Das Geisterkleid
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Das Geisterkleid
von Tauron am 14.11.2019 13:32Ich habe diese Geschichte zu einem geränderten Bild geschrieben, dass eine Frau zeigt, die mit Magie ein schwebendes Kleid bearbeitet.
Das Geisterkleid
Im Jahre 1250 nZ (neue Zeitrechnung) betrat eine elegant gekleidete Dame das Waisenhaus "Lel's Zuflucht" in der Hintergasse in Magierunum. Magierunum ist die größte Stadt im Land und so etwas wie die Hauptstadt, obwohl der Regierungssitz, Schloss Rabenstein, auf einer Bergspitze mitten in einem ausgedehnten Wald vor den Toren besagter Stadt thront. Lel ist eine Magierin, die das Waisenhaus mit Hilfe von Spendengeldern für Kinder von verunglückten Magiern eröffnet hat. Bedingung für eine Aufnahme ist, dass beide Elternteile Magiebegabt und bei einem, im weitesten Sinne Zaubereiunfall zu Tode gekommen sind. Natürlich darf auch kein Elternteil nach dem Ableben zum Wiedergänger werden, denn dann würden sie dauernd das Waisenhaus aufsuchen und Lel in die Erziehung ihrer Sprösslinge hineinreden. Man kann sich sicher den täglichen Tumult vorstellen, bei so vielen Kindern, denn leider ging bei dem Gebrauch von Magie öfters was schief. "Guten Morgen Madame Umu", sagte Lel mit einem besonders freundlichen Lächeln. Umu führte das bekannteste Schneider-Atelier in der Stadt, ja im ganzen Land. Lel fand Mode toll und außerdem witterte sie eine Möglichkeit eins ihrer Plagegeister an die Frau zu bringen. "Guten Morgen Madame Lel", flötete Umu, "bei dem angenehmen Wetter heute war der Spaziergang durch die halbe Stadt eine nette Abwechslung zur Arbeit im Atelier." "Das freut mich zu hören", kam die Antwort, "aber sagen sie mir, wie ich zu der Ehre ihres Besuches komme." "Nun meine liebe Lel, die Aufträge werden immer mehr, seit die Damen unseres Landes beschlossen haben, Gesellschaftskleider nur noch eine Saison zu tragen". "Ich habe überlegt, mir eine Unterstützung zuzulegen." "Oh wie schön, da wird eins meiner Schützlinge aber mächtig Stolz sein, Hilfskraft im ersten Modehaus am Platze zu werden". "Ich dachte eigentlich sogar an einen Lehrling, liebe Lel." Lel riss die Augen auf. "Was für eine wunderbare Überraschung." Die Heimleiterin konnte es kaum glauben. Für eines ihrer Kinder währe eine Ausbildung bei Umu so etwas wie geadelt zu werden mit Aufstieg in den Modeolymp. "Es sollte ein Mädchen im passenden Alter sein, wen der Kinder halten sie denn für talentiert"? Lel überlegte kurz und meinte dann, "vielleicht die Aja, sie hat das richtige Alter von fünfzehn Jahren und hätte eine Chance verdient, das arme Kind." "Was ist ihr den Wiederfahren"? "Nun sie ist wirklich ein tragischer Fall, ihr Vater, der Suffkopp, lenkte mittels Magie die Kutsche mit seiner Gemahlin drin am frühen Morgen nach den Feierlichkeiten zur Preisverleihung der Zauberer des Jahres von Rabenstein den Berg hinunter und kam an einer Biegung ins Schlingern. Der Anblick des Ergebnisses soll nicht schön gewesen sein, und die Pferde erst. Das war der Tag, bevor es die günstigen Pferdebuletten beim Fleischer Kek gab." "Ah ja, ich erinnere mich, dass müssten so neun Jahre her sein." "Es sind schon zehn Jahre her, Aja war erst fünf und in der Obhut einer Babysitterin, Ulu glaub' ich hieß sie". "Ach, die Ulu, die dürfte schon gar nicht mehr leben, war vor zehn Jahren ja auch schon nicht mehr die Jüngste". "Ganz recht, Ulu war ja keine Magiebegabte und die Leben halt nicht so lang." "Ja und manche trinkfreudigen Magier auch nicht, wie man sieht." "Da sagen sie ein wahres Wort, Madame Umu, aber ich denke wir sollten nun Aja kommen lassen. Sie könnten mit ihr eine Runde im Garten drehen und ihr dabei die nötigen Fragen stellen. Danach gönnen wir der Aja eine Pause und sie können mir ihre Entscheidung mitteilen". "Einverstanden, liebe Lel, ich bin schon gespannt wie sie ausschaut und was sie auf meine Fragen antwortet." Lel griff neben sich nach einem Glöckchen und ein helles Klingeln ertönte. Bald darauf ging die Tür auf und das Dienstmädchen Dod erschien. Dod war im Waisenhaus mit zwölf Jahren aufgenommen worden. Das war schon acht Jahre her, aber es hatte sich keine neue Familie gefunden, da sie nur sehr wenig Magiebegabung geerbt hat. Deshalb hatte sie den Posten im Heim von Lel bekommen und wie es schien, war sie damit zufrieden. "Sie haben geläutet, Madame?" "Ja Dod, such bitte Aja und schick sie zu mir." "Sehr wohl," mit einem artigen Knicks drehte sie sich um und rauschte davon. "Wollen wir uns die Wartezeit mit einem Tässchen Tee vertreiben?" Lel nahm von einem Stövchen eine reich bemalte Kanne und goss den goldfarbenen Inhalt in eine ebenso reich bemalte Tasse. "Es sind Kräuter aus dem Garten, sie wirken sehr belebend." "Gern," kam die Antwort und Lel reichte die Tasse an Umu, um sich sofort auch eine Tasse einzuschenken. Umu nahm einen Schluck und fühlte sofort, wie sich vom Magen aus eine wohlige Wärme ausbreitete. "Wirklich wunderbar dieser Kräutertee." Umu hatte sich in einen weich gepolsterten Sessel gesetzt und bekam einen leicht verschleierten Schlafzimmerblick. Sie hatte eher den Eindruck, dass das Getränk beruhigend wirkte als Belebend. Währenddessen schaute Lel, die am Tisch gegenüber von Umu Platz genommen hat, mit einem leicht angedeuteten Lächeln zu Umu hinüber. Ihr allseits beliebter Tee hatte schon geholfen so manchen Plagegeist, wie sie öfters im Scherz ihre Schützlinge nannte, an eine Familie loszuwerden. Nur im Falle der armen Dod hatte ihr Mag...äh, Kräutertee versagt. Von der Tür her ertönte ein zaghaftes Klopfgeräusch. "Herein," sagte Lel. Die Tür ging einen Spalt auf und ein Kopf mit struppigen, nach allen Richtungen abstehenden Haaren erschien. Zudem klebte um die Mundwinkel etwas, was schwer nach Schokolade aussah. "Sie haben mich rufen lassen Madame," sagte der Struwwelkopf und leckte sich gedankenverloren die Schokoladenreste aus den Mundwinkeln. "War gerade in der Küche am helfen." "Na, das sehe ich," grummelte Lel und Umu trällerte; "oh, ist sie das, was für ein hübsches Kind".
