigens erhob er betont ruhig die Stimme: „Ich werde sicherlich nirgendwo hingehen, solange ich hier nicht fertig bin." Und damit wandte er sich von ihr, suchte in seinem Schoss stattdessen nach der Nadel, die er vorhin fallen lassen hat. Er musste ihre Aura nicht sehen, um mit Gewissheit sagen zu können, dass sie nun sicherlich aufgebracht zu flackern begann. Er ignorierte dies, genauso, wie er Nirah auch nicht mehr wahrnahm. Stattdessen legte er seine Montur beiseite, griff nach der dunklen, robusten Weste. Er fand diese sofort alleine anhand der Struktur des Stoffes. Robust, hart, nicht ganz so flexibel dehnbar wie der Rest seiner Kleidung. Schließlich war dies eine der wichtigsten Abwehrflächen, die er besaß, war mehr für den Schutz als alles andere gedacht. Was leider auch bedeutete, dass das Nähen bei diesem Stück nicht ganz simpel werden würde.

Notos tauchte die Nadel kurz in den See „Was genau tust du eigentlich hier? Wolltest du dich in den See stürzen?" Vorhin hatte er sie nur kurz gemustert. Vielleicht ein klein wenig hastiger als nötig, hatte danach ebenso schnell den Blick abgewand. Er hatte auch so gut gesehen, dass sie sich hier wohl erfrischt haben musste. Ihre klitschnassen Haare ließen nicht viel Raum für andere Vermutungen. Genauso, wie ihr Hemd, welches sich an den nassen Stellen am Kragen geradezu an ihre Haut presste. „Ich dachte eigentlich, du wärst froh darüber, mal deine Ruhe zu haben. Und würdest dir nach der Reise eine Pause gönnen." Es schwang mehr Missmut in dieser Aussage mit, als er beabsichtigt hatte. Eigentlich war dies nicht sonderlich fair von ihm. Nirah konnte nichts dafür, dass er sich von ihrer Anwesenheit und ihrem Drängen gestört fühlte. Sie war nur eine Heilerin, die ihrer Arbeit nachgehen wollte. Aber er wollte ihre Hilfe nicht.

Die Nadel wieder aus dem Wasser gezogen, nahm er sie zwischen die Finger. Versuchte sie leicht zu erhitzen. Augenblicklich flammten die Ränder seiner Verletzung auf, er spürte für einen winzigen Moment das schmerzhafte Pulsieren seiner Seite. Scharf sog er die Luft ein, zuckte etwas zusammen. Atmete schließlich ergeben wieder aus. Er durfte seine Gefühle nicht an der Rothaarigen auslassen. Aber sie machte es ihm nicht wirklich einfach. Ihre Anwesenheit würde er wohl jedoch erdulden müssen.

Lieblos warf er die Montur seines Ordens ins seichte Wasser. Und begann an seiner Weste zu nähen. Ohne große Hast, die Augen nur auf den Stoff unter ihm gerichtet. Nur einmal unterbrach er diese monotonen Bewegungen kurz, richtete die Aufmerksamkeit auf die feinen, roten Schlieren, die sich einen Weg entlang der Oberfläche des Sees suchten. Seine Wunde hatte wohl stärker geblutet, als er angenommen hatte. Aber die kleine Menge an Blut würde in dem großen See schnell verschwinden.

Er stockte kurz, bevor er sich wieder der Reparatur annahm. Dabei jedoch fast eher nebensächlich nachzuhaken begann. „Du hast mir vorhin ein paar Sachen nicht verraten können. Gibt es... schlechte Energien? Wie vielleicht bei..." Seine Augen huschten kurz zu seiner Seite. Den violetten Adern auf seiner Haut. „... wie bei einer Vergiftung? Was, wenn man diese in die Umwelt leiten würde? Würde die Natur nicht darunter leiden?" Notos stoppte abrupt, hüllte sich erneut in Schweigen. Runzelte nachdenklich die Stirn. Er redete Unsinn. Sein Körper würde notfalls alleine mit seiner Verletzung klar kommen. Es gab keinen Grund, andere in seine Probleme reinzuziehen.



Antworten Zuletzt bearbeitet am 01.10.2022 10:37.

