Hunger Games mit tintenfeuer
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mika_
Gelöschter Benutzer
Re: Hunger Games mit tintenfeuer
von mika_ am 23.11.2019 15:47Alyssa Freed
"Ally, wach auf, es ist so weit", hörte ich die bedrückte, leise Stimme dicht an meinem Ohr säuseln, die mich schließlich dazu bracht, meine Augen aufzuschlagen. "Komm schon, wir müssen uns anziehen, es geht in 20 Minuten los.", wiederholte die Stimme, während ich gerade noch dabei war, Traum von Realität zu unterscheiden.
Vor ein paar Sekunden habe ich mich inmitten der Leute zusammenbrechen sehen, als mein Name von dem merkwürdig aussehenden Zirkusclown auf der Erntebühne ausgesprochen wurde. Doch nun war ich wach und versuchte mir selbst einzureden, dass das nur ein Traum war und weder ich, noch Eve gewählt werden würden.
Nachdem ich mich ein bisschen frisch gemacht hatte, sowie meine weiße Rüschenbluse und eine schlichte hellblaue Hose angezogen hatte, begab ich mich zu meiner Familie. Meine Mutter trat mir entgegen, mit einem heiseren "Guten Morgen" und stellte mir das Frühstück vor die Nase. Ich aß ein paar Bissen, obwohl ich wirklich keinen Hunger hatte und musterte Eve, die vermutlich den selben Gesichtsausdruck trug, wie ich. Blass, ermüdet, erschöpft und ängstlich.
Mitten in der Menge der Jugendlichen aus Distrikt 4 suchten wir uns ein Plätzchen, neben Eves Freunden und hielten still unsere Hände. Wie jedes Jahr, hatte unser Vater uns dazu geraten, denn jedes Mal seit Jonahs Losung, riet er uns, füreinander da zu sein. Der Gedanke, dass ich es nur noch dieses eine Jahr lang überstehen musste, half mir jedoch kein bisschen, denn wir mussten weiterhin darauf hoffen, dass Eve nicht in die Spiele ziehen musste.
Der Mann aus meinem Traum auf der Bühne wurde durch eine wohlernährte dunkelhäutige Frau ersetzt, die mit zu viel Freude und Enthusiasmus die Lostrommel drehte, während meine Hand vom Drücken schon weh tat. Als sie das Zettelchen aus der Trommel fischte, war ich mir nur sicher, dass ich unter keinen Umständen den Namen "Evelyn Freed" hören wollte.
Mein Herz pochte, als die Frau das Zettelchen entfaltete und die Angst stieg in mir, fühlte sich stärker an als je zuvor, obwohl es mir jedes Jahr so vorkam.
"Freed, Alyssa"
Ich erstarrte. Hat sie gerade..? In diesem Moment wusste ich nicht wohin mit mir. Ich erwartete, dass mir schwarz vor Augen wird, wie in meinem Traum, jedoch blieb alles klar. Alle drehten sich nach mir um und ich hörte, wie meine Schwester neben mir auf den Boden sackte. Mein Blick wanderte starr zu ihr, als ich am Arm gezogen und von der Menge nach vorn gedrängt wurde. Sie saß so zerbrochen auf dem Boden und starrte mich an. Sie rief etwas, jedoch konnte ich es nicht hören.
Es stand schon ein Junge vorn, David, hieß er und war mit meiner Schwester in einer Klasse. Wir wurden in das Zimmer gebracht, indem sie uns mitteilten, dass wir uns verabschieden konnten, doch ich war nicht in der Lage, meinen Eltern oder meiner Schwester in die Augen zu sehen, als sie das Zimmer betraten. Ich fühlte mich schuldig, obwohl ich nichts dafür konnte und alles was ich tat, war meiner Familie zu sagen, dass sie mich wiedersehen werden.
Ein paar Minuten später saß ich mit David in dem prächtigen Zug, der uns ins Kapitol bringen sollte. Meine Gedanken kreisten nur um das Training, was ich tun sollte und dass ich aufgeschmissen war, denn ich war keine Kämpferin.