"Aja, geh mit Madame Umu in den Garten, sie hat etwas wichtiges mit dir zu bereden". Umu trank schnell den Rest ihres Tees aus und ruckelte, den Kopf weit in den Nacken gelegt, mit der Tasse hin und her, um auch noch den letzten Tropfen zu bewegen die Tasse zu verlassen. "Wenn sie zurück sind, gibt's noch ein Tässchen", sagte Lel und erst diese Aussicht veranlasste Umu sich von ihrer so liebgewonnenen Tasse zu trennen, ohne dem Drang nachzugeben mit der Zunge auszuloten, ob nicht doch noch ein winziger Rest sich in ihrem Inneren befand. Währenddessen fragte Aja sich, was um alles in der Welt sie angestellt haben könnte. Mit dem Zettel, dem sie gestern einem Mitinsassen, so nannte Aja gerne die anderen Waisenkinder, Namens Obo heimlich auf den Rücken geklebt hatte, konnte dieses Gespräch mit der Fremden doch unmöglich zu tun haben. Bei dem Gedanken an die Zettelaufschrift mit dem Wortlaut; "Obo frisst seine Popel", musste sie unwillkürlich grinsen. Was mit einem weiteren scharfen Blick von Madame Lel quittiert wurde. Schnell erwiderte Aja deshalb, „jawohl, sehr gerne Madame." Hmm, dachte Lel, sie kann sich auch gesittet verhalten, wenn sie nur will. Vielleicht gelang der Coup ja doch und sie wurde diese kleine Kröte doch noch los. Lel hatte bis heute Morgen schon alle Hoffnung aufgegeben sie noch wo unterzubringen. Jetzt durfte nichts mehr schiefgehen. Für ein weiteres Dienstmädchen gab es im Heim kein Budget mehr, jedenfalls keins für ein Dienstmädchen das ständig an der Schokoladenglasur naschte. Aja huschte, mit Madame Umu im Schlepptau nach draußen und Lel öffnete den Wandschrank um ihre Gartenschürze überzuziehen. Außerdem nahm sie noch die Gartenschere, sowie ein Säckchen in das bestimmt gut ein Kilo Kräuter passten. Dann ging sie zur Hintertür und vergewisserte sich, dass ihr Besuch und ihr Sorgenkind auf der Vorderseite des Hauses zugange waren. Dann ging alles sehr schnell. Mit geübten Bewegungen schnippelte sie die Blätter von den Stängeln und stopfte sie in das Säckchen. Nachdenklich wiegte sie das Säckchen in der Hand. "Mmh, ja, das könnten ein Kilo sein", murmelte sie und in Gedanken, „hier darf ich nicht kleckern sondern muss ich klotzen." Schnell huschte sie wider zur Hintertür hinein und entledigte sich der Schürze und Schere. Dann läutete sie nach Dod um heißes Teewasser zu bestellen. Kaum dampfte der neue Tee in der Kanne, waren von der Vordertür auch schon Stimmen zu hören. Lel hörte heiteres Geplapper und Gekicher und als die beiden den Salon betraten, musste man den Eindruck gewinnen, als hätten hier zwei alte Freundinnen einen vertrauten Umgang. "Oh meine liebste Lel, wir hatten ein wirklich fruchtbares Gespräch". Fast wäre Lel die Kanne aus der Hand gefallen, weil sie zuerst "furchtbares Gespräch" verstanden hatte. Aber der heitere Gesichtsausdruck der zwei sprach Bände. "Wir sind uns einig und haben beschlossen, gleich morgen mit der Ausbildung zu beginnen. Oh ja, ich habe vor aus Aja einen neuen Stern am Modehimmel zu machen". "Na darauf trinken wir noch ein Tässchen". Lel konnte es kaum fassen, wie gut alles funktionierte und an Aja gewandt, die sich gerade ungefragt eine Tasse greifen wollte, "du gehst dann jetzt schon mal packen". Aja stellte die Tasse wieder ab und antwortete, "Ja, natürlich. Bis morgen dann, Madame Umu, ich bin ja schon so aufgeregt". Fröhlich lächelnd winkte sie noch einmal und lief aus dem Salon. Auf dem Weg zum Schlafsaal überlegte sie sich noch einen neuen Zetteltext für Obo, schließlich war heute die letzte Gelegenheit. Im Salon gab es noch ein schönes Tässchen Tee und beim Abschied überreichte Lel Umu das Säckchen mit dem Hinweis, immer wenn es in der Ausbildung mal hakte solle die geschätzte Frau Umu sich ein Tässchen aufbrühen. Das sei gut für die Nerven und haken würde es in jeder Ausbildung ja mal. Dabei dachte Lel, dass das Kilo sicher nicht lange halten würde. Alles in allem bekäme sie vielleicht noch so zehn Kilo zusammen. "Darf ich Aja morgen noch einen Sack mitgeben?, wegen ihrem Gepäck kommt sie ja sowieso mit einem Fuhrwerk und die Lehre dauert ja bestimmt zwei Jahre." "Eher drei, ich will sie ja nicht nur zu einer normalen Schneiderin ausbilden, sondern zu einer Modedesignerin, was sage ich, zu einer Modeikone, jawohl." Umu war in Hochstimmung, das Wort Sack hatte ihr gefallen. Als sie sich von der Heimleiterin verabschiedete, hatte sie das Gefühl von einer guten Freundin zu scheiden und Lel dachte, während sie freundlich winkte; hoffentlich endet diese Geschichte für mich nicht vor dem Magier-Straftribunal und dem Kerker auf Rabenstein.
Der Morgen des darauffolgenden Tages war ein freundlicher, warmer und sonniger Tag. Aus dem Schlafsaal der Mädchen war ein aufgeregtes Geschnatter zu hören. Die Nachricht, dass Aja eine neue Bleibe und Lehrstelle gefunden hat, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Und was für eine! Madame Umu's Schneideratelier. Das Non plus Ultra des Modedesigns im ganzen Land. Lel wartete noch bis das Frühstück beendet war und schaute dann nach Aja, um sie in den Salon zu bitten. Auf dem Weg zum Speisesaal kam ihr Obo entgegen, der sie vergnügt anlächelte und dabei Essensreste zwischen den Zähnen offenbarte. Wenn Obo gerade Speisen in sich hinein gestopft hatte, war er immer gut aufgelegt. Als Lel im nachsah, las sie auf einem Zettel auf seinem Rücken "Obo schläft mit einem Kuscheltier". Als Lel in den Saal lugte, sah sie Aja inmitten einer Traube von Kindern und winkte sie herbei. "Komm mit, ich habe noch ein Abschiedsgeschenk für dich. In der Zwischenzeit kann Dod dein Gepäck auf das Fuhrwerk laden." Aja schaute erfreut, denn das ein Kind ein Abschiedsgeschenk bekommen hatte war noch nie vorgekommen. Aja war etwas besonderes. Sie hatte es insgeheim immer gewusst. Im Salon angekommen ging Lel zur Kommode und öffnete eine Schublade. Sie nahm einen Gegenstand heraus und überreichte ihn mit feierlicher Miene an Aja. Der Gegenstand stellte sich als Haarbürste heraus und Aja platzte fast vor Stolz. "Du musst sie jeden Morgen benutzen, noch bevor du dich der Öffentlichkeit und besonders Madame Umu zeigst, vielleicht hilfts ja was." Aja versprach die Bürste immer in Ehren zu halten und schon steckte Dod den Kopf zur Tür herein. "Das Gepäck ist verladen, Madam." "Ah, schön! In der Eingangshalle steht noch ein großer