Saphyr

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Re: The Headwinds - Handlung

von Saphyr am 02.10.2022 19:55

Sie hatte ihn nicht angestarrt. Der heiligen Mutter sei Dank, hatte sie ihn auch nicht beim Baden erwischt. Sollte ihr das jemals unterlaufen, würde sie sich still und heimlich umdrehen und verschwinden. Nicht reden und sich entschuldigen.
"Ich habe einfach nur nicht erwartet, dich hier zu treffen", murmelte Nirah. Ein Teil von ihr wünschte sich, sie hätte ihn wirklich nicht entdeckt. Dann könnte sie noch immer den Spaziergang um den See genießen und sich gedanklich von allem lösen. Es hatte durchaus funktioniert. Andererseits wäre ihr dann auch nicht so schnell aufgefallen, wie es um ihn stand. Die dunklen Spuren an seiner Seite sahen mehr als nur bedenklich aus. Sie konnte nicht einfach so gehen und Notos seinem selbstgewählten Schicksal überlassen. Wenn sie das könnte, wäre er gar nicht hier. Dann säße er immer noch irgendwo im Wald, zusammen mit Jasper. Oder er befände sich schon wieder auf direktem Wege dorthin, wo auch immer der Ort lag, den er Zuhause nannte. Und sie wäre mitsamt Beute schon lange wieder hier gewesen.

Allerdings schien ihm noch nicht klar zu sein, welche Beharrlichkeit sie an den Tag legte. Es würde wohl nicht ganz so einfach werden, ihn zu seinem Glück zu zwingen.
Was war denn mit ihm los? Er war bisher zwar nicht sonderlich gesprächig gewesen, aber so verstimmt war er ihr bisher kein einziges Mal vorgekommen. Schweigend, doch höchst unzufrieden über seine eintönige Reaktion, sah Nirah zu, wie er sich direkt wieder seiner Kleidung zuwandte. Erst als er etwas Glänzendes in die Hand nahm, wurde ihr klar, was er da tat: Er nähte. Versuchte es zumindest. Sie ging noch einen Schritt auf ihn zu. Unwillkürlich zuckten ihre Finger und beinahe hätte sie sich abrupt vorgebeugt, um ihm die Nadel zu entreißen. Das könnte er später auch noch machen. Oder sie könnte es machen, das würde wohl schneller gehen. Es hatte keine Eile, die Montur in Ordnung zu bringen. Sein Wohlergehen war eindeutig wichtiger. Zumal in der Hütte frische Kleidung auf ihn wartete.
Das interessierte ihn anscheinend herzlich wenig. Genauso wenig wie ihre Anwesenheit. Sie hätte sich ebenso gut in Luft auflösen können, er hätte sich wohl nicht geregt.


Nirah gab ein kleines Schnauben von sich und sah Notos finster an. Dieses Mal, ohne den Drang sofort wieder wegschauen zu müssen. Es schien ihn nicht zu stören, wenn sie ihn so sah, oder? Also gab es auch keinen Grund, höflich in die andere Richtung zu sehen. Ihn zu betrachten war sogar interessanter als gedacht. Die farbigen Male an ihm ... Es waren keine Muster, wie sie zuvor angenommen hatte. Es waren ganze Bilder. Sie ähnelten den verschlungenen Symbolen und Mustern, die mit schwarzer Farbe in die Haut vieler Stammesangehöriger eingeritzt wurden, kein bisschen. Sie hatte sich nie dazu durchringen können, sich selbst Tätowierungen anzueignen. Es schien den Schmerz nicht wert zu sein. Außerdem würde es nie wieder verschwinden, verblassen höchstens. Bisher hatte kein Symbol eine ausreichend große Bedeutung entwickelt, um es sich selbst aufzubürden. Für immer. Viele Krieger trugen jedoch eines, Aidan auch. Er hatte es sich direkt nach seiner Initiation machen lassen. Eine kleine verschlungene Bärenpranke zierte seinen Oberarm. Passend zu seinem Erkennungsnamen. Er sie tagelang allen unter die Nase gehalten. Es war kein Wunder, dass er stolz auf seinen Namen war. Jeder hatte geglaubt, er würde irgendwann zu einem großartigen Krieger und Anführer heranwachsen. Sie hatten recht gehabt.

Vielleicht starrte sie jetzt doch. Nur ein kleines bisschen. Die Linien waren nicht so grob, wie sie es kannte. Genauer gesagt, waren sie gar nicht mehr als einzelne zu erkennen. Und die Farben kamen erstaunlich klar zur Geltung. Notos war regelrecht übersät von diesen Kunstwerken. Auf den ersten Blick konnte sie drei erkennen und alle waren nicht unbedingt klein. Am meisten zog der hübsche Vogel Nirahs Aufmerksamkeit auf sich. Er sah so realistisch aus. Gerne hätte sie ihn genauer betrachtet. Was er wohl für ihn bedeutete? War er nur exzentrischer Schmuck? Die Schwingen auf seinem Rücken waren sehr viel eindeutiger. Wenn sie die Möglichkeit hätte ein solch detailliertes Bild auf ihre Haut zu bekommen.... 