"Das muss furchtbar sein für deine Familie", unterbrach mich eine Stimme. "Ich meine, dass deine Eltern zwei Kinder verloren haben.", fuhr sie fort.
Irritiert, sah ich den blondlockigen Jungen an und wandte mich von ihm ab, da seine Worte klangen, wie "Du bist so gut wie tot", und ich wusste, er hatte recht.
Re: Hunger Games mit tintenfeuer
von tintenfeuer am 29.04.2020 12:06Die nächsten paar Minuten zogen an Rion vorbei, als erlebe er sie nicht selber. Es war ihm eher, als wäre er Zuschauer eines Filmes. Er vernahm den Namen des weiblichen Tributes als stände er noch in der Menge und als er sah, wie die schreiende Gia Meadow gewaltsam von den Friedenswächtern auf die Bühne gezogen wurde, sickerte die Erkenntnis, dass er nur wenig später mit ihr in die Arena ziehen würde, nur langsam in sein Bewusstsein. Während Rion selbst nun hier stand, wie eingefroren und ohne sich die jeglichste Regung anmerken zu lassen, begann Gia neben ihm verzweifelt zu schluchzen. Auch eine Frau im Publikum hatte geschrien, verutlich ihre Mutter. Rion kannte Gia flüchtig. Wenn er die Jüngere, er schätzte sie auf 14, richtig erkannte, dann handelte es sich bei ihr um die Tochter des Fleischers. Rions Angehörige waren still und nach wie vor meidete er es mit aller Kraft, zu ihnen zu blicken - fürchtete er doch, das könnte seiner ruhigen Fassade einen Riss versetzen.
Und mit seiner Vermutung lag der 17-Jährige nicht daneben. Bereits als er die Bühne verließ und sich in Richtung Abschiedsraum begab, spürte er die Angst vor dem Moment in sich aufkommen, in dem er seinem Vater das letzte Mal gegenübersäße. Er war doch alles gewesen, was ihm noch blieb. Rion holte tief Luft und schloss die Augen, ehe die Tür aufschwang und er seine Familie den Raum betreten hörte. Der Abscheid von seiner Tante und ihren Kindern war hart. Der von seinem besten Freund Henk ebenfalls - Er hatte ihn noch nie weinen gesehen, nicht bis zum heutigen Tag. Sein Vater kam als letztes. Er schaute ernst, als er seinem Sohn die Hände auf die Schultern legte. "Rion. Was auch immer du tust - Lass dich nicht zu ihrem Spielzeug machen.", sagte er entschlossen und fest. Erst als er weitersprach, war in seiner Stimme ein leises Zittern zu vernehmen, "Hörst du, mein Sohn?" Rion nickte. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Ihm war, als schnüre sich ihm die Kehle durch. "Es tut mir Leid, Dad", murmelte er kaum hörbar. Sein Vater nahm sein Gesicht in die Hände. "Nein. Mir tut's Leid. Mir tut's Leid, dass du in dieser Welt leben musst. Vergiss nicht, wie klug du bist und wie stark.", er ließ ihn los, "Wenn du nicht vergisst, wer du bist - Weißt du, dann hast du gar nicht solche schlechten Chancen.", er lachte verzweifelt, offensichtlich selbst mit der Situation überfordert. Rion drückte ihn an sich, fest und lange, dann lösten die beiden Männer sich voneinander. "Ich liebe dich", sagte sein Vater noch. Dann war er fort.