Sack der mitmuss, helfe ihn aufzuladen, er ist etwas schwer." "Jawohl Madame," sagte Dod und gab Aja einen Wink, mit ihr zukommen. Beide wuchteten den zehn Kilo Sack auf die Pritsche und setzten sich dann auf den Kutschbock. Als der Einspänner langsam den Allee-Weg zur Straße rumpelte stand Lel in der Eingangstür und winkte. Auch an den Fenstern im ersten Stock lagen alle Kinder und winkten, während sich zum wiederholten Male Obo fragte, wieso ihm heute alle so nachstarrten und dann so freundlich lächelten. Auf dem Kutschbock winkte Aja solange zurück, bis sie zur Straße abbogen und das Anwesen hinter der hohen Hecke verschwand. Die fahrt durch die große Stadt fand Aja sehr aufregend. Es gab unterwegs viel zu entdecken. Magierunum war eine Metropole von bestimmt vierzehntausend Einwohnern. Das hatte Aja im Heimatkunde-Unterricht aufgeschnappt. Dod hatte dem Pferd die magische Adressfindungsformel ins Ohr geflüstert, sodass sie sich keine Sorgen machen mussten, dass sie sich in diesem Stadtmoloch verfuhren. Obwohl sie im Schritttempo fuhren, dauerte es gar nicht solange bis sie zum Atelier von Madame Umu, genau gegenüber vom Rathaus, kamen. Umu hörte das Gerumpel des Wagens vor dem Seiteneingang, der zum Wohnteil des Gebäudes führte. Sie öffnete und umarmte freudestrahlend Aja und als sie den großen Sack auf der Pritsche sah, auch Dod. Danach fragte sie Aja, die während der Fahrt ihr Abschiedsgeschenk ausprobiert hatte, ob sie was mit ihren Haaren gemacht hätte. "Eigentlich nichts besonderes, ist alles wie immer," kam die Antwort. "Ich helfe euch das Gepäck abzuladen und muss dann schnell zurück. Ich war gerade beim Frühstückstee und von dem ist noch eine halbe Tasse übrig. Der wird sonst kalt. Dod wird dir sicher helfen deine Sachen in dein Zimmer zu tragen. Es ist diese Stiege hoch, einfach geradeaus. Die erste Tür am Ende der Treppe unterm Dach. Den Sack lasst in der Diele neben der Tür stehen, den stell ich später in die Vorratskammer." In der Dachkammer war es gar nicht mal so ungemütlich. Aja war ja in den letzten zehn Jahren vom Platzangebot her nicht verwöhnt. Gegenüber dem Schlafsaal mit der schnarchenden Sas, die immer behauptete, dass das nur an ihrer Nasenscheidewand läge, als Nachbarin, empfand sie dies hier als einen regelrechten Palast. Aja begleitete Dod noch bis zum Fuhrwerk und verabschiedete sich herzlich von ihr. "Darf ich es mal mit der magischen Adressfindungsformel versuchen?" "Aber ja, versuch dein Glück," antwortete Dod. Aja
begab sich zum Kopf des Tieres, das mit halb offenen Augen in der Sonne döste und umfasste vorsichtig das linke, seidenweiche Ohr. Mit dem Mund dicht am Ohr flüsterte sie, "höre meine Worte der Magie und begebe dich zur Mühle des Müller Bob, am Mühlenweiher in Magierunum." Bobs Mühle lag gut zehn Kilometer nördlich vom Waisenhaus entfernt, ebenfalls am Stadtrand. Das gäbe eine kleine Überraschung für die liebe Dod, die vor gut drei Jahren Ajas Versuch vereitelt hatte, heimlich im Schlafsaal eine gefangene Ratte als Haustier zu domestizieren. Als der Wagen davonratterte, schaute Aja noch lange hinterher und wünschte, in Gedanken, Dodi eine schöne, lange Fahrt. Dann riss sie sich von ihren Gedanken los und ging ins Haus, Richtung Küche. Dort angekommen fand sie Madame Umu am Tisch sitzend vor, den linken Ellenbogen auf die Tischplatte gestützt und die linke Wange in die Handfläche geschmiegt. Der Blick war auf die leere Teetasse vor ihr gerichtet und mit dem Zeigefinger der rechten Hand umstrich sie spielerisch den Tassenrand. Als sie ihren neuen Lehrling gewahr wurde, schaute sie auf und fragte, "ist das Gepäck verstaut und wie gefällt dir dein neues Reich?" "Es ist wunderbar, danke der Nachfrage Madame." "Sag doch bitte, ab heute, Meisterin." "Sehr gern Ma...äh, Meisterin." "Schön, dann gehen wir mal rüber ins Atelier und fangen gleich mit den Grundlagen an." Freudig blitzte es in Ajas Augen. Nun also würde sie in die Geheimnisse der so berühmten Modemagie der Meisterin Umu eingeweiht. Im Gänsemarsch, Umu natürlich voran,
betraten sie die Zentrale des guten Geschmacks von ganz Magieranien. Umu steuerte eine Tür an, die sich nach dem knarrenden öffnen als Zugang einer Abstellkammer erwies. Sie langte hinein und angelte sich einen Mob heraus und dann noch einen Eimer. Mit feierlicher Miene reichte sie beides einer verdutzt dreinblickenden Aja, über deren Kopf ein riesiges, imaginäres Fragezeichen zu schweben schien. Da sie sich nicht rührte, sagte sie, "tu in der Küche etwas Wasser in den Eimer. Putzmittel brauchst du nicht, der Mob ist Magisch, jedenfalls wurde das in der Werbung versprochen." Aja stand wie angewurzelt mit heruntergeklapptem Unterkiefer da. Nun dämmerte es Umu und sie sagte, nicht ohne einen leichten Diabolischen Gesichtsausdruck, "du hast wohl geglaubt, du würdest schon gleich am ersten Tag drauflosschneidern, was?" So waren tatsächlich Ajas Gedanken gewesen. "Nun für diesen Fall habe ich eine erste Lektion für dich, Lehrjahre sind keine Herrenjahre! Klar so weit?" Mit immer noch offenem Mund drehte sich Aja Richtung Tür und ging wie eine Traumwandlerin zur Küche, von wo bald ein leises, plätscherndes Geräusch zu hören war. Offenbar hat sie ihre allererste Lektion verstanden, dachte Umu und widmete sich einer Bestellung, die auf dem langen und breiten Schneidertisch ausgebreitet lag. Während Aja in den Ecken des Ateliers wischte, die Werbung hatte, übrigens, nicht zu viel versprochen, der Mob machte wirklich gut sauber, lugte sie des Öfteren zur Meisterin hinüber und bewunderte ihre Geschicklichkeit. Umu beherrschte als Magiebegabte das Schneidern mittels Handgestik. Aufrecht stand sie vor dem Tisch und mit ausladenden Armbewegungen und mit ausgestreckten Fingern, lies sie das Kleid vor sich über dem Tisch schweben. Manchmal bewegte sie nur ganz leicht einige ihrer Finger, um Garn in ein Nadelöhr einzufädeln und dann wedelte sie mit einer Hand aus dem Handgelenk heraus, damit die Nadel in schnellen Stich-Folgen an einem Saum entlang fuhr. Aja war schwer beeindruckt und fragte sich, ob sie so etwas je hinbekäme. Währenddessen fragte sich Lel in ihrem Salon, wo bloß Dod so lange
bleibt. Wahrscheinlich nutzt sie die Gelegenheit und sitzt jetzt gemütlich in einem Straßenkaffee in der Sonne, dachte sie. Na, lass das Miststück mir mal nach hause kommen.