Ein unbeabsichtigtes Lächeln machte sich auf Nirahs Gesicht breit. Ihre Tätowierungen mochten sich in ihrer Eleganz nicht gleichen, doch in diesem Moment erinnerte Notos sie stark an einen gewissen Krieger. Wie oft hatte er sich grüblerisch irgendwo versteckt. Entweder weil er mit Vater aneinandergeraten war, weil er einen Kampf verloren hatte oder weil man ihm seine Grenzen aufgewiesen hatte. Er hatte so getan, als interessiere es ihn nicht, dass sie ihn zurückholen wollte. Er ist der Einzige, der es schafft regelmäßig noch böser dreinzublicken, als du. Nicht bei ihr. Sie hatte ihn so lange malträtiert, bis er nicht mehr anders konnte als zu lachen. Damals. Es war so lange her. Was Aidan heute wohl trieb?
"Glaube mir, ich war froh, meine Ruhe zu haben. Ich dachte, ich wäre alleine hier draußen." antwortete sie. "Aber keine Sorge. Ich lasse es dich wissen, wenn ich bereit bin, mich im See zu versenken. Ich fürchte, diese Ehre wird dir noch nicht zuteil." fügte sie mit dem Hauch eines Schmunzelns hinzu. 

Ihre Miene verfinsterte sich umgehend, als sie ihn deutlich zusammenzucken sah. Hatte sie sich es doch gedacht. Er hatte Schmerzen. Ein Grund mehr, ihn zum Aufstehen zu bewegen. Im selben Moment unterdrückte sie das Gefühl ihrer eigenen pulsierenden Verletzung. Kurz beobachtete sie, wie das Blut im Stoff seiner Kleidung sich im Wasser auflöste. 
Nirah ließ sich neben ihm auf einem Knie nieder und versuchte wieder seine Aufmerksamkeit zu gewinnen. "Notos, du solltest dich wirklich behandeln lassen ..." fing sie an, unterbrach sich aber direkt wieder bei seinen nächsten Worten.

"Darf ich dich daran erinnern, dass du mir auch noch vieles nicht verraten hast?" murrte sie undeutlich. Sie wusste nur, dass seine Verletzung mit der gleichen mysteriösen Magie erzeugt worden war, die er ihr gezeigt hatte. Wie sie funktionierte, war ihr höchst unklar. Ihr Blick folgte dem seinen, verharrte bei dem Geflecht aus dunklen Linien. Vergiftung. Also war ihr erster Eindruck nicht so weit entfernt von der Realität gewesen? Fast schien es, als mache er sich Sorgen - nur um was?
"Die Energien selbst sind weder gut noch schlecht." begann sie langsam. "Sie können aber in ihrem Fluss gestört werden. Kleinere Ungleichgewichte gleichen sich normalerweise mit der Zeit von selbst aus. Manchmal verändern wir ihre Bahnen absichtlich. Genau genommen jedes Mal, wenn wir Magie verwenden. Das ist eine unserer Aufgaben als Wächter. Sicherstellen, dass unser Tun keine langfristigen negativen Effekte mit sich bringt." erklärte sie. "Heilzauber stellen keine permanenten Eingriffe dar. Ich verändere den Fluss nur solange ich mich darauf konzentriere, danach ist alles wie zuvor. Ich bewirke, dass dein Körper macht, was er auch alleine könnte. Nur schneller, kräftiger und mit größerem Erfolg." 

Sie zog sich wieder auf die Beine. Genügte das, um seine Bedenken aufzulösen? "Ich kann mir nicht vorstellen, dass eine Heilung bei dir anders wäre als sonst auch. Und wenn, würde ich es sofort spüren." fügte sie noch hinzu. Nirah ging zum Rand des Wassers, beugte sich nach unten und schöpfte etwas davon in ihre Hand. Wenn er sie schon nicht ansah ... Wieder neben Notos bewegte sie ihre Handfläche über sein Haupt und kippte sie in einer einzigen Bewegung zur Seite. "Kommst du jetzt mit?" forderte sie. Sie sah zu, wie das Wasser aus ihrer Hand rann und ihm auf die Haare tröpfelte. Es war nicht viel, doch es genügte, damit einzelne Tropfen abperlten, sich ihren Weg zu seiner Stirn suchten und ihm das Gesicht herunterrollten. 
"Du weißt, dass ich dich nicht unbehelligt hier sitzen lassen werde, damit du weiter so tun kannst, als wäre alles in Ordnung, oder?" drohte sie und ging schon wieder zum Ufer, um dieses Mal mit beiden Händen Wasser zu schöpfen. 


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Antworten Zuletzt bearbeitet am 02.10.2022 23:21.
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