Nun saß Rion im Zug, neben sich Gia, vor sich die schrullige Tante, die ihre Namen gelesen und sie damit in den fast sicheren Tod geschickt hatte. Gia weinte nicht mehr, stattdessen war sie ganz still. Die Frau vor ihnen erzählte von Mode, vom modernenTrainingscenter, davon, wie berühmt sie jetzt würden. Rion wäre am liebsten einfach aufgestanden und gegangen. Zum Glück kam sie ihm jedoch kurz danach zuvor, weil sie etwas zu Essen holen wollte. In der Zwischenzeit suchte Rion das Gespräch mit Gia. "Wie alt bist du?" Sie schaute ihn nicht an, offensichtlich wieder verängstigt. Rion lehnte sich zurück. Seltsam. Ihm selbst fiel es mit einem Mal überraschend einfach, seine Sorgen zu verbergen. Vielleicht lag das daran, dass seine Verbitterung und sein Zorn auf das Kapitol noch größer waren, als seine Angst vor diesem. Zumindest jetzt, da es ihm nichts mehr anhaben konnte - nicht, bis er bei den Spielen ohnehin seinen Tod finden würde. "Du solltest dir deine Angst nicht so anmerken lassen. Diese Menschen spüren das.", murmelte er bloß. Den Rest der Fahrt verbrachte er damit, aus dem Fenster zu gucken. Er war nie aus seinem Distrikt herausgekommen. Würde es nicht unter diesen Umständen geschehen, er würde diesen Ausblick durchaus genießen.
Die Landschaft begann schließlich, sich zu ändern. Sie wurde zunehmend prächtiger. Die zurückgekehrte Loserin geriet ins Schwärmen und Anpriesen ihrer Heimat. Allerdings ließ sich nur ein kleiner Teil Rions von dem Protz und der Architektur beeindrucken. Eher erfüllt war er mit Abneigung, mit Missbilligung. Wie konnte es sein, dass die Leute hier so lebten und die anderen Distrikte derart verarmen ließen, gar ausbeuteten? Wie konnten sie darauf auch noch stolz sein, anstatt sich für ihren Lebensstil zu schämen?
Diese Einstellung verließ Rion den ganzen Abend nicht. Selbst als Gia und er in ihr Apartment gebracht werden, ließ er sich von seinem Hass das Herz wärmen und die Angst verdrängen. Er mied jegliche Form von Gespräch mit den Menschen aus dem Kapitol - Hörte ihren Worten zu, so karg wie nur möglich antwortend, während Gia sich sichtlich davon ablenken ließ, weniger wegen Hass, sondern eher aus Faszination für ihre Umgebung. Sie war jung und verängstigt, vielleicht tat ihr es da ja tatsächlich besser, sich im Staunen über diesen materiellen Reichtum zu verlieren, als in ihrer Sorge. Bei Rion zog das aber irgendwie nicht. Er dachte bloß daran, wie er die nächsten Wochen möglichst gut durchstehen konnte. Denn obgleich seine Chancen schlecht waren - Ein kleiner Teil von ihm konnte die Hoffnung nicht aufgeben, Nachhause zurückzukehren und seine Familie wiederzusehen. An diesem Abend ging er früh zu Bett. Er war so erschöpft von dem Tag, dass er das moderne Design seines Zimmers zwar wahrnahm, sich jedoch kaum dafür begeistern konnte.
Am nächsten Tag würde die Begrüßung anstehen. Er wollte gar nicht daran denken, wie lächerlich sie auf diesen Streitwagen aussehen würden. In dieser Nacht träumte Rion davon, wie er durch leere, weite Felder lief. Über seinen Köpfen kreisten Geier. Als sich einer auf ihn herabstürzte, griff er nach einem Stein und schlug nach ihm - Da fiel ihm auf, wie eiganrtig seine Augen aussahen und er vernahm ein mechanisches Geräusch. Die Augen des Vogels waren nichts anderes, als Kameralinsen. Er duckte sich nach dem verwundeten Vogel, um sicherzugehen - Da stürzten die üblichen Geier auf ihn hinab. Kurz, bevor ihre Schnäbel damit beginnen konnten, auf ihn einzuhacken, schreckte Rion aus dem Schlaf - Schwitzend und keuchend. Und erst nachdem er aus dem Bett gestiegen und aus seinem Fenster geguckt hatte, wurde ihm wieder klar, wo er sich befand.