Aja wurde unsanft durch das Krähen eines Hahns geweckt. Der Hahnenschrei kam von der Figur, die auf einer runden Dose stand und die Form eines Hahnes besaß. Umu hatte sie am Abend Aja mit den Worten gegeben; stell die Dose auf deinen Nachttisch, dann wird sie dich jeden Morgen genau zur richtigen Zeit wecken. Mach sie nicht kaputt, sie ist magisch. Aja schaute den Hahn mit halb offenen Augen an und es schien ihr, als würde er sie frech angrinsen. Schließlich quälte sie sich aus den Federn und tappte Richtung Toilette. Nach Beendigung aller dringenden Morgengeschäfte, schlurfte sie zur Waschschüssel und nach dem Abtrocknen wagte sie einen ersten Blick in den Spiegel. "Da ist ja schon wieder alles durcheinander," brummelte sie und griff nach ihrer Haarbürste. Sie hatte noch deutlich die Worte Lels im Ohr. Nach dem Bürsten, oder eher Striegeln, ging sie hinüber zu dem Kleiderschrank und zog sich ein Kleid über. Dabei merkte sie sehr deutlich die Folgen der gestrigen Putzorgie in den Schultergelenken. Auf dem Weg zur Stiege musste sie am Bett vorbei und überlegte, dass sie es dem Hahn, noch vor Beginn des Tagewerks, heimzahlen konnte. Sie griff das Kopfkissen, hielt es vor sich und sagte zum Hahn gewand, "hier sind die Daunen deiner Kinder drin, he, he, he." Nun schien es Aja, als zeigten die Schnabelwinkel leicht nach unten und etwas besser gelaunt begab sie sich die steile Stiege hinab in Richtung Küche. Umu stand gerade am Herd und wartete offenbar, dass das Teewasser heiß würde. Als Aja den Raum mit einem freundlichen "guten Morgen" betrat, drehte Umu den Kopf nach ihr und sofort bildete sich eine steile Hautfalte zwischen ihren Augenbrauen. "Morgen," brummte sie und, "wie siehst du den aus, wolltest du dich nicht kämmen?" "Hab' ich doch," kam die Antwort von einem leicht beleidigten Lehrmädchen. "So, wirklich, das scheint..." Der hohe Pfeifton des Wasserkessels ließ sie verstummen und mit erwartungsvollem Blick kippte sie das Dampfende Wasser in ihre Tasse. Aja nahm sich etwas von dem Saft, der auf dem Tisch stand und beobachtete wie Umu die umgedrehte Sanduhr anstierte und dabei mit den Fingerspitzen der linken Hand auf der Tischplatte trommelte. Als das letzte Sandkörnchen den Engpass durchquert hatte, blitzte es in ihren Augen kurz auf und sie nahm das Sieb aus der Tasse. Nun nahm die Meisterin ihre Tasse in beide Hände, gerade so als wolle sie sich daran wärmen, so wie es die Leute im Winter tun und nahm einen Schluck. Eine kurze Zeit blieb sie regungslos sitzen, um dann aufzusehen und an ihren Lehrling gewandt, "oh, wie schön du die Haare heute hast." Aja schaute ihre Meisterin verdutzt an und in ihrem Gehirn fing es an zu rattern. Wie war der plötzliche Sinneswandel ihrer Meisterin zu verstehen? Sie sah wie ihr Gegenüber genüsslich einen zweiten Schluck nahm und sich dabei die Gesichtszüge entspannten. Nun machte es in Ajas Kopf klick. Ihre Chefin brauchte ihren Frühstückstee, um zu der liebevollen und nachsichtigen Person zu werden, die sie im Waisenhaus kennengelernt hatte. "Meisterin!" "Jaa Aja?" "Ich habe mir überlegt, dass ich ein viertel Stündchen früher Aufstehen könnte, um das Frühstück schon mal vorzubereiten." "Oh, welch wunderbarer Vorschlag," säuselte Umu freudestrahlend. "Ich habe gleich gewusst, dass ich mit dir einen guten Fang gemacht habe. Um den Weck-Hahn eine viertel Stunde vorzustellen musst du die magische Formel sagen; ab nun 'ne viertel Stunde eher gekräht, oder dir wird der Hals umgedräht." "Geht klar, Meisterin, das kann ich mir merken." "Sehr schön, dann wollen wir mal loslegen. Die Arbeit macht sich nicht von alleine." Sie gingen ins Atelier und Aja durfte sich neben ihre Meisterin stellen und musste jede Bewegung ihrer Arme und Hände beobachten. Abends ging sie in ihre Kammer und stellte sofort den Weck-Hahn vor. Die magische Formel funktionierte prima und so wurde Aja immer rechtzeitig wach, um für ihre Meisterin und sich selbst das Frühstück vorzubereiten. Immer wenn Umu die Küche betrat, stand auf ihrem Platz schon eine dampfende Tasse Tee bereit. Irgendwann einmal rechnete Aja, vor dem zu Bett gehen, aus, ob der Kräutertee für die ganzen drei Lehrjahre reichen würde. Sie nahm eine Feder, mit der sie sonst Briefe an Madame Lel und natürlich an die Waisenkinder, besonders an Obo, den sie besonders vermisste schrieb, sowie ein Blatt Papier. Dann begann sie mit der höchst komplizierten Rechnung. 3 Jahre á 365 Tage sind 3 x 365 = 1095 Tage. 4 Gramm pro Tasse Frühstückstee. Das wären dann 4 x 1095 = 4380 Gramm = 4 Kilo und 380 Gramm. Wenn man nun noch ein Tässchen zum Nachmittagstee rechnet, also x 2, käme sie auf 8,76 Kilogramm. Der Vorrat beträgt 11 Kilo. Das bedeutete, dass ihre Ausbildung eigentlich glatt über die Bühne gehen müsste.
Die Tage, Wochen und Monate gingen ins Land und Aja wurde in der Handmagischen Schneiderei immer geschickter. Sie war bereits seit kurzem in der Lage mittels Handzeichen Stoff mit einer schweren Schneiderschere exakt und auf den Millimeter genau zuzuschneiden, ohne dass dabei Blut floss. Auch äußerlich hatte sie sich verändert. Das Abschiedsgeschenk aus dem Waisenhaus tat gute Dienste und Aja hatte mehr als einmal den Verdacht, dass der Bürste auch etwas Magie innewohnte. Ihre Haarpracht stand morgens längst nicht mehr so zauselig ab, wie noch vor einem Jahr. Außerdem musste sie feststellen, das der erste Sekretär des Bürgermeisters jedes mal, wenn sie in der Küche beim Mittagsessen saß, gegenüber im ersten Stock des Rathauses bei meist geöffnetem Fenster, den Kopf in eine Hand gestützt, sein Pausenbrot mampfte. er saß dabei offenbar auf einem Stuhl und benutzte die Fensterbank als Tisch. Aja hatte sich des Öfteren schon gefragt, wieso er das Tat, hatte er doch bestimmt einen schönen, großen Bürotisch. Aber vielleicht lag dort alles voll Akten, oder er war ein Frischluftfanatiker. Zudem hatte sie bemerkt, dass der arme Mann, jedes mal wenn sie zu ihm rüber schaute, das Augendeckelflimmern bekam. Jedenfalls hatte Umu es so genannt und gemeint, dass es sich dabei um eine Krankheit handele, die besonders häufig, aber nicht nur, im Frühling auftrat. Eines morgens im dritten Lehrjahr Ajas, bekam Umu, gerade als sie mit dem Frühstück fertig waren, Besuch von einer Posteule. Die Posteulen flogen ja nachts, weil sie so Lichtempfindliche Augen haben. In der Nachricht stand, das eine Cousine zweiten Grades sich bei dem Versuch auf einem Teppich zu fliegen, böse den Knöchel verstaucht hat. Dabei wusste doch beinahe jeder in ganz Magieranien, dass das Fliegen auf Teppichen reiner Humbug war. Wieder so eine Ausländische Modeerscheinung. "Ach je," entfuhr es Umu, "ich muss zu meiner armen, verletzten Cousine Mem. Was wird nun aus dem ganzen Berg Arbeit." "Mach dir keine Sorgen Meisterin, ich bin ja keine Anfängerin mehr. Ich erledige das was ich schon kann und wenn es der Cousine besser geht, macht ihr den Rest." "Diese Einsatzfreude habe ich von dir auch gar nicht anders erwartet," sagte Umu. "Ich werde gleich packen und auch ein Beutelchen vom Tee mitnehmen." Aja legte den Kopf schief und Umu beeilte sich zu sagen, "für meine kranke Cousine." Gegen Vormittag waren die Reisevorbereitungen abgeschlossen und die bestellte Droschke fuhr pünktlich vor. Meisterin und Lehrling verabschiedeten sich und Umu wiederholte noch einmal ihre Ermahnung, bei Schwierigkeiten eine Posteule zu schicken. Aja begab sich gleich nach der Abreise ihrer Meisterin ins Athelier, denn sie wollte sie auf gar keinen Fall enttäuschen. Als es früher Abend wurde, war ganz schön was geschafft und Aja ging zufrieden und etwas müde die Stiege hoch zu ihrer Kammer. Oben angelangt meinte sie von irgendwoher ein langgezogenes, schwaches Geräusch zu hören. Sie blieb stehen und lauschte. Da, da war es wieder. Es kam vom Ende des Flurs. Dort war aber nur eine, wie Aja vermutete, Abstellkammer. Die Tür war stets verschlossen gewesen und auf der Türklinke lag dicker Staub. Aja hatte sie als Rumpelkammer angesehen, in der Umu nicht mehr gebrauchte Gegenstände wie etwa Möbel verstaut hatte. Sie hatte ihre Meisterin auch nie auf diesen Raum angesprochen. Nun kam schon wieder so eine Art wimmern aus dem Raum. Auf der Türklinke lag nach wie vor dicker Staub. Aja versuchte vorsichtig die Tür zu öffnen, was aber nicht ging. Das schwache Geräusch hörte aber unmittelbar auf. Aja klopfte zaghaft an die Tür. Nichts geschah. Nun klopfte sie energischer und wie aus dem nichts zeigte sich ein bleiches Gesicht im Holz, inmitten der Tür. "Ja bitte?" Aja stand starr vor Schreck mit weit aufgerissenen Augen. "Sie wünschen?" "Ich, ich, ich," stotterte Aja. "Sie, sie sie was?" Die Frage erschien etwas schnippisch, aber das war momentan Ajas geringstes Problem. Da das bleiche Gesicht immer noch keine Antwort bekam, streckte es den Kopf nun ganz aus der Holztür und sagte etwas ärgerlich, "also wenn sie nichts von mir wollen, hätten sie mich auch nicht beim Jammern stören brauchen." "Ich bi, bitte u, um Verzeihung, aber ich hatte ja keine Ahnung, dass hier noch Jemand wohnt." "Sie machen mir Spaß Fräulein, ich wohne hier, seit das Haus existiert. Ich bin die erste Besitzerin." "Wollen sie nicht ganz herauskommen, dann können wir uns besser unterhalten und ehrlich gesagt, irritiert es mich etwas, dass sie mit dem Körper mitten in dieser Holztür stecken."
"Das würde sich nicht geziemen," kam die Antwort. Geister tragen keine Kleider. "Dann ist meine Vermutung richtig, einen Geist vor mir zu haben." "Natürlich ist eine solche Vermutung richtig, dafür gibt es ja nun genügend Indizien," sagte die Fremde Spöttisch. "Welche Indizien meinen sie," fragte Aja verwirrt. "Nun, da währen," fing das Bleichgesicht mit der Aufzählung an; "ich bin total Blutleer, wie man an meinem Teint erkennen kann. Zudem bin ich auch noch leicht durchsichtig und zuletzt kann ich meinen Kopf durch harte Gegenstände, wie etwa eine Holztür, stecken, ohne ein Loch zu hinterlassen. Ach ja, hab' ich beinahe vergessen, ich jammere des Öfteren gern vor mich hin." "Aber warum tun sie denn das?" "Na wegen dem Fluch, der auf mir lastet." "Welcher Fluch denn und warum lastet er auf ihnen?" "Ach, der ist von meinem früheren Gemahl, der mir übelgenommen hat, dass ich unser Haus an der Börse verzockt hab'." "Wieso haben sie das getan?" "Eigentlich konnte ich gar nichts dafür," sagte Ajas unverhoffte und etwas gruselige Gesprächspartnerin mit einem offensichtlich einstudierten, unschuldigen Gesichtsausdruck. "Wir, also mein Mann Kok und ich hatten gerade erst das Haus fertig gebaut, na ja, bauen lassen. Hier mitten in der Stadt war das Grundstück ganz schön teuer und der Bau erst. Nun vielleicht ist er auch wegen dem ein oder anderen, kleinen Sonderwunsch von meiner Person etwas teurer geworden als ursprünglich gedacht. Aber man muss auch bedenken, dass wenn man an so exponierter Stelle wie gegenüber vom Rathaus baut, auch die Pflicht hat einen gewissen Status zu repräsentieren. Also was soll ich sagen, Als der Bau vollendet war, herrschte in unserer zuvor so reich gefüllten Sparschatulle Ebbe und wir, damit meine ich natürlich meinen Mann, mussten die Schulden ab stottern. Aber mein Kok war wirklich ein fleißiger und was seine eigene Person anging auch sparsamer Mensch. Deshalb konnten wir auch lange den Kredit bedienen und sogar noch etwas regelmäßig in die Sparschatulle tun." "Klingt doch gut." "Na ja, ich beging dann noch ein kleines Fehlerchen." "Von welcher Art denn?" "Oooohuooh," erscholl ein langer Klageton, aber dann antwortete der Geist; "ach je, herjeminé, nun begann das eigentliche Verhängnis. Damals begann es in der weiblichen Oberschicht Mode zu werden, alle
Gesellschaftskleider nur noch ein Mal in der Saison zu tragen. Was sollte ich tun, ich konnte doch nicht auf dem wöchentlichen Damenkränzchen mit einem Kleid von voriger Saison auftauchen, schließlich war es meine Pflicht zu repräsentieren. Und sollte vielleicht meine beste Freundin Zaz, diese arrogante Schnepfe, über mich, äh...und meine Familie triumphieren?" "Ach, sie arme! Da haben sie aber ganz schön mit Problemen zu kämpfen gehabt. Aber wie ging es weiter?" "Nun, in meiner großen Verzweiflung kam ich auf die Idee, die wieder angesparten, bescheidenen Rücklagen in der Sparschatulle in Anspruch zu nehmen." "Waas, sie haben in die Kasse gegriffen?" "Ich war doch in einer Notlage und außerdem war ich sicher es wieder zurücklegen zu können, denn ich hatte einen todsicheren Anlagetipp an der Börse erhalten." "So, woher denn?" "Na von meiner besten Bussi-Bussi Freundin Zaz natürlich, deren Gemahl ist doch schließlich von Beruf Börsenspekulant." "Ach so, alles klar! Lassen sie mich raten, der todsichere Tipp ging in die Hose, oder?" "Ja, leider und mein bis dahin so nachsichtiger Ehegemahl bekam einen Tobsuchtsanfall. Das hat man dann davon, wenn man sich als Frau für das gesellschaftliche Ansehen der Familie aufopfert. Ooouuuhou, ich bin wirklich zu bedauern." "Aber wirklich, und was geschah weiter." "Mein armer Kok wurde wahnsinnig und schrie herum, dass wir sicher obdachlos werden würden und dass er die Nase gestrichen voll hätte und dann rannte er wie von einer Wespe gestochen aus dem Haus. Später erfuhr ich, dass er schnurstracks zum Steinmetz Geg gefahren ist und sich dort einen Mühlstein gekauft hatte und danach zur Seilerei von Meister Tet und dort vom letzten Geld ein Seil erstanden hat." "Oh, die Seile von Tet sind die besten, die sollen besonders haltbar sein." "Ja, sind sie wohl." "Und dann?" "Dann ist er zur Brücke, die über den Fluss führt gefahren, stellte natürlich noch die Kutsche im Halteverbot ab, band den Mühlstein mit dem Seil mittels Schlinge um seinen Hals und kletterte auf die Brüstung." "Au weh, er wird doch nicht?" "Doch." „Dann ist der ärmste also ertrunken." "Nein, ist er nicht. Der Fluss ist an besagter Stelle nur zwanzig Zentimeter tief." "Autsch!" "Allerdings, der Mühlstein ist auf dem Flussgrund aufgeschlagen und dann Koks Kopf auf dem Mühlstein." "Sie bedauernswerte Frau haben ja damals was mitgemacht."
"Ja, nicht! Die Mannsbilder wissen ja gar nicht, was sie ihren Ehefrauen für ein Ungemach bereiten, wenn sie von Brücken springen. Wie kann man nur so egoistisch sein?" "Da haben sie völlig recht, das war ihnen gegenüber völlig verantwortungslos." "Ich sehe, sie sind eine vernünftige, junge Frau!" Der Geist wirkte, wegen ihres harten Schicksals, gar nicht mehr so bedrohlich auf Aja und sie sagte deshalb, "ich gebe ihnen eine Decke, dann können sie sich darin einwickeln und mit mir in meine Kammer kommen. Dann haben wir es gemütlicher!" "Eine Decke funktioniert nicht, sie würde durch mich hindurch fallen!" "Oh, sie ärmste, dann können sie sich ja nie jemand ganz zeigen!" "Nein, kann ich leider nicht und das bedeutet, dass ich keine Erlösung finden kann!" "Wieso den nicht?" "Nun, das war so; als mich die Nachricht von Koks tragischem Tod erreichte, hatte ich ja schon irgendwie Gewissensbisse und dazu kam die Aussicht Obdachlos zu werden. Da hat mich der Schlag getroffen und ich kippte aus den Pantoffeln!" "Und dann?" "Dann war ich plötzlich in einem grell-weißen Raum und aus der hintersten Ecke ertönte die kreischende, sich überschlagende Stimme Koks; das ist siiie, siiie ist an allem Schuld, ich fordere die Höööchststraafe!" "Wo war den das und ich dachte ihr Mann sei zu Tode gekommen?" "War er ja auch! Es war so grell-hell in dem Raum, das ich gar nichts erkennen konnte, aber ich hörte Stimmen, die mich vermuten ließen, dass ich wohl vor so was wie einem jenseitigen Tribunal stand, denn außer dem übergeschnappten Gekreische Koks vernahm ich noch eine tiefe Grabesstimme!" "Was um aller Geister Willen sagte diese Stimme denn?" "Sie sagte, du hast deinen braven Ehegemahl mit deinem Tun in die Schatten gestürzt, Unholdige und darum musst auch du zu den Schatten gehen, es sei den dein Gemahl ist bereit dich zu begnadigen!" "Ich nehme mal an, dass sie darauf lange warten konnten!", sagte Aja leicht fröstelnd. "Gar nicht, der Schuft war sofort bereit mir Erlösung zu gewähren!" "Wieso denn Schuft?" Aja verstand gar nichts mehr. "Diese hinterhältige Bazille machte eine Begnadigung von einer Bedingung abhängig, ach dabei bin ich immer schon nicht gut im Erfüllen von Bedingungen gewesen!" "Um welche Bedingung handelte es sich den?" "Ich muss ein nagelneues, noch nie getragenes Kleid anziehen und dann sagte dieses Scheusal auch noch, dass ich ja einen halben Kleiderschrank voll mit noch nie getragenen Kleidern besitzen würde, ooohuhauuoooh!" "Wieso denn Scheusal, war doch nett von ihm?!" „Von wegen, ich habe mich ganz plötzlich wieder an der Haustür mei...,unseres Hauses wieder gefunden wo mich der Schlag getroffen hatte und bin sofort ins Ankleidezimmer geschwebt!" Der Geist hielt plötzlich inne und schaute mit einem traurigen Blick. "Ja und, was geschah dann," fragte Aja ungeduldig. Die Spannung wollte sie schier Zerreißen. "Ich schwebte durch die geschlossene Schranktür, so eilig hatte ich es!" "Jaa, und!" Langsam verlor Aja die Contenance. "Nichts und! Kleider sind aus fester Materie und Geister nicht! So viele ich auch probiert habe, sie vielen alle von mir ab!" "Das ist ja 'n Ding," Aja war fassungslos. Dann war ja Kok wirklich ein Scheusal und hat seine Witwe durch seine sogenannte Begnadigungsaufgabe, von der er ganz genau wusste, dass sie unerfüllbar war, extra quälen wollen. "Aber, was tun sie den jetzt?" "Was ich seit Jahren tue! Nichts, denn ich kann einfach nichts tun!" "Ich nehme an, dass sie mitbekommen haben, wer nun in diesem Haus lebt?", fragte Aja. "Jaa, wieesoo?" "Dann wissen sie, dass die jetzige Hausbesitzerin eine Meisterschneiderin ist!?" "Oh ja, ich bin um Mitternacht häufig in die Arbeitsstube geschwebt und habe die schönen, neuen Kleider bewundert! Aber was hilft mir das?" "Madame Umu ist nicht nur eine gewöhnliche Schneidermeisterin," antwortete Aja, "sondern eine Magiebegabte Schneiderin allererster Güte! Wenn ein Mensch einen Weg findet ein Kleid für einen Geist zu kreieren dann Umu!" "Glauben sie wirklich, mein liebes Fräulein?", fragte der Geist und ein Funke Hoffnung war aus ihrer Frage herauszuhören. "Wenn jemand eine Lösung für ihr Problem kennt, dann Umu, wir müssen nur warten bis sie von ihrer verletzten Großcousine zurückkehrt!" "Oohuuooh", erscholl der Geister-Klageruf. "Ich verweile doch schon so lange in der Zwischenwelt!" Das Klagen erbarmte Aja und ihr kam eine Idee. "Ich weiß wo Umu ihr letztes der drei Magiebücher über Schneiderei aufbewahrt! Ich sollte dieses Lehrjahr ohnehin damit beginnen! Ich könnte versuchen eine Formel zu finden, die es ermöglicht ein Geisterkleid zu erschaffen! Eins ist klar, wenn das gelingen sollte, dann währe es ein wahres Meisterstück! Sicher würde die Schneidergilden-Kommission ein solches Kleid für die Gesellen und gleichzeitig für die Meisterprüfung gelten lassen! So könnte ich einer armen Seele ins Licht helfen und gleichzeitig meine Karriere beschleunigen!"
„Das würden sie wirklich für mich tun?", der Geist rang sichtlich um Fassung. Solange Ama, so hieß die ehemalige Hausherrin, sich zurückerinnern konnte, hatte sie immer nur an sich selbst gedacht. Und nun wollte ein wildfremder Knochensack, so wurden die Lebenden von den Geistern scherzhaft genannt, ihr ins Licht helfen. Nur gut, dass Ama aus keiner Materie bestand. So brauchte sie keine Tränen der Rührung zurückzuhalten. Hätte sie noch Flüssigkeit in sich gehabt, würde sie jetzt bestimmt das Haus unter Wasser setzen. „Ich schlage vor, ich gehe jetzt Schlafen und sie machen noch ihr Geisterding, eben was Geister nachts so alles tun und ich stehe ganz früh auf, um unser Projekt in Angriff zu nehmen!" „Oh ja und wenn es dunkel wird und ich erwache, können wir uns über eventuelle Fortschritte austauschen!" „So machen wir es, Frau Geist!" „Ach nennen sie mich doch Ama, denn so ist mein Name!" „Angenehm, Aja!" „Dann bis morgige Nacht, Aja!" „Bis morgen, Madame Ama!" Aja ging zu ihrer Kammer und lies sich auf ihr Bett fallen. Sie richtete ihren Blick zur Decke und dachte, was für ein Tag. und der Weckhahn auf dem Nachttisch dachte, die scheint aber einen schweren Tag gehabt zu haben.
In aller Frühe erscholl das Kikeriki des Weckhahns und Aja, nachdem sie kurz überlegt hatte, ob sie alles nur geträumt hatte, sprang mit einem Satz aus dem Bett und lief Richtung „Örtchen". Hat wohl gestern noch spät Zuviel Saft getrunken, dachte der Hahn. In Windeseile war Aja gewaschen, gebürstet und angekleidet. Dann gings zu einem Blitz-Frühstück und schließlich ab ins Atelier. An der Wand hing ein Regal, auf dem die drei dicken Magiebücher nebeneinander standen. Das dritte von links wies eine Staubschicht auf. Das war das Richtige. Sie wedelte den Staub vom Buch und nahm es hustend herunter. Es war ganz schön schwer und Aja wuchtete es auf ein Beistelltischchen, das sie zuvor neben den großen Arbeitstisch gestellt hatte. Zuerst einmal schaute sie ins Inhaltsverzeichnis und erschrak etwas, als sie unter G keinen Hinweis auf Geisterbekleidung entdeckte. Geister brauchten ja auch eigentlich keine Kleider. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, als Lehrmädchen im dritten Lehrjahr einem Geist Hoffnung zu machen. Sie fragte sich ob sie Umu eine Posteule senden sollte , um sie um Rat zu fragen. Doch die hatte bestimmt mit ihrer Cousine zweiten Grades genug Sorgen und außerdem befürchtete Aja, dass Umu fragen könnte, wie der Geist gedachte zu bezahlen. Da Geister keine Materie besitzen sind sie im wahrsten Sinne des Wortes antimateriell, haben also kein Geld. Plötzlich viel ihr Blick bei T auf den Titel Transzendentale Bekleidung für ehemalige Oberschicht. Das könnte es doch sein. Schnell sah Aja auf Seite fünftausendneunhundertsiebenundzwanzig nach und...Treffer. Das sah wirklich nach einer Anleitung für die Erstellung von Bekleidung von Geistern aus. Allerdings stand da, dass dafür kein Stoff aus normalen Garn genommen werde, sondern aus...Spinnweben. „Bäh," entfuhr es Aja. Sie mochte keine Spinnweben und die Weberinnen schon gar nicht. Außerdem, im Keller gab es sicherlich genügend Material. Aber wie bekam Aja das in die nötige Bahnen-Form, um damit auch schneidern zu können. Da wurde ihr Blick von einer rotmarkierten Stelle angezogen. Dort stand ein Magiespruch, der die Spinnen dazu brachte ihre Netze nicht mehr Rund zu weben, sondern in einer, für die Verarbeitung praktischen rechteckigen Form. Der Spruch hieß; „webt eure Netze im rechten Eck, oder ich reiß euch ein Beinchen weg." Das dauert doch Wochen, dachte Aja, aber gleich einen Absatz weiter stand, wie man die Arbeit der Weberinnen beschleunigen konnte. Da stand; „webt die Netze gar geschwind, sonst es der ausgerissenen Beinchen sehr viele sind." Aja begab sich in Richtung Kellertür. Vor der Tür hielt sie kurz an und schüttelte sich vor Eckel. Dann atmete sie einmal tief durch, man musste für sein Gesellen/Meisterstück...äh, für seine gute Tat an einem unglücklichen Geist eben auch Opfer bringen. Neben der Tür war eine Ablage angebracht, auf der sich eine Kerze in einem praktischen Kerzenhalter, nebst Zunderbüchse befand. Schnell war die Kerze entzündet und entschlossen betrat Aja die Treppe zum Kellergewölbe. Die reichlich vorhandenen Weberinnen waren wenig erfreut, als es in ihrem Reich plötzlich hell wurde und noch weniger, als sie gleich zwei Bannsprüche direkt hintereinander traf.
Ohne es zu wollen legten sich die Weberinnen schwer ins Zeug. Meter um Meter des silbernen Gewebes hingen bald ringsum an den Wänden und floss förmlich wie Seide wellenförmig am Boden zusammen, fast als wenn es Wasser wäre. Aja schaufelte mit Vorsicht alles in einen großen Korb und schon bald schien es ihr, dass schon genug Material vorhanden sei. Aja sagte nun den Magiespruch, der den Bann wieder aufhob; „ihr könnt das Weben nun anhalten und eure Beinchen auch behalten!" Sofort hörten die Spinnentiere mit der Arbeit auf und Aja raffte das restliche Gewebe schnell auf und stopfte es in den Korb. Nun beeilte sie sich zur Treppe zu kommen, denn in einem Keller, in dem die reichlich vorhandenen Weberinnen nun nicht mehr unter ihrem Bann standen, fühlte Aja sich etwas beklommen. Als sie die unterste Stufe erreichte, meinte sie eine Art unmerkliche Geräusche zu hören. So als wenn dünne Stimmchen durch das Gewölbe zögen. Es war wie leises Schnaufen und Stöhnen. Sie meinte sogar einzelne Wörter und sogar Satzfetzen zu verstehen. "Mach bloß, dass du weg kommst / Sklaventreiberin / wenn wir dich erwischen / Magieschlampe!" Aja beschleunigte ihre Schritte auf der Treppe, ohne sich umzudrehen und oben angekommen knallte sie die Tür zu. Fürs erste war sie gerettet, schaute aber etwas besorgt auf den Korb. Was wenn die Menge nicht reichte? In den Keller würde sie sich jedenfalls so schnell nicht mehr trauen. Aja ging mit dem Korb ins Atelier, immer den Korbinhalt im kritischen Blick. Nicht dass sie, aus versehen, noch eine der bestimmt rachsüchtigen Weberinnen mit in den Korb gepackt hat. Die kommende Nacht würde ein gewisses Lehrmädchen bestimmt unruhig schlafen. Endlich im Atelier angekommen, stellte sie den Korb, der erstaunlich leicht war, neben dem Arbeitstisch ab und wandte sich dem Magiebuch zu. Obwohl es eigentlich Zeit für die Mittagspause war, machte Aja weiter. Zum Essen war sie sowieso zu aufgeregt, und brach einem gewissen ersten Sekretär, dem die Abreise von Umu nicht entgangen war, das Herz. Gerade heute hatte er sich vorgenommen mal rüber zu winken. Aja verbrachte den Rest der Zeit mit dem Studium des Buches. Als es schon zu dämmern begann und das Licht im Atelier, zum Lesen, nicht mehr ausreichte, schrak sie wie aus einer Trance auf. Es war bald Zeit Ama zu Berichten. Aja machte für heute Feierabend und ging auf dem Weg zu ihrer Kammer noch in der Küche vorbei, um sich mit einem Apfel, zwei Birnen und einer Handvoll Aprikosen, für das Nachtmahl, zu versorgen. In der Dachstube angekommen, setzte sie sich mit einem seufzen aufs Bett und ließ das gelesene nochmal in ihrer Erinnerung Revue passieren. Sie war sich sicher, dass ihr Magietalent und das bisher Gelernte für das Herstellen eines Geisterkleides ausreichte. Während sie ihren Gedanken nachhing, biss sie immer mal wahllos von dem unterschiedlichen Obst ab.
Draußen dunkelte es und Aja entzündete ein Nachtlicht. Dann begab sie sich zu der Kammertür, ganz am Ende des Flurs. Dort angekommen klopfte sie und sofort war ein „Momee-ent, ich koomme schoon," zu hören. Gleich darauf erschien das blasse Gesicht von Ama inmitten der hölzernen Tür. „Wie ist es gelaufen?", fragte sie ungeduldig. „Bis jetzt ganz gut", antwortete Aja mit einem Lächeln. „Ich habe eine Möglichkeit gefunden, den richtigen, geistertauglichen Stoff zu besorgen!" „Großartig, dann besteht also Hoffnung!" „Ich denke schon, auch wenn ich die magische Handgestik noch üben muss, ohne Zuviel Gewebe zu verschneiden!" „Juhuuhuuh, ich bekommen ein exklusives Designerkleid. Früher hätte ich für so Eins gemordet!" „Pst, nicht so laut, oder wollen sie, dass das jenseitige Tribunal so etwas hört?" „Oh, sie haben recht!", wisperte Ama nun. „Natürlich hätte ich nicht dafür gemordet! Jedenfalls denke ich, dass ich höchstwahrscheinlich nicht dafür gemordet hätte! Auf keinen Fall für nur ein-einziges Kleid!" Aja dachte; na das ist ja vielleicht ein Herzchen. Um das Thema zu wechseln, meinte nun der Geist; „was sagen sie, Mademoiselle Aja, wann kann ich zur ersten Anprobe?" „Ich werde den morgigen Tag die Handmagie üben! Ich hoffe, zur Einbruch der Dunkelheit ist es dann so weit!" „Dann schlage ich vor, sie begeben sich nun zur Ruhe, morgen wird für sie ein langer Tag!" „Sie haben Recht, Madame Ama, ich wünsche dann noch eine gute Geisternacht!" „Oh, die werde ich sicher haben! Heute möchte ich einen kleinen Abstecher zum Friedhof machen!" „Was wollen sie den dort!" „Nun ich suche die Gräber von zurückgebliebenen Geistern auf, solche die wie ich nicht ins Licht durften!" „Ja, und dann?" „Nun, am Grab angekommen imitiere ich mit meiner Geisterstimme ein klingelndes Geräusch und wenn der betreffende Geist dann hervorkommt ist keiner da, weil ich inzwischen längst weggeschwebt bin! Das wird wieder ein Spaß!" Aja schlurfte müde in Richtung ihrer Kammer und dachte, hoffentlich ist dieses Abenteuer bald zu Ende.
Am nächsten Tag stand Aja wieder früh auf und nach einem spartanischen Frühstück ging es gleich ins Atelier, um wie besessen zu Üben. Zwischendurch schaute sie immer wieder ins Magiebuch und von Stunde zu Stunde wurde
sie mit ihren Arm- und Handbewegungen sicherer. Als der Abend dämmerte, entzündete sie die Kerzen und es dauerte nicht lange, bis Amas Gesicht in der Zimmerdecke erschien. „Hallo Frau Ama, wie wars letzte Nacht auf dem Friedhof?" „Oh, wirklich mal wieder sehr spaßig! Wie weit sind wir denn?" „Ich habe hier mal einen ersten Entwurf," sagte Aja und zeigte dabei mit sichtlichem Stolz auf ein silbriges Kleid, das auf dem Arbeitstisch lag. „Oh wie schön, es sieht ja wie ein Brautkleid aus! Ich liiiebe Brautkleider!" „Schweben sie hinter den Paravent und streifen sie es mal über und beten sie, dass es nicht durch sie hindurch fällt! Denn dann wäre ich mit meinem Latein am Ende!" Aja legte das seidige Stück vorsichtig über den Paravent und drehte sich Sittsam um. „Sie können sich umdrehen," erklang die Stimme Amas und es war deutlich Freude herauszuhören. Aja tat, wie ihr geheißen und ließ einen erstaunten Pfiff ertönen. Sie wusste ja schon, dass sie gut war, aber so gut? Freudestrahlend stand ein vollständig bekleideter Geist vor ihr. „Es muss nur noch um die Hüften etwas enger sein und der Saum minimal gerafft werden!" „Stimmt, und...äh, wie wäre es mit Puffärmeln?" Innerlich schüttelte Aja den Kopf. Immer noch anspruchsvoll die Frau Geist, sagte aber, „aber ja, mach ich!" Mit schwungvollen Bewegungen vollendete Aja ihr
Meisterstück. Erst der Saum dann die Taille und auch noch ein etwas größeres Dekolleté als weiterer Sonderwunsch. Nun war das Werk perfekt, anders konnte man es einfach nicht sagen. „Ach ich danke ihnen so sehr, mein liebes Fräulein!" Um Ama begann sich eine leuchtende Korona zu bilden und sie wurde im ganzen immer blasser, bis sie mit dem Licht zu verschmelzen schien. Das Leuchten wurde immer intensiver und dann...war sie weg. Aja, die entzückt dem Schauspiel zugeschaut hatte schrak mit einem mal auf, so als wenn sie aus einem Traum erwacht sei. „Ey, he Moment mal, schrie Aja, mein Meisterstück!" Der Geist hatte sich mitsamt dem Kleid davongemacht. Was sollte Aja denn nun der Schneidergildenkommission vorlegen? Ihre schnelle Karriere hatte sich mit Ama in Luft aufgelöst. Aja wusste nicht, wie lange sie mit offenem Mund so dagestanden hatte, als sie sich wie in Trance und Hundemüde zur Treppe und in ihre Kammer schleppte. Sie war so erledigt, dass sie nicht einmal die Kraft aufbrachte die Tür hinter sich zu schließen. Wie eine Tote ließ sie sich aufs Bett fallen und schlief, so wie sie war, sofort ein. Der Weckhahn auf dem Nachttisch dachte bei sich, dass diese Rotzgöre wohl wieder einen schweren Tag gehabt hatte.
Währenddessen erklang auf dem Straßenpflaster vor dem Haus Hufgeklapper. Meisterin Umu war von ihrer Cousine zweiten Grades zurückgekehrt. Als sie zur Tür hereinkam hörte sie aus Ajas Dachkammer lautes Schnarchen. Ach, das arme Kind hat sich doch hoffentlich nicht überarbeitet, dachte sie bei sich und ging sogleich erwartungsvoll ins Atelier. Als sie den Raum betrat, war es ihr als treffe sie der Schlag. Von der Auftragsarbeit war äußerst wenig erledigt. Dafür lag eins ihrer wertvollen Magiebücher aufgeschlagen auf einem Beistelltisch und Handwerkszeug lag Kreuz und Quer auf dem Arbeitstisch. „Hat sich das Miststück doch tatsächlich einen kleinen Sonderurlaub gegönnt," grollte Umu. „Wahrscheinlich hat da auch der erste Assistent des Bürgermeisters seine Hände mit im Spiel! Na warte mein Lehrmädchen, das gibt Morgenfrüh ein Donnerwetter!" Und dann dachte Umu nur noch, ich glaub' ich brauch jetzt einen Tee.
Tauron, den 07.08.2019
Fanuilos, le linnathon
Immerweiße, zu Dir singen- werde- ich
(von JRR Tolkien)